Peinliche Geschichten über Schöffen gibt es viele. Schläfrig, abwesend, überfordert erscheinen sie dann. Dieses Bild wollen 17 europäische Fachverbände nun korrigieren und haben in Brüssel die "Europäische Charta der Ehrenamtlichen Richter" unterzeichnet. Darin fordern sie mehr Sachverstand bei den Freizeitrichtern – und stellen das Amt damit grundsätzlich in Frage. Ein Beitrag von Christopher Hauss.
Hasso Lieber ist sauer. Gerade erst wurde ein Schöffe beim Breivik-Prozess dabei erwischt, wie er sich während der Verhandlung mit Videospielen ablenkte. "Das ist nicht nur ein Ärgernis für dieses wichtige Verfahren in Norwegen, sondern wirft ein schlechtes Licht auf den ganzen Stand", sagt Lieber. Der frühere Berliner Justizstaatssekretär ist Vorsitzender des Bundesverbandes ehrenamtlicher Richterinnen und Richter. Unter seiner Leitung wurde die Charta ausgearbeitet. Sie soll Grundlage für ehrenamtliche Richtertätigkeit in ganz Europa sein und Mindeststandards festlegen. Zentraler Punkt ist jedoch ein neues Grundverständnis von der Rolle der Laienrichter.
Während Laienrichter heute im Idealfall dafür sorgen, dass die Lebenswirklichkeit bei der Rechtsfindung nicht außer Acht gelassen wird, sollen sie künftig stärker als fachkundige Berater wirken. "Wir wollen bei der Wahl der Ehrenamtlichen mehr als bisher auf deren praktische Sachkenntnis achten. Dafür brauchen wir eine Gesetzesänderung", sagt Lieber. Es könne die Qualität der Urteile nur verbessern, wenn sich die Richter beispielsweise nicht allein auf die Sachverständigengutachten verlassen müssten. Tatsächlich steigt der Einfluss von Gutachtern, je komplexer die Verfahren werden. Gutachten werden dann leicht zu Urteilen. Laienrichter könnten hier einen Kontrapunkt setzen.
Sachverständigenwissen durch die Hintertür
Die ehemalige Richterin Brigitte Koppenhöfer hält von dieser Rollenverschiebung allerdings gar nichts. Sie hat sich als Vorsitzende im Mannesmann-Verfahren einen Namen gemacht und auch als Jugendrichterin Erfahrungen mit Schöffen gesammelt: "Ich sehe hier eine gefährliche Entwicklung. Es wird versucht, unkontrolliert Wissen durch die Hintertür in das Verfahren einzuschleusen." Weder Verteidigung noch Staatsanwaltschaft könnten überprüfen, woher die Sachinformationen kommen, wenn sie der Schöffe im Beratungszimmer erzählt hat.
Im Gegensatz zum US-amerikanischen Recht haben die Parteien in Deutschland keine Möglichkeit, Schöffen zu befragen. Die Bereitschaft der Richter, auf die rechtlichen Laien zu hören, sei ohnehin gering. "Wenn ich Sachverstand will, dann bestelle ich einen Sachverständigen", so Brigitte Koppenhöfer.
Die schwierige Suche nach den ehrenamtlichen Richtern
Falls sich das Schöffenamt tatsächlich weiterentwickelt, stünde das Justizsystem schnell vor der nächsten Schwierigkeit. Woher sollen die Laienrichter mit Sachverstand kommen? Schon heute sind Schöffenwahlen enorm aufwendig und Freiwillige nicht überall leicht zu finden. Zudem nimmt die Bereitschaft der Unternehmen ab, Angestellte für das Ehrenamt frei zu stellen.
Gerade wurde damit begonnen, Verwaltungsbeamte in den bundesdeutschen Kommunen für die Wahlen im Jahr 2013 fit zu machen. Gegenwärtig sind knapp 37.000 Deutsche als Laienrichter in Strafverfahren tätig. Es ist für die Gemeinden nicht einfach, diese vielen Stellen alle fünf Jahre neu zu besetzen, damit die Prozesse mit Schöffenbeteiligung auch ordnungsgemäß stattfinden können. "Jede zweite Besetzungsrüge würde heute greifen, wenn sich die Verteidiger die Besetzungslisten genauer anschauen würden", berichtet Brigitte Koppenhöfer. Eine strengere Auswahl nach Sachkenntnis könnte dieses Problem eher noch verschärfen. Wer will schon tagsüber ehrenamtlich Richter spielen, wenn er mit seiner Fachkenntnis Geld verdienen kann? Zudem stellt sich die Frage nach dem Sinn des Laienrichters, wenn nicht mehr jeder mitmachen darf.
Abschaffen will Hasso Lieber die Schöffen nicht. Eine grundsätzliche Debatte über das Amt wäre ihm jedoch durchaus recht: "Ehrenamtliche Richter übernehmen in fast allen Bereichen der Rechtspflege Verantwortung für das Schicksal von Menschen, über deren Rechte oder gar deren Freiheit sie mitentscheiden. In der öffentlichen Wahrnehmung hingegen geht diese wichtige Aufgabe unter. Die Justiz ist aber zu wichtig, um sie allein Juristen zu überlassen." Vielleicht hilft ja der jetzt neu eingeführte "Europäische Tag des ehrenamtlichen Richters". Wer den feiern will, muss sich allerdings bis zum 11. Mai 2013 gedulden. Bis dahin ist zumindest ausreichend Zeit, um noch ein bisschen am Image der Schöffen zu feilen.
Der Autor Christopher Hauss ist Jurist und Berater für strategische und politische Kommunikation bei der Berliner Agentur mfm - menschen für medien, die Ministerien, Bundestags- und Landtagsfraktionen, einzelne Politiker in Bund und Ländern sowie Unternehmen und Verbände berät. Er ist Dozent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung (BAköV).
Christopher Hauss, "Europäische Charta der Ehrenamtlichen Richter" unterzeichnet: . In: Legal Tribune Online, 11.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6359 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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