Juristischer Schlussstrich unter einer hitzigen Debatte: Der EuGH hat keine unionsrechtlichen Bedenken gegen den Streitschlichtungsmechanismus im CETA-Abkommen. Das überzeugt und führt zurück zu Rechtssicherheit, analysiert Christian Tietje.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat keine Bedenken gegen die Investor-Staat-Streitbeilegung, wie sie im Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (CETA) vorgesehen ist (EuGH-Gutachten 1/17 vom 30.04.2019). Politisch mag das in manchen Kreisen Enttäuschung hervorrufen, juristisch waren die Aussagen des EuGH vorhersehbar und kommen insofern wenig überraschend.
Der EuGH hatte auf Antrag Belgiens drei wesentliche Fragen zu der in CETA vorgesehenen Investor-Staat-Streitbeilegung zu klären: Ob die Autonomie der Rechtsordnung der Union beeinträchtigt wird, ob Widersprüche zum Grundsatz der Gleichbehandlung und dem Gebot der Wirksamkeit des Unionsrechts bestehen und schließlich ob das Individualrecht auf Zugang zu einem unabhängigen Gericht beeinträchtigt ist.
Im Ergebnis hatte der EuGH unter keinem der drei Gesichtspunkte unionsrechtlichen Bedenken.
EuGH: CETA-Gerichtssystem steht außerhalb der Rechtsordnung der EU
Zur Frage der Autonomie der Rechtsordnung der Union verwies der Gerichtshof im Kern auf den rein völkerrechtlichen Charakter des CETA-Gerichtssystems. Die ausschließlich völkerrechtliche Struktur zeige sich insbesondere in den maßgeblichen Regelungen zum anwendbaren Recht.
Investitionsschiedsgerichte nach CETA sind – wie auch sonst im internationalen System – völkerrechtlich begründet und dürfen ausschließlich CETA als völkerrechtlichen Vertrag anwenden. Innerstaatliches Recht bzw. EU-Recht findet nur als feststehende, nicht aber interpretationsfähige Tatsache Anwendung. Damit steht das CETA-Gerichtssystem außerhalb der Rechtsordnung der Union (wie auch u.a. des deutschen Verfassungsrechts) und kann daher seine Autonomie nicht beeinträchtigen.
Zu Diskussionen Anlass geben könnte allerdings die Feststellung des EuGH, dass auch der rein völkerrechtliche Charakter des Streitbeilegungssystems nicht dazu führen dürfe, dass durch Investitionsschutzstandards in CETA Schutzstandards für wichtige öffentliche Interessen wie etwa Umwelt und Gesundheit infrage gestellt werden, die von der EU in demokratischen Verfahren festgelegt wurden.
Für CETA ist das aufgrund zahlreicher Bestimmungen gewährleistet. Aber auch ansonsten ist die Achtung staatlich geregelter Schutzniveaus für öffentliche Interessen in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit seit vielen Jahren umfassend anerkannt und in der schiedsgerichtlichen Praxis weitreichend bestätigt. In den Aussagen des EuGH im Gutachten 1/17 ist also nichts Spektakuläres zu erblicken.
Rechtsschutz für ausländische Investoren ist der Sinn der Sache
Das gilt ebenso für die Ausführungen des Gerichtshofs zur vermeintlichen Ungleichbehandlung im Hinblick auf Rechtsschutzmöglichkeiten für Inländer bzw. Unionsangehörige. Das Argument, Ausländer erhielten zusätzliche völkerrechtliche Rechtsschutzmöglichkeiten bei entsprechenden Investitionen innerhalb der EU, kann nicht überzeugen.
Es liegt in der Natur völkerrechtlicher Abkommen, dass die Vertragsparteien jeweils nur ausländischen Personen Rechte zusprechen. Wollte man hierin eine Ungleichbehandlung sehen, würden völkerrechtliche Regelungsstrukturen umfassend infrage gestellt.
Das hat nichts mit der Frage zu tun, ob dogmatisch auf den Gleichbehandlungsgrundsatz bezogen immer nur Maßnahmen desselben Hoheitsträgers beachtet werden dürfen. Im völkerrechtlichen Kontext, der durch Reziprozität gekennzeichnet ist, ist die Frage der Gleichbehandlung in einem größeren grenzüberschreitenden Zusammenhang zu sehen. Das kommt im Gutachten überzeugend zum Ausdruck.
Auf dem Weg zu einem Investitionsgerichtshof
Bei den abschließenden Ausführungen des Gerichtshofs zum Recht auf Zugang zu einem unabhängigen Gericht macht der EuGH letztlich deutlich, dass mit der Verfestigung gerichtsähnlicher Strukturen in der Investor-Staat-Streitbeilegung auch eine verstärkte Beachtung von Justizgrundrechten einhergehen muss.
Insofern ist es konsequent, wenn der EuGH das von der EU angestrebte Gerichtssystem zum Investorenschutz, das die bisherige klassische Schiedsgerichtsbarkeit in diesem Bereich gerichtsähnlich weiterentwickelt, nunmehr intensiver an den Justizgrundrechten misst.
Die Ausgestaltung des Gerichtssystems in CETA, das für die EU modellhaft ist, entspricht dem. Insofern weist das Gutachten auch den von der EU politisch verfolgten Weg hin zu einem multilateralen Investitionsgerichtshof.
Klare Vorgaben für Gesetzgeber und Bundesverfassungsgericht
Das einschlägige Kapitel in CETA zum Gerichtssystem im Investitionsschutz ist bislang weder vorläufig noch endgültig in Kraft gesetzt. Hier geht es um eine gemischte Zuständigkeit von EU und Mitgliedstaaten. Das völkerrechtliche Inkrafttreten hängt damit auch von einer Ratifikation durch die Mitgliedstaaten der EU ab, allerdings in der materiellen Entscheidungskompetenz begrenzt auf die Investitionsgerichtsbarkeit.
Für die notwendige Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften in Deutschland (Art. 59 Abs. 2 GG) muss das wegweisende Gutachten 1/17 handlungsleitend sein. Das gilt ebenso für die noch anhängigen Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, die sich mit CETA befassen.
Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismen sind ein wesentlicher Bestandteil des Systems der internationalen friedlichen Streitbeilegung und begegnen keinen rechtsstaatlichen Bedenken. Das ist die zentrale Erkenntnis aus dem überzeugenden Gutachten des EuGH.
Prof. Dr. Christian Tietje, LL.M. (Michigan), ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht und Internationales Wirtschaftsrecht an der Juristischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Er hat die Debatte zur Investor-Staat-Streitbeilegung in den letzten Jahren wissenschaftlich und in der Politikberatung intensiv begleitet und ist selbst immer wieder als Gutachter und Schiedsrichter in internationalen Schiedsverfahren tätig.
EuGH-Gutachten zu CETA: . In: Legal Tribune Online, 02.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35167 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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