2/2: Was sich nun ändern wird: nichts
Doch was bedeutet das Urteil aus Luxemburg für das deutsche Glücksspielrecht darüber hinaus? Auf den ersten Blick nichts. Der EuGH hat sich im Vergleich zum bemerkenswert ungeordneten Vorlagekatalog des AG Sonthofen in seiner Entscheidung sehr kurz gefasst und sich auf drei Punkte konzentriert, von denen allerdings nur der gerade genannte noch das geltende Recht betrifft.
Über das umstrittene, zentral in Hessen organisierte Verfahren zur Erteilung der Erlaubnisse zur Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten verliert der EuGH dagegen in seinem Urteil so gut wie kein Wort. Die Luxemburger Richter stellen nur Selbstverständliches fest, wenn sie darauf hinweisen, dass ein solches Verfahren den Gleichbehandlungsgrundsatz, das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatszugehörigkeit und das daraus folgende Transparenzgebot beachten muss. Ob diese Grundsätze eingehalten werden, wird das AG Sonthofen allenfalls am Rande prüfen, wenn überhaupt.
Um die Rechtmäßigkeit der hessischen Vergabeentscheidungen tobt ein erbitterter Kampf vor den hessischen Verwaltungsgerichten, der das Verfahren vorerst zum Erliegen gebracht hat - wenn auch aus ganz anderen Gründen, als dies das AG Sonthofen vermutete. Der hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) beanstandete zuletzt allein, dass das nach dem GlüStV2012 für die Vergabe zuständige Glücksspielkollegium diese Entscheidung nicht treffen dürfe und setzte sich damit in offenen Widerspruch zum bayerischen Verfassungsgerichtshof - auch das ist ein Sieg der privaten Glücksspielindustrie. Am deutschen Sportwetten- und Glücksspielmarkt wird sich damit nach der Entscheidung des EuGH voraussichtlich überhaupt nichts ändern. Private Sportwettbüros mit Großbildschirmen für die verschiedenen Live-Wetten werden bundesweit auch weiterhin zum gewohnten Stadtbild gehören. Prominente Sportler werden auch weiterhin für unerlaubte Sportwetten- und Pokeranbieter werben - vor allem für Online-Angebote. Denn im Internet ist das Angebot von privat veranstalteten Sportwetten und Casinospielen noch viel größer und vielfältiger als in den lokalen Sportwettbüros oder den Gaststätten mit Wettannahmeterminals, wie sie auch Klägerin Sebat Ince betrieb.
Oder doch? Die Online-Wettanbieter in Theorie und Praxis
Doch genau für diese Online-Angebote, die – wenn man von Schleswig-Holstein absieht – ohne Erlaubnis deutscher Behörden stattfinden, weil das hessische Konzessionsverfahren stillsteht, könnte das EuGH-Urteil einen Wehrmutstropfen bedeuten. Denn in diesem Punkt ist das geschriebene deutsche Recht eindeutig: Im Internet darf Sportwetten nur anbieten, wer über eine Erlaubnis (aus Hessen) verfügt.
Da unter der Geltung des GlüStV2008 ein Totalverbot für Online-Glücksspiele galt, es also diesbezüglich auch kein staatliches Monopol gab, zementiert die geltende Rechtslage ein solches auch nicht – und dürfte insoweit europarechtskonform sein. Bis zum Abschluss des Vergabeverfahrens in Hessen dürften also im Internet überhaupt keine Sportwetten angeboten werden. Soweit die Theorie.
Dass die Praxis anders aussieht, weiß in Deutschland und vermutlich auch in Luxemburg inzwischen jeder. Im Netz tummelt sich eine kaum überschaubare Vielzahl vor allem im Ausland ansässiger Sportwetten- und Casinospielanbieter. Dieser glücksspielrechtliche Graumarkt, in dem sich die privaten Anbieter auch im Inland bestens eingerichtet haben, wird sich wohl so bald nicht verändern.
Der Gesetzgeber in der Zwickmühle
Die Blicke richten sich daher verstärkt auf den Gesetzgeber. Doch der sitzt in der Zwickmühle: Die Europäische Kommission droht Deutschland mit einem Vertragsverletzungsverfahren und hat bereits im vergangenen Jahr angefragt, wie es mit der Gesetzesvollziehung im Glücksspielwesen stehe, welche Verbote Deutschland also durchsetzen wird.
An genau dieser Vollziehung im Bereich des terrestrischen Sportwettangebots werden die Behörden nun aber durch die Rechtsprechung des EuGH zu § 29 GlüStV und dem dort fortgeschriebenen terrestrischen Sportwettmonopol gehindert - auch wenn das Monopol nur auf dem Papier existiert.
Auch wenn die fehlende Vermittlungserlaubnis nun nicht mehr Anknüpfungspunkt für Sanktionen gegen terrestrische Sportwettenangebote sein darf, spricht jedoch nichts dagegen, alle am Markt tätigen Anbieter umso mehr zur Einhaltung der übrigen Spielregeln, wie etwa des Verbot von Livewetten und Casinospielen oder die Beachtung von Einsatzhöchstgrenzen und des Spieler- und Jugendschutzes zu verpflichten.
Der Erlaubnisvorbehalt ist ja nur eine von vielen Bestimmungen, mit denen der Gesetzgeber versucht, das Glücksspiel zu regulieren. Schließlich sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass Glücksspiel nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts eine sozial unerwünschte Tätigkeit ist, der gerade im Bereich der Sportwetten nicht unerhebliche Sucht- und Manipulationsgefahren inne wohnen. Der Verbraucherschutz ist durch das Urteil des EuGH in der Sache Ince jedenfalls nicht auf der Strecke geblieben.
Der Autor Prof. Dr. Markus Ruttig ist Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, Partner bei CBH Rechtsanwälte und Lehrbeauftragter für Urheber- und Medienrecht an der Hochschule Fresenius in Köln. Einer seiner Tätigkeitsschwerpunkte ist das Glücksspielrecht. CBH Rechtsanwälte vertreten diverse Landeslotteriegesellschaften und auch das Land Hessen in den gerichtlichen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem Konzessionsvergabeverfahren.
Markus Ruttig, EuGH rügt Übergangsregelungen im Glücksspielrecht: . In: Legal Tribune Online, 11.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18428 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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