Ist das Filmen von Polizeieinsätzen zum Zweck der Dokumentation strafbar? Nein, meint Daniel Zühlke. Und statt dagegen vorzugehen, sollte die Polizei eher durch transparentes Handeln verlorenes Vertrauen wiederherstellen.
In der jüngeren Vergangenheit gab es mehrere Strafverfahren gegen Personen, die polizeiliche Maßnahmen gefilmt hatten. Der Vorwurf: Das Filmen – eine audiovisuelle Dokumentation – stelle eine Verletzung der Vertraulichkeit nichtöffentlich gesprochener Worte im Sinne des § 201 Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) dar.
Nachdem sich vergangenes Jahr die Oberlandesgerichte Zweibrücken und Düsseldorf mit dem Thema befasst hatten, kann nun im Einklang mit der herrschenden Literaturmeinung festgestellt werden: Das Filmen von Polizeieinsätzen in der Öffentlichkeit ist strafrechtlich stets zulässig.
Nimmt man das Tatbestandsmerkmal der Nichtöffentlichkeit ernst, lassen sich alle bisher entschiedenen Fälle auch ohne (die wichtigen) Grundsatzerwägungen zu öffentlicher Kontrolle staatlicher Gewaltanwendung lösen. Die filmenden Personen begründen jeweils eine faktische Öffentlichkeit, die auch nicht dadurch wieder beseitigt werden kann, dass die handelnden Beamt: innen der Aufzeichnung nicht zustimmen. Faktisch öffentlich gesprochene Worte sind eben nicht „nichtöffentlich“ im Sinne des § 201 StGB.
Dokumentation möglicher Schadensersatzansprüche
Und selbst außerhalb öffentlich wahrnehmbarer Bereiche spricht vieles dafür, dass polizeiliche Äußerungen gar nicht erst vom Schutzbereich des § 201 StGB umfasst sind, da dieser nur die unbefangene Kommunikation in einer privaten Sphäre schützen soll. Die – grundsätzlich gerichtlich überprüfbaren – Äußerungen im Wege einer polizeilichen Maßnahme betreffen indes ausschließlich die dienstliche Sozialsphäre der Beamt: innen. Eines strafrechtlichen Schutzes bedarf diese nicht.
Insbesondere bei nichtöffentlichen Maßnahmen ist die Beweissituation durch die Definitionsmacht der Polizei bereits in einer Schieflage. Der von der Polizeimaßnahme betroffenen Person stehen zumeist mehrere Beamt: innen gegenüber, die ggf. sogar selbst über Geräte zur Videoaufzeichnung verfügen. Eine solche durch die Polizei wäre auf Grundlage von Landespolizeigesetzen grundsätzlich zulässig. Um vor diesem Hintergrund die prozessuale Waffengleichheit herzustellen, sollte auch der von der polizeilichen Maßnahme betroffenen Person das Filmen erlaubt sein.
Die (Video-)Dokumentation einer Zwangsmaßnahme befähigt Betroffene schließlich zur (realistischen) Durchsetzung möglicher Schadensersatzansprüche oder gar Verteidigung gegen strafrechtliche Vorwürfe. Die Ergebnisse des empirischen Forschungsprojekts "Köperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen" stützen die These, dass Betroffene mutmaßlicher Körperverletzungen durch Polizeibeamt: innen keine Anzeige erstatten, da sie eine Gegenanzeige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) fürchten und sich hiergegen mangels neutraler Beweise nicht zur Wehr setzen können.
Ausschließlich vertrauliche Gespräche geschützt
§ 201 StGB etabliert kein Recht, Dritte aus vertraulichen Gesprächen in der Öffentlichkeit mit dem Strafrecht auszuschließen, sondern lediglich, nicht in einer vertraulichen Gesprächsatmosphäre aufgenommen zu werden. Wenn Dritte – unhöflich und gegen den Willen der Sprechenden – in das Gespräch platzen, ist die Nichtöffentlichkeit und damit der Anwendungsspielraum für das Kernstrafrecht dahin. Das nachvollziehbare Interesse aller involvierten Parteien, nicht bei Amtshandlungen oder in unangenehmen Situationen gefilmt zu werden, steht nicht unter dem Schutz des § 201 StGB, der ausweislich der amtlichen Überschrift "Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes" ausschließlich an in vertraulicher Gesprächsatmosphäre unter Ausschluss der Öffentlichkeit gesprochene Worte anknüpft.
