Generalanwalt widerspricht EU-Kommission: Grünes Licht für Intra-EU-BITs

von Dr. Alexandra Diehl

19.09.2017

Bilaterale Investitionsschutzverträge sind mit dem EU-Recht vereinbar. Mit dieser Einschätzung widerspricht der Generalanwalt der EU-Kommission. Und könnte eine kleine Revolution der Schiedsgerichtsbarkeit einleiten, meint Alexandra Diehl.

Schon lange sind sie der EU-Kommission ein Dorn im Auge: die sog. Intra-EU-BITs, d.h. bilaterale Investitionsschutzverträge (Bilateral Investment Treaties) zwischen EU-Staaten. Ihre Bemühungen, den Stachel zu entfernen, sind jetzt erschwert worden: Melchior Wathelet plädierte am Dienstag in seinen Schlussanträgen im Vorlageverfahren Achmea dafür, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Frage, ob Schiedsklauseln in Intra-EU-BITs unionsrechtskonform sind, mit einem klaren "Ja" beantwortet.

Der Generalanwalt fand starke Worte für seine Rechtsauffassung und wies darauf hin, dass die Streitbeilegungsklauseln in Intra-EU-BITs das Machtgefüge der europäischen Verträge nicht verschöben. Wathelet stärkt damit der innereuropäischen Investitionschiedsgerichtsbarkeit und ihren Befürwortern Deutschland, Finnland, Frankreich, Niederlande und Österreich den Rücken.

Vorlageverfahren: Liberalisierung der Versicherungsbranche

Der Vorlage liegt der Aufhebungsantrag der Slowakei bezüglich des Endschiedsspruchs im Investitionsschiedsverfahren Achmea (vormals Eureko) gegen Slowakei zugrunde. Auf Basis eines  BITs zwischen der Slowakei und den Niederlanden hatte das  niederländische Finanz- und Versicherungsunternehmen 2008 gegen die Slowakei eine Klage angestrengt. Anlass dafür war, dass Achmea bzw. dessen Vorgängerunternehmen Eureko B.V. nach der Liberalisierung des slowakischen Marktes für private Krankenversicherungen im Jahr 2004 ein Tochterunternehmen in der Slowakei gegründet hatte.

Nach einem Regierungswechsel im Jahr 2006 machte die Slowakei die Liberalisierung des Krankenversicherungsmarktes teilweise wieder rückgängig: Sie verbot u.a. mit Gesetz vom 12. Dezember 2006 den Einsatz von Versicherungsmaklern und mit Gesetz vom 25. Oktober 2007 die Ausschüttung von Gewinnen aus dem Krankenversicherungsgeschäft. Im Januar 2011 erklärte das slowakische Verfassungsgericht das gesetzliche Verbot von Gewinnausschüttungen für verfassungswidrig.

Das Schiedsverfahren endete mit einem Schiedsspruch in Höhe von EUR 22,1 Mio. plus Zinsen zugunsten von Achmea. Sitz des Schiedsgerichts war Frankfurt. Deswegen musste die mit dem Schiedsspruch unzufriedene beklagte Slowakei auch deutsche Gerichte anrufen, um eine Aufhebung des Schiedsspruches zu beantragen. Sie biss dabei auf Granit: Sowohl das Oberlandesgericht Frankfurt als auch der Bundesgerichtshof (BGH) lehnten jegliche Kollision mit dem Unionsrecht ab.

Kommission sieht Einheitlichkeit des EU-Rechts gefährdet

Ganz anders die Rechtsauffassung der EU-Kommission: Sie betonte, dass Schiedsklauseln in Intra-EU BITS Art. 344 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU (AEUV) verletzten. Nicht private Schiedsgerichte, sondern der EuGH solle über Klagen von EU-Investoren gegen EU-Staaten entscheiden, da ansonsten die einheitliche Anwendung des Unionsrechts gefährdet sei.

Art. 344 AEUV sieht vor, dass Streitigkeiten über die Auslegung der Unionsverträge nur durch die in diesen Verträgen geregelten Verfahren beigelegt werden sollten. Die Unionsverträge enthalten aber kein Verfahren zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Investoren aus EU-Ländern. Generalanwalt Melchior Wathelet befand daher: Was nicht existiert, kann auch keinen Vorrang haben.

Dem stehe auch nicht Art. 267 AEUV entgegen, demzufolge nationale Gerichte Rechtsfragen betreffend die Auslegung der europäischen Verträge dem EuGH vorlegen können und in manchen Fällen auch müssen: Denn Schiedsgerichte, so Wathelet, leiteten ihre Zuständigkeit aus wirksamen völkerrechtlichen Vereinbarungen her und fällten ihre Entscheidung unabhängig und unparteiisch auf gesetzlicher Grundlage. Sie seien daher genau wie staatliche Gerichte vorlageberechtigt.

Kleine Revolution der Schiedsgerichtsbarkeit

Die Selbstverständlichkeit, mit der Generalanwalt Wathelet Investitionsschiedsgerichte als vorlageberechtigt einstuft, kommt einer kleinen Revolution in der Schiedsgerichtsbarkeit gleich und könnte ihr positiven Aufwind verleihen: Die Frage, ob und vor allem unter welchen Umständen Schiedsgerichte den EuGH anrufen können, ist seit vielen Jahren umstritten.

Der EuGH nahm hierzu zuletzt im Jahr 2014 in Sachen Merck Canada Inc. gegen Accord Healthcare Ltd u.a. Stellung. Er fasste in diesem Fall die in seiner bisherigen Rechtsprechung entwickelten Kriterien für das Bestehen der Eigenschaft eines Gerichts im unionsrechtlichen Sinn prägnant zusammen: Die vorlegende Einrichtung bedürfe einer gesetzlichen Grundlage und zwingenden Zuständigkeit, müsse dauerhaft bestehen und in einem streitigen Verfahren unter Anwendung des geltenden Rechts unabhängig eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter treffen. Im Achmea-Fall ist eines dieser Kriterien höchst problematisch.

Zitiervorschlag

Generalanwalt widerspricht EU-Kommission: . In: Legal Tribune Online, 19.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24599 (abgerufen am: 06.11.2024 )

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