EuGH zu Schiedsklauseln in Investitionsschutzabkommen: Du sollst keine andere Gerichts­bar­keit neben mir haben

Gastbeitrag von Dr. Nico Basener

06.03.2018

Investoren aus EU-Staaten müssen künftig auf private Schiedsgerichte verzichten, sofern sich ihre Klage gegen einen anderen EU-Mitgliedstaat richtet. Nico Basener erläutert das aktuelle EuGH-Urteil und dessen weitreichende Konsequenzen.

In einem mit großer Spannung erwarteten Urteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag eine Grundsatzentscheidung zur Vereinbarkeit von Schiedsklauseln in sogenannten Investitionsschutzabkommen mit EU-Recht getroffen (Urt. v. 06.03.2018, Az. C-284/16).

In der wegweisenden Entscheidung haben die Luxemburger Richter solchen Schiedsklauseln eine Absage erteilt. Sie seien unvereinbar mit der Autonomie des EU-Rechts und dem Rechtschutzsystem innerhalb der EU. Das Urteil dürfte weitreichende Folgen für die aktuell anhängigen Schiedsverfahren unter Beteiligung von EU-Staaten sowie auf die Freihandelsabkommen TTIP und CETA haben.

Hintergrund: ein begehrter Klageweg für Investoren

Ob Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland, Achmea gegen die Slowakische Republik oder RWE Innogy gegen Spanien: Die Liste der Klagen von Investoren aus EU-Staaten gegen andere EU-Staaten ist lang. Ende 2016 waren rund 150 dieser sogenannten Intra-EU-Schiedsverfahren vor diversen Schiedsgerichten anhängig.

Die Klagen richten sich gegen staatliche Hoheitsakte und sind damit höchst umstritten. Die Bundesrepublik muss sich beispielsweise seit dem Jahr 2012 vor einem Schiedsgericht des International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) in Washington für die Verkürzung der Laufzeiten der Atommeiler nach der Atomkatastrophe in Fukushima verantworten. Während das Bundesverfassungsgericht das Gesetz in weiten Teilen für verfassungskonform erklärte, läuft die Klage vor dem Schiedsgericht mit einem Streitwert von 4,7 Milliarden Euro weiter.

Deutschland teilt sein Schicksal unter anderem mit dem Königreich Spanien. Nachdem dieses beschlossen hatte, ab 2010 seine Subventionen für Solarstrom schrittweise zurückzufahren, klagten gleich mehrere Investoren in etwa 30 Verfahren auf der Grundlage der Investitionsschutzbestimmungen des Energiechartavertrages von 1994 auf Schadensersatz. Und das, obwohl auch hier das höchste Spanische Gericht die Verringerung der Subventionen zuvor für zulässig erklärt hatte.

EU-Staaten haben diese Praxis selbst ermöglicht

Schiedsverfahren wie diese stützten sich regelmäßig auf Schiedsklauseln in Investitionsschutzabkommen, die die EU-Mitgliedstaaten untereinander vereinbart haben. Der überwiegende Teil dieser Abkommen wurde unmittelbar vor der EU-Osterweiterung mit den damaligen Beitrittskandidaten abgeschlossen. Zudem haben die EU-Mitgliedstaaten für den Bereich der Energiewirtschaft den Energiechartavertrag abgeschlossen, an dem sämtliche EU-Mitgliedstaaten wie auch die EU selbst beteiligt sind.

Derartige Investitionsschutzabkommen enthalten in der Regel eine Reihe von materiellen Schutzstandards, die dem Investment des Investors ein stabiles und verlässliches Handlungsregime garantieren sollen. Hierzu zählen zum Beispiel der Schutz vor entschädigungsloser Enteignung, ein Diskriminierungsverbot sowie das Gebot der fairen und gerechten Behandlung, das Investoren im Wesentlichen Vertrauensschutz bezüglich des rechtlichen Rahmens ihrer Investition garantieren soll.

Daneben enthalten Investitionsschutzabkommen regelmäßig jedoch auch Schiedsklauseln, durch die dem Investor die Möglichkeit eröffnet wird, Streitfragen von nicht-staatlichen Schiedsgerichten entscheiden zu lassen sind.

Diese Gerichte sind stark umstritten. Denn trotz ihres privaten Charakters entscheiden Sie im Wesentlichen über die Zulässigkeit staatlicher Hoheitsakte und können den Staat zu erheblichen Schadensersatzzahlungen verurteilen. Sie treten damit in direkte Konkurrenz zur höchsten staatlichen und europäischen Gerichtsbarkeit, mit der Gefahr, dass sich die jeweiligen Entscheidungen wie in den oben genannten Beispielsfällen Deutschlands und Spaniens widersprechen - eine Möglichkeit, die innerhalb der EU im Übrigen regelmäßig ausgeschlossen ist.

EuGH: klare Absage für Intra-EU-Schiedsverfahren

Die Antwort des EuGH zur Zulässigkeit dieser Parallelinstitutionen war mit Spannung erwartet worden. Der deutsche Bundesgerichtshof hatte in einer Vorlagefrage im sogenannten Achmea-Fall um die Vorabentscheidung gebeten. Die sich ihm bietende Möglichkeit ließen die Luxemburger Richter nicht ungenutzt und erteilten auch gleich den Schlussanträgen ihres Generalanwalts eine klare Absage. Dieser hatte sich im September 2017 noch für die Vereinbarkeit der Schiedsklauseln mit EU-Recht ausgesprochen.
Der EuGH stellte nun klar, dass Schiedsklauseln, mit denen Investoren aus EU-Mitgliedstaaten Klage gegen einen anderen EU-Mitgliedstaat erheben können, mit den Grundprinzipien des EU-Rechts unvereinbar seien.