Dies führt bei konsequenter Beachtung dazu, dass sich die überwiegende Anzahl der Fallkonstellationen, in denen Polizeieinsätze gefilmt werden, stets über das Tatbestandsmerkmal der Nichtöffentlichkeit lösen lassen. Auch, wenn die gefilmten Personen das Filmen missbilligen, ändert dies nichts an der faktischen Öffentlichkeit der gesprochenen Worte. Findet eine Polizeimaßnahme in einem nicht (faktisch) öffentlichen Bereich statt, so sind zumindest die Äußerungen der Beamt: innen mit Rücksicht auf den Normzweck und die Gesetzeshistorie nicht vom Tatbestand des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB umfasst. Aus diesem Grund besteht auf Seiten der Polizei auch keine Befugnis zum gem. § 205 Abs. 1 Satz 1 StGB zur Strafverfolgung erforderlichen Strafantrag. Ein etwaiges Einverständnis der maßnahmenbetroffenen Person wirkt stets tatbestandsausschließend.
Beamte riskieren Strafverfolgung
Dass es sich bei den Verfahren nach § 201 StGB im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen um ein neues Phänomen handelt, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2015 ein vorschnelles Verbot aufgrund des KunstUrhG versperrt hat (1 BvR 2501/13), hinterlässt jedoch den Beigeschmack, die Polizeibeamt: innen suchten angestrengt nach neuen Wegen, das unliebsame Filmen von Einsätzen zu verbieten.
Dabei sollten die Beamt: innen das Strafrecht im Blick haben: Verbieten sie nämlich rechtswidrig das Filmen und setzen dann das von ihnen ausgesprochene Verbot ggf. auch noch unter Anwendung von Zwang durch, könnten sie sich selber strafbar machen: Im Raum steht eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung im Amt, Strafvereitelung im Amt oder Nötigung.
Die aktuell immer wieder aufflammenden Diskussionen um polizeiliches Fehlverhalten veranschaulichen, dass es einer Kontrolle der mit umfangreichen Befugnissen ausgestatteten Polizeibehörden bedarf. Personen, die in Konfliktsituationen mit Polizeibeamt: innen geraten, sind schutzbedürftig. Dieser Schutz, den auch das Recht leisten muss, ist im Übrigen kein Ausdruck allgemeinen Misstrauens oder eines "Generalverdachts" gegen alle Polizeibeamt: innen, sondern die Grundlage für rationales Vertrauen in den Polizeiapparat.
BGH-Entscheidung wünschenswert
Die Funktionalität der Strafverfolgung erfordert das Vertrauen in die Polizei. Ohne die realistische Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle sind Betroffene jedoch individuellen und systemischen Problemen innerhalb der Polizeibehörden schutzlos ausgeliefert. Es wäre daher zu wünschen, dass im Zusammenhang mit dem Filmen von Einsätzen durch eine OLG-Vorlage an den Bundesgerichtshof in Zukunft noch mehr Rechtsklarheit geschaffen wird.
Aktuell besteht für filmende Personen – trotz der aufgezeigten Rechtslage – weiterhin das Risiko der Beschlagnahme des Smartphones und der Strafverfolgung mit ungewissem Ausgang und Länge. Die Folge davon: Es entstehen sog. Chilling effects. Diese führen dazu, dass Polizeimaßnahmen nicht mehr gefilmt werden, um nicht ins Visier der Strafverfolgung zu geraten. Indes: Eine rechtsstaatliche Polizei sollte sich vor rechtsstaatlicher Kontrolle nicht verstecken.
Autor Daniel Zühlke ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kriminalwissenschaften der Goethe Universität in Frankfurt am Main. Bei dem Text handelt es sich um eine Zusammenfassung eines wissenschaftlichen Beitrags mit Literatur- und Rechtsprechungsbelegen aus der Zeitschrift "StV Strafverteidiger Spezial", Heft 2, Juni 2023. Die Zeitschrift wird wie LTO von Wolters Kluwer herausgegeben. Sie ist als Abo hier erhältlich.
Filmen von polizeilichen Maßnahmen: . In: Legal Tribune Online, 03.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51904 (abgerufen am: 21.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag