EuGH-Generalanwalt zum Schächten von Tieren: Prak­ti­sche Kon­kor­danz im Schlachthof

von Thomas Traub

30.11.2017

2/2: Einschränkungen zum Schutz von Mensch und Tier angemessen

Wahl betont in seinen Schlussanträgen auch, dass die angegriffene europäische Vorschrift das Schächten auch gar nicht per se verbiete. Sie gebe lediglich einen Rahmen vor und gestatte das rituelle Schlachten ausschließlich in zugelassenen Schlachthöfen. Dies diene dem Schutz der menschlichen Gesundheit ebenso wie dem Tierschutz und der Lebensmittelsicherheit.

Auch das ist eine absolut nachvollziehbare Argumentation: Die Schlachthöfe stehen unter der Aufsicht der Behörden und müssen technische Anforderungen an die Lagerung und Kühlung erfüllen, "wilde Schlachtungen" sollen verhindert werden. Diese gesetzlichen Vorgaben können zumutbar auch bei rituellen Schlachtungen beachtet werden. Auch nach den Glaubenssätzen der klagenden Muslime spricht nichts dagegen, das Schächten – ausschließlich – in zugelassenen Schlachthöfen durchzuführen.

Dass die Streitigkeit überhaupt vor die belgischen Gerichte ging und letztlich vor dem EuGH ausgefochten wird, hat einen viel weniger spektakulären Hintergrund als die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von Tierschutz und Religionsfreiheit: Nachdem die belgischen Behörden keine vorübergehenden Schlachtstätten aus Anlass des Opferfests bewilligen wollten, kam es in den zugelassenen Schlachthöfen zu Kapazitätsproblemen und die Nachfrage konnte nicht gestillt werden. Solche Probleme stellen aber nicht die gesetzliche Regelung in Frage, wie der Generalanwalt richtiger Weise feststellt. Sie müssen vielmehr im Einzelfall gelöst werden - und wurden es offenbar inzwischen auch.

Rechtslage in Deutschland

In Deutschland ist das Schlachten ohne vorherige Betäubung nach § 4a Tierschutzgesetz grundsätzlich verboten. Das Verbot dient dem Tierschutz, der nach Art. 20a Grundgesetz Verfassungsrang hat. Allerdings lässt die Vorschrift Ausnahmen zu. Eine Genehmigung darf erteilt werden, um den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft das Schächten vorschreiben oder den Genuss von Fleisch nicht geschächteter Tiere untersagen. Ziel der Regelung ist es insbesondere, den Grundrechtsschutz gläubiger Muslime und Juden zu wahren.

Das Bundesverfassungsgericht (Urt. v. 15.02.2002, Az. 1 BvR 1783/99) hat entschieden, dass diese Ausnahme nicht so eng ausgelegt und angewendet werden darf, dass die Religionsfreiheit praktisch leer läuft. Danach besteht ein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung, wenn der Gläubige substantiiert und nachvollziehbar darlegt, dass nach der gemeinsamen Glaubensüberzeugung einer religiösen Gemeinschaft der Verzehr des Fleischs von Tieren zwingend eine betäubungslose Schlachtung voraussetzt.

Es wäre eine Überraschung, wenn der Europäische Gerichtshof in seinem ausstehenden Urteil zu einem völlig anderen Ergebnis käme als jenes, das der Generalanwalt überzeugend vorgetragen hat. Der Fall zeigt einmal mehr die effektive Lösung von Konflikten zwischen verschiedenen Grundrechten und Verfassungsgütern: Es geht nicht um einen generellen Vorrang von Religionsfreiheit gegenüber dem Tierschutz oder umgekehrt. Gesucht wird eine Lösung, die alle Belange im konkreten Einzelfall möglichst schonend zum Ausgleich und zugleich zur Wirkung bringt. Mit den Worten des bedeutenden Rechtswissenschaftlers und Verfassungsrichters Konrad Hesse: Es geht um die Herstellung praktischer Konkordanz.

Der Autor Thomas Traub ist Lehrbeauftragter an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung. Zuvor war er Akademischer Rat am Institut für Kirchenrecht der Universität Köln.

Zitiervorschlag

Thomas Traub, EuGH-Generalanwalt zum Schächten von Tieren: . In: Legal Tribune Online, 30.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25785 (abgerufen am: 06.11.2024 )

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