EuGH zu psychologischem Gutachten bei homosexuellen Flüchtlingen: Einmal Pri­vat­leben, bitte

von Tanja Podolski

25.01.2018

Asylbewerber stehen in ihren Verfahren unter erheblichem Druck. Wird dann noch ein psychologisches Gutachten zur Feststellung der sexuellen Orientierung angeordnet, stellt dies einen Grundrechtseingriff dar, entschied der EuGH.

In vielen Ländern droht Homosexuellen noch immer Verfolgung, im Iran etwa bis hin zur Todesstrafe. Die sexuelle Orientierung eines Menschen kann daher zum Flüchtlingsschutz nach § 3 Asylgesetz (AsylG) führen, wenn der Mensch glaubhaft macht, dass ihm im Herkunftsland schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen drohen. Behörden und Gerichte stehen bei einem derartigen Vortrag jedoch vor der schwierigen Frage, wie diese Veranlagung überprüft werden kann. Ein psychologisches Gutachten jedenfalls darf nicht herangezogen werden, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Donnerstag (Urt. v. 25.01.2018, Az. C-473/16 F).

Ein solches hatte die zuständige Behörde in Ungarn auf den Asylantrag eines Mannes aus Nigeria angeordnet. Der beauftragte Psychologe war zu dem Ergebnis gekommen, dass die von ihm durchgeführten Tests die Behauptung des Mannes, homosexuell zu sein, nicht stützten. Das von ihm daraufhin angerufene ungarische Gericht gab seinerseits ein Gutachten in Auftrag, das zu dem Ergebnis kam, dass die fraglichen Tests verlässlich seien und die Würde des Betroffenen nicht verletzten.

Das ungarische Gericht wollte daraufhin vom Gerichtshof wissen, wie die Glaubwürdigkeit der in Rede stehenden Behauptung überprüft werden kann. Und insbesondere, ob das Unionsrecht die Behörden daran hindert, sich auf psychologische Gutachten zu stützen. In Nigeria sind homosexuelle Handlungen illegal, es drohen Haftstrafen von bis zu 14 Jahren, zudem wird in einigen Teilen Nigerias das strafschärfende Scharia-Recht angewendet, mit der Folge von Steinigungen oder der Todesstrafe.

EuGH: Psychologische Gutachten nicht zuverlässig

Wie schon Generalanwalt Nils Wahl in seinen Schlussanträgen vom 5. Oktober 2017 entschied der EuGH, dass die Anerkennungsrichtlinie 2011/95 den Behörden grundsätzlich erlaubt, Gutachten in Auftrag zu geben. Diese müssten jedoch in Art und Weise der Verwendung dieses Gutachtens mit den in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Grundrechten – wie dem Recht auf Wahrung der Menschenwürde und dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens – in Einklang stehen. Zudem dürften Behörden und Gerichte ihre Entscheidung nicht allein auf das Ergebnis des Gutachtens abstellen oder daran gebunden sein.

Ein psychologisches Gutachten zur Überprüfung der sexuellen Orientierung entspreche diesen Voraussetzungen nicht, so die Richter. Denn selbst wenn der Asylbewerber formal zustimme, so sei dies unter dem Druck des Asylverfahrens und der Frage, wie eine Verweigerung seitens der Behörden bewertet würde, nicht zwangsläufig eine freiwillige Entscheidung.

Der Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union durch die Einholung des Gutachtens ist nach Auffassung des EuGH auch nicht durch den Zweck gerechtfertigt, Anhaltspunkte zusammenzutragen, die eine Einschätzung ermöglichen, inwieweit der Asylbewerber tatsächlich internationalen Schutzes bedarf.

Ein Gutachten, so der EuGH, sei nur dann zulässig, wenn es auf hinreichend zuverlässige Methoden gestützt ist. Diese Zuverlässigkeit, über die zu befinden nicht Sache des Gerichtshofs sei, hätten jedoch die Kommission und mehrere Regierungen verneint. Im Übrigen stünden die Auswirkungen eines solchen Gutachtens auf das Privatleben in einem Missverhältnis zu diesem Zweck. Hierzu führt der Gerichtshof u. a. aus, dass ein derartiger Eingriff besonders schwerwiegend ist, da das Gutachten einen Einblick in die intimsten Lebensbereiche des Asylbewerbers geben soll.

Außerdem gebe es andere Methoden, um die Glaubhaftigkeit der Aussagen eines Asylbewerbers zu seiner sexuellen Orientierung zu bewerten, so die Richter in Luxemburg, psychologische Gutachten seien also nicht unverzichtbar. Vielmehr müssten die nationalen Behörden über kompetentes Personal verfügen, das Kohärenz und Plausibilität der Aussagen des Asylbewerbers prüfen kann. Im Übrigen sei ein solches Gutachten allenfalls begrenzt zuverlässig, sodass sein Nutzen für die Bewertung der Glaubhaftigkeit der Aussagen eines Asylbewerbers in Zweifel gezogen werden kann, namentlich dann, wenn dessen Aussagen – wie im vorliegenden Fall – keine Widersprüche aufweisen.

Und wie macht es das BAMF?

So hält es auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), wie die Behörde auf LTO-Anfrage mitteilte: "Das Bundesamt setzt speziell ausgebildete Sonderbeauftragte für geschlechtsspezifisch Verfolgte ein", teilte ein Sprecher mit. Sexualpsychologische Gutachten zum Vorliegen einer besonderen sexuellen Ausrichtung würden weder in Auftrag gegeben noch gefordert, da deren Aussagekraft in der Wissenschaft umstritten sei und eine Begutachtung zudem als diskriminierend empfunden werden könne. Ausreichend sei eine glaubhaft gemachte, wohlbegründete Furcht vor Verfolgungsmaßnahmen aufgrund der bestimmten sexuellen Ausrichtung. "Die wahrheitsgemäße Schilderung eines realen Vorganges ist dabei erfahrungsgemäß gekennzeichnet durch Konkretheit, Anschaulichkeit und Detailreichtum", so das BAMF. Über die Anzahl, wie häufig die sexuelle Verfolgung als Fluchtgrund vorgetragen wird, hat das BAMF keine Erkenntnisse. Die individuellen Fluchtgründe werden statistisch nicht erfasst.

Entscheidend seien beim BAMF jedenfalls folgende Fragen: Wie wird sich der Antragsteller unter Berücksichtigung seiner sexuellen Identität im Fall einer Rückkehr in das Herkunftsland verhalten? Und wie werden Behörden oder andere Akteure auf dieses Verhalten voraussichtlich reagieren?

Durch die Art der Fragestellung sah der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) beim Umgang mit Asylgesuchen von Homosexuellen gleichwohl noch Mitte 2017 ein "strukturelles Problem", wie die SZ berichtete. Das BAMF bekräftigte indes, dass die einst offenbar üblichen Verweise der Entscheider beim BAMF auf gefahrvermeidendes, diskretes Verhalten, um die Homosexualität im Herkunftsland zu verbergen, nicht erfolgen dürften.

Der EuGH hatte bereits im Jahr 2014 entschieden, dass den Behörden bei den Methoden zur Überprüfung der Angaben zur sexuellen Orientierung enge Grenzen gesetzt sind.

Zitiervorschlag

Tanja Podolski, EuGH zu psychologischem Gutachten bei homosexuellen Flüchtlingen: . In: Legal Tribune Online, 25.01.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26699 (abgerufen am: 06.11.2024 )

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