Felix Damm ist seit 15 Jahren Presseanwalt der Familie Schumacher. Im LTO-Interview spricht er über juristische Kämpfe nach dem Skiunfall und erklärt, warum es keine finale Meldung über Michael Schumachers Gesundheitszustand geben wird.
LTO: Herr Damm, wie lange vertreten Sie die Familie Schumacher?
Felix Damm: Seit 2008 als seinerzeit vereinzelt die ersten Berichte über die Aktivitäten der Kinder auftauchten und die Familie in die Berichterstattung miteinbezogen wurde. Mit Kritik an ihm selbst hatte Michael keine Probleme, worauf es ihm immer ankam, war der der Schutz seiner Familie, ihrer Privatsphäre. In diesem Bereich ließen ihn die Medien aber tatsächlich auch als Familienmensch weitgehend in Ruhe.
Das hat sich dann mit dem Skiunfall Ende 2013 schlagartig geändert?
Mit dem Unfall hat sich der mediale Druck natürlich extrem verändert. Ich habe das Bild von den zahlreichen Journalisten und Fotografen noch im Kopf, die nach dem Unfall noch tagelang vor dem Krankenhaus in Grenoble auf Informationen warteten. Um hier den Druck rauszunehmen, wurde in Pressemeetings, bei denen auch die behandelnden Ärzte dabei waren, erste allgemeine Auskünfte über die Verletzungen gegeben. Das waren also eigentlich Inhalte, die thematisch der Privatsphäre zugeordnet werden. Das war tatsächlich neu. Denn Auskünfte über Privates waren bis dahin eigentlich komplett tabu.
Hat diese Auskunft zum Gesundheitszustand später zu Problemen geführt, wenn Sie gegen Medien juristisch vorgegangen sind, etwa Unterlassung von Berichten gefordert haben?
Grundsätzlich gilt, dass sich niemand auf die Privatheit von solchen Tatsachen berufen kann, die er selbst freiwillig der Öffentlichkeit preisgegeben hat. Die Rechtsprechung spricht in diesem Zusammenhang von der Selbstöffnung der Privatsphäre. Deshalb mussten wir uns in Gerichtsverfahren immer wieder auch mit dem Argument der Selbstöffnung auseinandersetzen. Schließlich hat der BGH uns aber recht gegeben. Er entschied, dass die Ausführungen auf der Pressekonferenz so allgemein waren, dass hiernach nicht über den Gesundheitszustand spekuliert werden dürfe. Abgesehen davon, war aber schon in Frage zu stellen, ob Auskünfte freiwillig erfolgen, wenn sie von Journalisten gefordert werden, die zu Hunderten tagelang das Krankenhaus belagern.
Ist dieser Wunsch mit medialen Spekulationen in Ruhe gelassen zu werden der Grund dafür, warum bis heute der Öffentlichkeit keine konkreten Meldungen über den Gesundheitszustand von Michael Schumacher mitgeteilt werden?
Es ging immer darum, Privates zu schützen. Darüber, wie das möglich ist, haben wir natürlich viel diskutiert. So haben wir auch mal überlegt, ob eine finale Meldung über den Gesundheitszustand von Michael hierfür der richtige Weg sein könnte. Doch danach wäre ja nicht Schluss gewesen und es hätten dann permanent aktualisierte "Wasserstandsmeldungen" erfolgen müssen. Denn als Betroffener hat man es nicht in der Hand, den Medien damit einen Schlussstrich zu verordnen. Diese könnten eine solche Meldung immer wieder aufgreifen und fragen: "Und wie sieht es denn jetzt aus", ein, zwei, drei Monate oder Jahre nach der Mitteilung. Und wenn wir dann gegen diese Berichterstattung vorgehen wollten, müssten wir uns mit dem Argument der freiwilligen Selbstöffnung befassen.
Verstehen Sie die vielen Fans von Schumacher, die wissen wollen, wie es ihm genau geht?