Seine Begründung: Die EU-Mitgliedstaaten hätten sich im Rahmen der EU-Verträge ein eigenes Rechts- und Rechtsprechungssystem geschaffen. Es sei entscheidender Bestandteil dieses Systems, dass der Rechtsschutz Einzelner und die (verbindliche) Auslegung des EU-Rechts originäre Aufgabe der nationalen Gerichte und des EuGH sei.

Private Schiedsgerichte operierten außerhalb dieses Systems, so die Luxemburger Richter. Die Kommunikation mit dem EuGH über das Mittel der Vorlagefrage nach Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, von der die nationalen Gerichte regelmäßig Gebrauch machen, sei ihnen verschlossen. Denn ein Schiedsgericht lege seinen eigenen Sitz, seine eigene Verfahrensordnung und damit inzident auch das Recht, das zur Überprüfung des eigenen Schiedsspruches Anwendung finde, selbst fest. Das ist nach Auffassung des EuGH problematisch, weil ein Schiedsgericht damit vollständig außerhalb jeglicher Kontrolle durch die nationalen und europäischen Gerichte operieren könne. Dies wiederum sei zwischen EU-Mitgliedstaaten nicht mit den Grundprinzipien der Autonomie des EU-Rechts und dem Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten vereinbar.

Der EuGH hat damit seine Rechtsprechungslinie verfestigt, wonach er nicht bereit ist, eine Rechtsprechungsinstitution zuzulassen, die außerhalb der nationalen und europäischen Gerichte verbindliche Entscheidungen über die Auslegung von EU-Recht vornimmt. Dieser Weg hatte sich bereits im Gutachten 2/15 zum Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention angekündigt. Das Urteil vom Dienstag ist damit nur eine stringente Fortführung.

Auswirkungen auf anhängige Verfahren und künftige Freihandelsabkommen

Die Konsequenzen aus dem Urteil könnten weitreichender nicht sein: Bis dato hatten Schiedsgerichte in Intra-EU-Schiedsverfahren die Einwände der jeweiligen Staaten konsequent zurückgewiesen. Man stützte sich dazu auf bisherige Entscheidungen des EuGH zur Handelsschiedsgerichtsbarkeit und übertrug diese. Dabei verkannte man jedoch, dass ein Urteil über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines staatlichen Hoheitsaktes etwas grundlegend anderes darstellt als die Vereinbarung zwischen privaten Parteien bezüglich des Gerichtsstandes in einem Kaufvertrag. Dies hat der EuGH nun auch in aller Deutlichkeit klargestellt.

Die Entscheidung hat sowohl politische als auch wirtschaftliche Brisanz, denn das bestehende System an Intra-EU-Investitionsschutzabkommen wird erheblich an Bedeutung verlieren. Für Investoren war gerade die Möglichkeit, vor den Schiedsgerichten abseits der staatlichen Gerichtsbarkeit zu klagen, der entscheidende Vorteil dieser Abkommen. Derartige Klagen müssen künftig wohl als unzulässig angesehen werden. Ob es die Mitgliedstaaten dazu veranlasst, die bestehenden Investitionsschutzverträge untereinander aufzukündigen, bleibt abzuwarten.

Jedenfalls könnte die Entscheidung vom Dienstag den Anlass geben, ein Unterfangen der Mitgliedstaaten aus den Jahren 2015/2016 wieder aufzugreifen. Damals hatten einige EU-Staaten, darunter auch Deutschland, den Abschluss eines reformierten, multilateralen Investitionsschutzabkommens zwischen den EU-Staaten angeregt. Ein solches Abkommen sollte einheitliche materielle Schutzstandards schaffen und gleichzeitig eine reformierte Schiedsinstitution etablieren, die einen ständigen Sitz in einem EU-Mitgliedstaat haben könnte. Bei einem solchen Mechanismus ließen sich Wege denken, die Schiedsgerichte europarechtskonform auszugestalten – und damit zu erhalten.

Auch für die derzeit verhandelten Handelsabkommen wie beispielsweise TTIP oder CETA dürfte das Urteil weitreichende Folgen haben. Denn auch diese Abkommen enthalten Kapitel zum Investitionsschutz, die sich im Wesentlichen an den bestehenden Schiedsklauseln orientieren. Das Urteil wirft hier ebenfalls die berechtigte Frage auf, ob diese Vertragswerke insoweit mit EU-Recht vereinbar sind. Mögliche Nachverhandlungen mit Kanada oder den USA versprechen laufende Brisanz.

Der Autor und Rechtsanwalt Dr. Nico Basener ist Associate bei Clifford Chance am Standort München. Er berät in allen Bereichen des Gesellschaftsrechts sowie zu Post-M&A-Schiedsverfahren und ist regelmäßig in grenzüberschreitenden Transaktionsprojekten mit verschiedensten Unternehmen und Wirtschaftssektoren involviert.

Zitiervorschlag

EuGH zu Schiedsklauseln in Investitionsschutzabkommen: . In: Legal Tribune Online, 06.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27371 (abgerufen am: 06.11.2024 )

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