Es sollte ein Prestigeprojekt werden – aber Österreich klagte erfolgreich gegen die Maut in Deutschland. Der EuGH sieht eine ungerechtfertigte Diskriminierung. Aus Sicht des Unionsrechts eine begrüßenswerte Entscheidung, erläutert Linda Karl.
Die deutsche Pkw-Maut stellt eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar und verstößt gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs und des freien Dienstleistungsverkehrs. Durch die gleichzeitige Entlastung, die den inländischen Autofahrern zugute kommt, liegt die wirtschaftliche Last praktisch ausschließlich auf den Haltern und Fahrern von in anderen Mitgliedstaaten zugelassenen Fahrzeugen, urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag (Urt. v. 18.08.2019, Az. C-591/17).
Zwar stehe es den Mitgliedstaaten und auch Deutschland frei, das System zur Finanzierung ihrer Straßeninfrastruktur zu ändern, indem sie ein System der Steuerfinanzierung durch ein System der Finanzierung durch sämtliche Nutzer ersetzen, damit alle Nutzer in gerechter und verhältnismäßiger Weise zu dieser Finanzierung beitragen. Gleichwohl ist bei einer solchen Änderung das Unionsrecht zu beachten.
Kompensation über die Kfz-Steuer ist mittelbare Diskriminierung
Anders als der Generalanwalt am EuGH, Nils Wahl, in seinem Schlussantrag (v. 6.2.2019, C-591/17), der das Vorliegen einer Diskriminierung verneinte, sieht der EuGH in dem deutschen Infrastrukturabgabegesetz in Verbindung mit der Steuerentlastung für inländische Autofahrer eine mittelbare Diskriminierung nach Art. 18 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).
Um eine Diskriminierung feststellen zu können, bedarf es zunächst einer geeigneten "Vergleichsgröße", anhand derer dann zu überprüfen ist, ob eine Person, die sich in einer vergleichbaren Situation befindet, aufgrund eines identifizierbaren Merkmals eine günstigere Behandlung erfährt. Das Vorliegen einer solchen geeigneten Vergleichsgröße bezweifelte der Generalanwalt Wahl in seinen Schlussanträgen vom 6. Februar 2019 – C-591/17 (Österreich/Deutschland).
Im Hinblick auf die Kombination der Pkw-Maut mit der Entlastung bei der Kfz-Steuer für inländische Autofahrer sei die Situation zwischen Haltern inländischer Fahrzeuge nicht mit der Situation bloßer Nutzer der Autobahnen vergleichbar. Halter inländischer Fahrzeuge seien sowohl Nutzer deutscher Straßen (und unterlägen somit der Infrastrukturabgabe) als auch deutsche Steuerzahler (da sie der Kfz-Steuer unterlägen).
Hingegen könnten Fahrer ausländischer Fahrzeuge zwar Steuern in ihrem jeweiligen Wohnsitzland unterliegen, sie wären aber niemals verpflichtet, deutsche Kfz-Steuer zu zahlen. Daher seien die Halter inländischer Fahrzeuge und die Fahrer ausländischer Fahrzeuge zwar im Hinblick auf die Benutzung der deutschen Autobahnen vergleichbar, nicht aber, wenn man sie sowohl als Benutzer deutscher Autobahnen als auch als Steuerzahler betrachten würde.
Dem folgt der EuGH in der heutigen Entscheidung nicht.
Keine Rechtfertigung ersichtlich
Die Entlastung bei der Kfz-Steuer zugunsten inländischer Autofahrer spiegele den von Deutschland durch die Einführung einer Infrastrukturabgabe beabsichtigten Übergang zur Finanzierung der Straßeninfrastruktur durch alle Nutzer nach dem "Benutzerprinzip" und dem "Verursacherprinzip" nicht wider, so der EuGH.
Als Ziel der Einführung einer Infrastrukturabgabe führte Deutschland nämlich die teilweise Umstellung der Finanzierung der Straßeninfrastruktur von der Steuerfinanzierung auf die Nutzerfinanzierung an.
Die Erträge dieser Abgabe sollten zur Gänze zur Finanzierung der Straßeninfrastruktur verwendet werden.
Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung kann die gerechte Infrastrukturfinanzierung als zwingender Grund des Allgemeininteresses eine mittelbare Diskriminierung rechtfertigen.
Deutschland habe aber keine näheren Angaben zum Umfang des Beitrags der Steuer zur Finanzierung der Infrastrukturen des Bundes gemacht. So habe nicht festgestellt werden können, ob der Betrag der Steuerentlastung den Betrag der Infrastrukturabgabe nicht übersteigt und somit angemessen ist.
Überdies werde die Pkw-Maut, was inländische Autofahrer anbelangt, jährlich und ohne die Möglichkeit geschuldet, eine Vignette für einen kürzeren Zeitraum zu wählen, wenn eine solche der Häufigkeit, mit der sie diese Straßen nutzen, besser entspräche. Dies und die Entlastung bei der Kfz-Steuer in Höhe eines Betrags, der mindestens dem der entrichteten Infrastrukturabgabe entspricht, zeigen, dass die Umstellung auf die Nutzerfinanzierung in Wirklichkeit ausschließlich ausländische Autofahrer betrifft. Für inländische Autofahrer gelte weiterhin das Steuerfinanzierungsprinzip. Im Übrigen habe Deutschland nicht dargetan, wie die festgestellte Diskriminierung durch Umwelterwägungen oder sonstige Erwägungen gerechtfertigt werden könnte.
Verstoß gegen die Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit
Die deutsche Pkw-Maut sei ferner geeignet, den Zugang von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten zum deutschen Markt zu behindern. Die Infrastrukturabgabe, der tatsächlich ausschließlich die Fahrzeuge unterliegen, die diese Erzeugnisse befördern, sei nämlich geeignet, die Transportkosten und damit auch die Preise dieser Erzeugnisse zu erhöhen, und beeinträchtige damit deren Wettbewerbsfähigkeit.
Ferner seien die streitigen Maßnahmen geeignet, den Zugang von aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Dienstleistungserbringern und -empfängern zum deutschen Markt zu behindern. Die Pkw-Maut könne nämlich aufgrund der Entlastung bei der Kfz-Steuer entweder die Kosten der Dienstleistungen erhöhen, die von diesen Dienstleistern in Deutschland erbracht werden, oder die Kosten erhöhen, die sich für diese Dienstleistungsempfänger daraus ergeben, dass sie sich in diesen Mitgliedstaat begeben, um dort eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen.
Nicht diskriminierend seien die Regelungen über die Modalitäten der Ausgestaltung und des Vollzugs der Pkw-Maut. Dabei handelt es sich um die stichprobenartige Überwachung, die etwaige Untersagung der Weiterfahrt mit dem betreffenden Fahrzeug, die nachträgliche Erhebung der Infrastrukturabgabe, die mögliche Verhängung eines Bußgelds sowie die Zahlung einer Sicherheitsleistung. Dies legte bereits der Generalanwalt am EuGH in seinem Schlussantrag (v. 6. Februar 2019, C-591/17) nahe.
Aufgabe für den Gesetzgeber
Nun liegt es bei dem deutschen Gesetzgeber, Maßnahmen zu ergreifen, um einen europarechtskonformen Zustand herzustellen. Denn stellt der EuGH in einem Vertragsverletzungsverfahren wie hier einen Verstoß gegen Unionsrecht fest, hat der betreffende Mitgliedstaat dem Urteil unverzüglich nachzukommen. Mit Blick auf die Bedeutung des Diskriminierungsverbotes in der Europäischen Union ist das EuGH-Urteil zu begrüßen.
Die Autorin Ass. iur. Linda Karl ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Lehrstuhl von Prof. Dr. Dr. Rainer Hofmann für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
EuGH stellt Diskriminierung fest: . In: Legal Tribune Online, 18.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35987 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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