Natürlich. Aber ich glaube auch, dass die allermeisten Fans gut damit umgehen können und es auch respektieren, dass durch den Unfall ein Prozess in Gang gesetzt wurde, bei dem der private Schutzraum notwendig ist und jetzt weiterhin beachtet wird.
Sie hatten schon vor dem Schumacher-Unfall viel presserechtliche Erfahrung. Waren Sie trotzdem erstaunt über die Vehemenz der Berichterstattung?
Erstaunt hat mich, wie viel Medien berichten, obwohl keine belastbaren Informationen vorhanden sind; wie sehr man aus Null-Information vermeintliche Storys stricken kann. Was im Ergebnis so weit gegangen ist, dass "die aktuelle" ein KI-generiertes Interview einfach mal erfunden und auf die Titelseite gehoben hat.
Gab es gegnerische Anwälte, die mit dem Gesundheitszustand von Schumacher argumentiert haben, um Geldentschädigungsansprüche abzuwehren?
Schon. Es gab Medienvertreter, die haben allen Ernstes vorgetragen, dass eine Person, die aufgrund eines Unfalls nicht mitbekomme, wie schwerwiegend eine auf sie abzielende Persönlichkeitsrechtsverletzung sei, wegen dieser Verletzungen auch keine Ansprüche geltend machen könnte. Diese Argumentation, die ja z.B. auch auf Kinder anwendbar wäre, habe ich schon als bemerkenswert zynisch empfunden. Gerade denjenigen den Schutz zu versagen, die besonders verletzlich sind, ist der falsche Weg.
Die Rechtsprechung ist diesen Weg auch nicht mitgegangen und ist dem abseitigen Wunschdenken des Boulevards entgegengetreten. Dass Persönlichkeitsrechte besonders bei vulnerablen Personen nach Gusto verletzt werden dürfen, ohne hierfür zu haften, spiegelt also gottlob nicht die Rechtsprechungswirklichkeit wider.
Wie ist das einzuordnen, wenn Freunde und Bekannte von Michael Schumacher, etwas zum Gesundheitszustand sagen? Wir hatten die Fälle Jean Todt und Georg Gänswein?
Ich hatte ja schon gesagt, dass sich niemand auf die Privatheit solcher Tatsachen berufen kann, die er selbst freiwillig der Öffentlichkeit preisgegeben hat. Wenn nicht der Betroffene selbst agiert, sondern Freunde oder Bekannte Privates ausplaudern, ist dies kein Fall einer "freiwilligen Selbstöffnung" der Privatsphäre. Der Betroffene kann sich also auch dann gegen die Preisgabe privater Lebensumstände zur Wehr setzen, wenn die Informationen von Bekannten stammen.
Nach dem Unfall gab es verschiedene Berichterstattungswellen. Welche waren das?
Nachdem der Unfall redaktionell aufgearbeitet wurde, ging es um Spekulationen über Unfallfolgen, über therapeutische Maßnahmen und gesundheitliche Entwicklungen, angebliche Reisetätigkeiten. Danach zog die Presse "Experten" und unbekannte Freunde aus dem Hut, die, ohne Kenntnisse von den tatsächlichen Umständen gehabt zu haben, ferndiagnostisch geprägte Einschätzungen formuliert haben.
Was war für die Familie Schumacher ihr größter juristischer Erfolg?
Natürlich bemisst sich der Erfolg in der Summe der aufgezeigten und verhinderten redaktionellen Verletzungen der Privatsphäre. Bei gravierenden Rechtsverletzungen ist dies neben dem Verbot der erneuten Veröffentlichung zusätzlich noch mit der Durchsetzung von Geldentschädigungen verbunden. So zum Beispiel als mit dem Satz auf der Titelseite einer Zeitschrift "Er ist nicht mehr unter uns" der geschmacklose Eindruck entstanden ist, Michael Schumacher sei verstorben. Für diesen Satz musste der Verlag 100.000,00 € zahlen. Mir ist kein Fall bekannt, wo für die Veröffentlichung eines Satzes eine höhere Geldentschädigung bezahlt werden musste. Dies kann man durchaus als Erfolg verbuchen.
