Betreiber von öffentlichen WLAN-Netzwerken könnten bald in den Genuss eines Haftungsprivilegs kommen, wenn der EuGH der Ansicht des Generalanwalts folgen sollte. Rolf Schwartmann und Christian-Henner Hentsch warnen vor Missbrauchsgefahren.
Wenn Telekommunikationsunternehmen einen Zugang zum Internet bereitstellen, müssen sie sich keine Gedanken über eine Haftung für die von ihnen übermittelten Informationen machen. Die EU wollte mit der eCommerce-Richtlinie (RL 2000/31 EG) die noch relativ junge TK-Wirtschaft stärken und damit den Zugang der EU-Bürger zum Internet fördern. Unklar war bislang, ob und inwieweit ein Gewerbetreibender, der ein öffentlich zugängliches WLAN-Netz unentgeltlich anbietet, ein Vermittler im Sinne dieser Richtlinie ist.
Einen solchen Fall entscheidet bald der Europäische Gerichtshof (EuGH), die Schlussanträge dazu wurden heute vorgelegt. Das Musiklabel Sony hat den Inhaber eines Geschäfts für Licht- und Tontechnik, Herrn Tobias Mc Fadden, wegen einer Urheberverletzung über sein öffentlich zugängliches WLAN-Netz verklagt (Az. C484/14). Mc Fadden konnte beweisen, dass er die Rechtsverletzung nicht selbst begangen hat. Allerdings hatte er sein WLAN-Netz nicht durch ein Passwort gesichert. Das Landgericht (LG) München I hat diesen Rechtsstreit dem EuGH vorgelegt.
Gesellschaftliche Nachteile überwiegten Interessen der Rechteinhaber
EuGH-Generalanwalt Szpunar ist der Ansicht, dass die Haftungsbeschränkung der eCommerce-Richtlinie auch für die unentgeltliche Zurverfügungstellung eines WLAN-Netzes in Nebentätigkeit gilt. Der Betreiber sei somit weder zum Schadensersatz verpflichtet noch zur Tragung der Abmahnkosten oder anderer Kosten der Rechtsdurchsetzung. Eine Sicherung des Zugangs sei ebenfalls nicht erforderlich, da die gesellschaftlichen Nachteile durch die Zugangssicherung den möglichen Vorteil für die Rechteinhaber wie Sony überwiegen würden.
Rechteinhaber könnten jedoch bei nationalen Gerichten gerichtliche Anordnungen gegen die Betreiber erwirken, um die Rechtsverletzung zu beenden oder zu verhindern. Dazu verwies der Generalanwalt auf vergleichbare Einschränkungen zu denen, die der EuGH für solche Anordnungen schon im Urteil des EuGH zu kino.to (v. 27.03.2014, Az. C-314/12) aufgestellt hat. Insofern läge es bei den nationalen Gerichten, ob sie solche Sperrverfügungen erlassen.
Erhöhte Missbrauchsgefahren bei entsprechendem Urteil
Sollte der EuGH den Ausführungen des Generalanwalts folgen, würde dies in Deutschland für erhebliche Rechtsunsicherheit und erhöhte Missbrauchsgefahren sorgen. Zwar würde die Rechtssicherheit für die nebentätigen Betreiber von WLAN-Netzwerken, wie etwa Bars oder Hotels, hergestellt. Dafür stellte sich aber die nächste Abgrenzungsfrage, ab wann ein Netzwerk der Nebentätigkeit dient und ob auch Privatpersonen Vermittler im Sinne der eCommerce-Richtlinie sein können.
Das viel drängendere Problem ist jedoch die vom Generalanwalt vorgeschlagene Alternative, die Entscheidung über Sperrverfügungen den nationalen Gerichten zu überlassen. In Deutschland wurde Art. 12 Abs. 3 der eCommerce-Richtlinie nämlich nicht umgesetzt, so dass für die Beantragung von Sperrverfügungen keine gesetzliche Grundlage besteht. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Fall von Goldesel.to Netzsperren zwar nicht ausgeschlossen, aber deutliche höhere Voraussetzungen als nun der Generalanwalt aufgestellt (Urt. v. 26.11.2015, Az. I ZR 174/14). Insofern könnten Rechteinhaber durch den EuGH faktisch rechtlos gestellt werden.
Rechtsprechung des BGH zu "Sommer unseres Lebens" überholt
Bislang sah der BGH für private WLAN-Netzwerke im Urteil "Sommer unseres Lebens" (v. 12.05.2010, Az. I ZR 121/08) die Betreiber nur teilweise in der Verantwortung. Wenn der Zugang nicht ausreichend abgesichert ist und Dritte eine Rechtsverletzung begehen, so muss er zwar die Abmahnkosten zahlen, aber keinen Schadensersatz. Entsprechendes galt nach überwiegender Rechtsprechung auch für öffentliche WLAN-Netze, weshalb der Zugang ausreichend gegen Missbrauch gesichert sein muss.
Der deutsche Gesetzgeber will diese Rechtsprechung gerade mit einer Novelle des Telemediengesetzes (TMG) modifizieren, um die enormen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Potenziale von WLAN-Funknetzen auszuschöpfen. Alle WLAN-Betreiber haften danach nicht als Störer, wenn sie angemessene Sicherungsmaßnahmen gegen den unberechtigten Zugriff auf das drahtlose lokale Netzwerk ergriffen haben. Zudem darf der Zugang zum Internet nur dem Nutzer gewährt werden, der erklärt hat, im Rahmen der Nutzung keine Rechtsverletzungen zu begehen.
Sofern der EuGH dem Schlussantrag des Generalanwalts folgt, wäre das Ziel der Bundesregierung nicht nur auf diesem Weg erreicht, sondern sogar die im Gesetzentwurf vorgesehene Verpflichtung zur Sicherung sogar hinfällig.
Prof. Dr. Rolf Schwartmann ist Leiter der Kölner Forschungsstelle Medienrecht an der Technischen Hochschule Köln und Vorsitzender der GDD e.V., Bonn.
Dr. Christian-Henner Hentsch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der Technischen Hochschule Köln.
Rolf Schwartmann, EuGH-Generalanwalt zur Haftung von WLAN-Betreibern: . In: Legal Tribune Online, 16.03.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18803 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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