2/2: Europarechtler: "Ein geschickter Schachzug"
Der Juraprofessor Martin Nettesheim hält die Position des Parlaments für außergewöhnlich gut vorbereitet. "Die Abgeordneten führen sehr präzise und umfassend eine Reihe von Argumenten auf."
Für rechtlich zwingend hält er es allerdings nicht, dass das Parlament über seinen Sitz selbst bestimmen können muss. Ein Blick in andere Verfassungen parlamentarischer Demokratien zeige, dass es meist anders laufe. Auch der Bundestag entscheidet nicht autonom über seinen Sitz. Die Frage ist gesetzlich im Berlin/Bonn-Gesetz geregelt.
Es gebe jedoch eine politische Verpflichtung, die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu schützen, so der Tübinger Europarechtler. "Letztlich sind sich alle einig, dass die Aufteilung auf Brüssel und Straßburg suboptimal ist."
Der Vorstoß der Parlamentarier sei außerdem ein geschickter Schachzug, um die Diskussion am Laufen zu halten. Die Finanzkrise und die Europa-Diskussion in Großbritannien würden sicherlich dazu führen, dass nach den Europawahlen in der zweiten Jahreshälfte 2014 die konstitutionelle Debatte in der EU weitergeführt werde. In diesem Zusammenhang könne auch die Frage nach dem Sitz des Parlaments neu angegangen werden.
Parlament wollte Frankreich schon einmal austricksen
Zuletzt haben die Parlamentarier 2011 aufbegehrt, indem sie einfach den Sitzungskalender für die Jahre 2012 und 2013 änderten. Eine der beiden viertägigen Plenarsitzungswochen im Oktober strichen die Abgeordneten schlicht, und teilten die verbliebene Sitzungswoche in zwei auf. Schon diesen Trick machte Frankreich aber nicht mit und beschwerte sich beim Europäischen Gerichtshof (EuGH), der dem Land Recht gab und das Parlament in seine Schranken verwies.
Die Richter nutzten die Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, dass selbst dann, wenn die Pluralität der Arbeitsorte tatsächlich Nachteile und Kosten verursachen sollte, es allein Sache der Mitgliedstaaten sei, dies zu ändern. Die interne Organisationsgewalt des Parlaments sei im Übrigen nicht dadurch beeinträchtigt, dass die Mitgliedstaaten über den Sitz der Institution entscheiden würden (Urt. v. 13.12.1012, Az. C-237/11).
Auch in Zukunft werden die Richter den Abgeordneten nicht weiterhelfen können. Formal ist der Antrag der Parlamentarier lediglich ein Vorschlag an die Mitgliedstaaten, die Verträge zu ändern. Das Parlament kann solche Vertragsänderungen lediglich anstoßen, Art. 48 Abs. 2 S. 1 Vertrag über die Europäische Union. "Sollten die Mitgliedstaaten auch den aktuellen Vorstoß des Parlaments nicht aufgreifen, können die Abgeordneten wenig tun. Der EuGH wäre für eine Klage schon nicht zuständig, da er über die Gültigkeit der Verträge nicht zu entscheiden hat", erklärt Nettesheim.
Sitzfragen immer ein Gesamtpaket
Die Abgeordneten betonen übrigens, dass sie mit ihrem Antrag ausdrücklich keine Empfehlung aussprechen, wo das Parlament künftig seinen Sitz haben soll. Das klingt ein bisschen so, als ob alles möglich wäre: Paris, Rom, Warschau und ganz vielleicht auch irgendwie Brüssel.
Tatsächlich liest man aber an vielen Stellen immer wieder Brüssel aus dem Bericht heraus. "Aus Gründen der Effizienz, auf die die Parlamentarier verweisen, würde ja auch nur dieser Standort Sinn ergeben“, findet Nettesheim.
So leicht werden sich die Franzosen also wohl nicht austricksen lassen. "Sitzfragen waren in der EU immer Teil eines Gesamtpakets. Dass die EZB ihren Sitz in Frankfurt hat, hängt auch damit zusammen, dass Deutschland keine Ansprüche gestellt hat, was den Sitz des Parlaments betrifft", sagt Nettesheim. Auf jeden Fall werde man Frankreich eine Kompensation anbieten und zum Ausgleich ein anderes Gremium oder eine EU-Behörde in Straßburg ansiedeln müssen, etwa den Ausschuss der Regionen oder den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss.
Claudia Kornmeier, Sitz des EU-Parlaments: . In: Legal Tribune Online, 20.11.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/10104 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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