Glauben Sie, dass Sie insgesamt mit ihrer anwaltlichen Tätigkeit erfolgreich im Sinne der Familie Schumacher agierten?
Unser Vorgehen hat den Persönlichkeitsschutz von Michael Schumacher und seiner Familie gestärkt. Die Medien haben verstanden, dass der Schutz der Privatsphäre auch einem überragenden Sportler zusteht und eine konkrete Berichterstattung über den Gesundheitszustand unzulässig ist. Sie haben verstanden, dass auch solche Berichte unzulässig sind, die medizinische Behandlungen thematisieren oder über konkrete therapeutische Maßnahmen spekulieren. Sie haben verstanden, dass dies auch von den Gerichten, einschließlich des BGH, so beurteilt wird. Allein dass es in diesem Fall um Michael Schumacher geht, ändert hieran nichts. Dies ist angekommen.
Ich bin davon überzeugt, dass es wichtig ist, die grundgesetzlich geschützten Positionen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in einen Ausgleich mit den Interessen der Medien zu bringen. Bei dieser Abwägung ist der überragende Wert des allgemeinen und besonderen Persönlichkeitsrechts zu würdigen. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass die rechtlichen Möglichkeiten limitiert sind. Hinzu kommt, dass in die Entscheidungen Befindlichkeiten, Geschmäcker, Einstellungen etc. der Richter mit einfließen und damit von solchen Unwägbarkeiten beeinflusst werden.
In der Tat gibt es wohl kaum einen rechtlichen Bereich, in dem Gerichte identische Sachverhalte so unterschiedlich beurteilen, wie im Presserecht. Woher kommt das?
Es geht bei der Rechtsfindung immer wieder um Textverständnis und damit auch um die Frage, wie verstehen die Richter den Inhalt eines Beitrages? Dass es hier zu irritierenden Ergebnissen kommen kann, ist evident. Auch wenn es um die Zulässigkeit von Fotoveröffentlichungen geht, sind Überraschungen garantiert. Hier stellt sich regelmäßig die Frage, ob das Foto eines Betroffenen einen Vorgang von zeitgeschichtlicher Bedeutung illustriert, womit die Veröffentlichung möglicherweise zulässig wäre.
Wird etwa darüber berichtet, dass die Familie "zusammenhält", ist der Hinweis auf eben diesen Zusammenhalt eigentlich eine Selbstverständlichkeit und natürlich kein zeitgeschichtliches Ereignis. Das Oberlandesgericht Frankfurt sieht hierin aber ein Ereignis von zeitgeschichtlicher Bedeutung. Ein Jahrzehnte altes Foto aller Familienmitglieder darf also veröffentlicht werden. Mich hat das bestenfalls nicht überzeugt.
Um dieser Willkür zu entgehen – würden Sie ein Persönlichkeitsrechts-Gesetz begrüßen statt dem aktuell überwiegendem Richterrecht?
Nein. Ich bin zwar der Meinung, dass die Offenheit für Wertungen mitunter zu verstörenden Ergebnissen führt. Doch die Schwäche dieses Systems ist gleichzeitig seine Stärke. Denn es ist natürlich gut, dass man darüber diskutieren kann, ob zum Beispiel eine Aussage eine Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung ist. Es ist gut und wichtig, dass auch vor Gericht der Diskurs über Freiheit und Grenzen der Berichterstattung erhalten bleibt und nicht schematisch durch Normen vorgegeben ist.
Herr Damm, vielen Dank für das Gespräch.
10 Jahre nach dem Unfall von Michael Schumacher: . In: Legal Tribune Online, 21.10.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52968 (abgerufen am: 16.11.2024 )
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