2/2: Steuerrecht könnte noch komplizierter werden
Nüchtern betrachtet dürfte sich keines dieser Extrem-Szenarien einstellen. Zunächst einmal sind die Erwartungen an einen stärkeren Steuerwettbewerb zu relativieren. Damit einhergehen könnte nämlich eine weitere Verkomplizierung des Steuerrechts: Weniger wegen der länderspezifischen Steuersätze an sich als vielmehr durch die damit ausgelösten Steuergestaltungsanreize. Wie im internationalen Steuerrecht zu besichtigen ist, führen solche Anreize bei den Unternehmen eher zu kreativen Gestaltungsmodellen als zu echten Betriebsverlagerungen. Prominente Beispiele wie Apple oder Amazon stehen hierfür Pate mit ihren legalen, aber künstlichen Gewinnverlagerungen in "Steueroasen". Die dadurch provozierten gesetzgeberischen Abwehrreaktionen machen das Steuerrecht dann noch widersprüchlicher und produzieren nur neue sogenannte Steuerschlupflöcher.
So autonom wie von den Befürwortern versprochen werden die Bundesländer die Steuersätze auch nicht ändern können. Auch weiterhin sind ja der Bund und auch die Kommunen mit im Boot. Eine Steuererhöhung durch ein Land reduziert unweigerlich die Steuereinnahmen der anderen Ebenen. Denn Steuerpflichtige versuchen, der Mehrbelastung durch Verhaltensanpassung auszuweichen – darunter hätten dann aber auch Bund und Kommunen zu leiden. Um ihr Steueraufkommen stabil zu halten, könnten sich die anderen Ebenen ihrerseits zu Tariferhöhungen gezwungen sehen. Am Ende könnte gar ein Steuererhöhungswettlauf drohen.
Um das zu vermeiden, werden sich die Zu- oder Abschläge voraussichtlich nur innerhalb enger Korridore bewegen. So hat Bayerns Finanzminister Markus Söder unlängst einen möglichen Abschlag von drei Prozent für Bayern ins Spiel gebracht, wohlgemerkt nur auf den Landesanteil der Einkommensteuer. Für einen Durchschnittsverdiener hat der Steuerzahlerbund bei einem fünfprozentigen Abschlag eine jährliche Steuerentlastung von 140 Euro kalkuliert. Reicht das als Umzugsanreiz aus? Eine "Steuerrevolution" sieht jedenfalls anders aus.
Regionaler Steuerwettbewerb ist nichts Neues
Den Kritikern ist auch entgegenzuhalten, dass es nationalen Steuerwettbewerb längst gibt, nämlich auf kommunaler Ebene mit der Gewerbesteuer und auf Länderebene bei der Grunderwerbsteuer.
Die Gemeinden dürfen ihre Gewerbesteuerhebesätze autonom festsetzen. Ihnen ist in Art. 28 Abs. 2 GG sogar eine mit Hebesatzrecht ausgestaltete Steuerquelle garantiert. Überwiegend sind nun aber ausgerechnet in den wirtschaftsstarken Ballungsräumen die höchsten Gewerbesteuerhebesätze zu beobachten, während in ländlichen Kommunen die niedrigen zu finden sind.
Die Bundesländer wiederum dürfen seit einiger Zeit die Grunderwerbsteuersätze selber festlegen. Ursprünglich lagen sie bundesweit bei 3,5 Prozent. Mittlerweile gibt es dort eine Spreizung von 3,5 Prozent etwa in Bayern oder Sachsen bis hin zu 6,5 Prozent in Schleswig-Holstein. Die annähernde Verdopplung hat Steuerpflichtige schon sehr belastet. Obwohl die wettbewerblichen Elemente im Steuerrecht also bisher nur vorsichtig aufgewertet wurden, haben die Verpflichteten damit eher negative Erfahrungen gemacht.
Gerade das letzte Beispiel der Grunderwerbsteuer verdeutlicht, dass jegliche Reformvorschläge zur Einkommensteuer gleichzeitig Mechanismen zur Abwehr übermäßiger Belastungen vorsehen sollten. Denn das bestimmende Prinzip der Einkommensteuer ist und bleibt das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Leistungsfähigkeitsprinzip. Danach darf der Staat die Steuerlast nur nach der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bemessen. Art. 3 Abs. 1 GG gilt bekanntlich bundesweit. Schon deshalb darf für länderspezifische Zuschläge nur ein begrenzter Korridor bleiben – egal wie groß der Finanzierungsbedarf eines einzelnen Bundeslandes auch sein mag. Die Zu- und Abschläge dürften sich also im einstelligen Prozentbereich bewegen. Statt einer Steuerrevolution wird die Finanzreform am Ende also eher ein Reförmchen.
Prof. Dr. Dennis Klein – Steuerberater, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Steuerrecht – ist Professor für Wirtschafts- und Steuerrecht sowie Rechnungslegung an der Leibniz-Fachhochschule in Hannover.
Föderale Finanzreform: . In: Legal Tribune Online, 21.10.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13540 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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