EuGH zum Mindesturlaub: Urlaubsentschädigung auch für kranke Beamte

von Christian Oberwetter

04.05.2012

Ein Beamter, der bei Eintritt in den Ruhestand seinen Mindesturlaub nicht mehr wahrnehmen kann, weil er lange erkrankt war, hat einen Anspruch auf eine finanzielle Abgeltung seiner Mindesturlaubstage. Das entschied der EuGH am Donnerstag. Was national dennoch geregelt werden kann und was das für Arbeitgeber und Gewerkschaften bedeutet, erklärt Christian Oberwetter.

In den letzten Jahren hat das Urlaubsrecht tiefgreifende Wandlungen durchgemacht. Jahrzehntelang galt das einfache Prinzip, dass nicht in Anspruch genommener Jahresurlaub nach drei Monaten verfällt. Wer wegen Krankheit seinen Urlaub nicht nehmen konnte, hatte Pech: Weder Urlaubstage noch eine Abgeltung musste ihm sein Arbeitgeber gewähren.

Dieser aus § 7 Abs.3 Bundesurlaubsgesetz (BurlG) folgende Grundsatz wurde mit Inkrafttreten der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung brüchig. Nach der Richtlinie wird den EU-Mitgliedstaaten ein vierwöchiger Mindesturlaub vorgegeben, der außer bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Entschädigung ersetzt werden darf.

Erst als der Europäische Gerichtshof (EuGH) sie auslegte, erwies sich der Sprengstoff, der in der EU-Regelung steckte: In der Rechtssache Schultz-Hoff (EuGH, Urt. v. 20.01.2009 , Az. C-350/06) entschieden die Europarichter, dass der Mindesturlaubsanspruch dauerhaft erkrankter Arbeitnehmer nicht nach drei Monaten verfalle. Arbeitnehmer können danach ihren Mindesturlaub nach Ende ihrer Erkrankung  in Anspruch nehmen. Scheiden sie aus dem Arbeitsverhältnis aus,  können sie eine Entschädigung für den nichtgewährten Urlaub verlangen.

Der Feuerwehrmann, der Urlaubsentschädigung wollte

Gilt dieser Grundsatz aber auch für Beamte? Mit dieser Frage hatte sich der EuGH aufgrund einer Vorlage des Verwaltungsgerichts (VG) Frankfurt zu befassen.  Den Fall angestoßen hatte ein Feuerwehrmann, der seit 1970 bei der Stadt Frankfurt in Diensten stand, zuletzt als Hauptbrandmeister. Seit dem Juni 2007 war er wegen Krankheit bis zum Eintritt in seinen Ruhestand im August 2009 dienstunfähig.

Den nicht genommenen Urlaub  wollte der Hauptbrandmeister gerne in bar abgegolten sehen und errechnete bei einem Anspruch von 26 Urlaubstagen jährlich sowie Feiertagsausgleich eine Entschädigung von 86 Urlaubstagen. Er forderte die Stadt Frankfurt am Main zu einer Zahlung von ca. 17.000 Euro auf.

Diese aber beschied dem Feuerwehrmann kühl, dass nach den für ihn geltenden Vorschriften der Urlaub spätestens neun Monate nach Ende des Urlaubsjahres genommen werden müsse und eine Geldabfindung für nicht genommenen Urlaub im deutschen Beamtenrecht nicht vorgesehen sei. Daraufhin reichte er Klage ein.

EuGH: Entschädigung für Mindesturlaub - und Schluss

Der EuGH bestätigte nun die Anwendbarkeit der EU-Richtlinie auf Beamte (Urt. v. 03.05.2012, Az. C-337/10). Die Regelung gelte für alle privaten und öffentlichen Tätigkeitsbereiche und damit auch für jemanden, der gewöhnlich als Feuerwehrmann tätig sei. Da das Dienstverhältnis des Hauptbrandmeisters mit Eintritt in den Ruhestand beendet worden sei und er aus Krankheitsgründen seinen Urlaub nicht mehr nehmen konnte, stehe ihm ein Entschädigungsanspruch zu, so die europäischen Richter.

Dieser beschränke sich aber auf den Mindesturlaubsanspruch von zwanzig Tagen jährlich. Für darüber hinausgehende Urlaubsansprüche könnten nationale Vorschriften vorsehen, dass keine finanzielle Abgeltung erfolge. Schließlich hielt der EuGH in Anlehnung an die bisherige Rechtsprechung (Urt. v. 22.11.11, C-214/10 - Schulte/KHS,) fest, dass Abgeltungsansprüche zeitlich beschränkt werden können.

Allerdings müsse der Übertragungszeitraum die Dauer des Bezugszeitraums, für die er gewährt werde, deutlich überschreiten. Das sei im entschiedenen Fall nicht gegeben, der Übertragungszeitraum betrage weniger als ein Jahr, nämlich lediglich neun Monate.

Mindest- und Zusatzurlaub getrennt regeln

Die öffentlichen Arbeitgeber müssen sich also daran gewöhnen, was für die privaten Unternehmen schon gilt: Urlaubsansprüche dauerhaft erkrankter Arbeitnehmer müssen abgegolten werden, allerdings nur die Mindestansprüche.

Theoretisch sind Mindesturlaubsanspruch und Zusatzurlaub einfach zu trennen, in der Praxis stellen sich jedoch oft Probleme, vor allem dann, wenn ein Arbeitnehmer Teile des Urlaubs in Anspruch genommen hat. Es existieren nämlich keine gesetzlichen Vorschriften, wonach erst der Zusatzurlaub und dann der Mindesturlaub zu nehmen ist. Das BAG will auf dieser Grundlage eine getrennte Behandlung des Urlaubs nur zulassen, wenn beide Ansprüche bereits bei der Gewährung getrennt aufgeführt werden (BAG, Urt. v. 04.05.2010, Az.9 AZR 183/09).

Nach der europäischen Entscheidung gilt daher weiterhin: Arbeitgeber sollten in ihren Arbeitsverträgen Mindest- und Zusatzurlaub für den Fall, dass die Inanspruchnahme wegen Krankheit nicht möglich war, getrennt aufführen. Auch unterschiedliche Verfallfristen sind konkret aufzunehmen. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften sind aufgefordert, transparente tarifvertragliche Regelungen zu verhandeln. Und alle dauerhaft erkrankten Feuerwehrmänner, die kurz vor ihrem Ruhestand stehen, können schon mal in aller Ruhe ihren Durst mit einem Bier löschen. Mindestens.

Der Autor Christian Oberwetter, Rechtsanwalt und Maître en droit, ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und IT-Recht in Hamburg.

Zitiervorschlag

Christian Oberwetter, EuGH zum Mindesturlaub: . In: Legal Tribune Online, 04.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6125 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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