Der EuGH hat es Umweltverbänden und Individuen leichter gemacht, gegen umweltbeeinträchtigende Großprojekte zu klagen. Verfahrensfehler in Deutschland sollen nicht wie bisher oft folgenlos bleiben. Das Urteil kommentiert Felix Ekardt.
Wer gegen umweltrechtliche Behördenentscheidungen klagen darf, ist seit langem umstritten. Traditionell sind in Deutschland Klagen von Unternehmen gegen behördlich angeordnete Umweltschutzmaßnahmen immer möglich, Klagen von Bürgern und Umweltverbänden auf mehr Umweltschutz dagegen oft schwierig. In Deutschland wurde nicht nur das grundsätzliche Klagerecht oft verneint. Es besteht daneben eine Vielzahl von Frist-, Unbeachtlichkeits- und Heilungsvorschriften für Fehler bei der inhaltlichen Abwägung über beantragte Großprojekte sowie hinsichtlich der dabei einzuhaltenden Verfahrensregeln.
Besonders unter dem Einfluss des Europa- und Völkerrechts hat sich der breite Spielraum der Behörden, folgenlos Abwägungs- und Verfahrensregeln übergehen zu können, zuletzt zunehmend verkleinert. Durch ein aktuelles Urteil (v. 15.10.2015, Az. C-137/14) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) letzte Woche den inhaltlichen Prüfungsumfang für Bürger- und Verbandsklagen ein weiteres Mal erweitert. Dabei hat er mehrere Rechtsfiguren, die bis dato von vielen als zentral für das deutsche Verwaltungsprozessrecht begriffen wurden, für europarechtswidrig erklärt.
EuGH bricht mit deutschem Verwaltungsprozessrecht
Neben kleineren, letztlich bereits bekannten Feststellungen, trifft der EuGH in seinem neuen Urteil zum umweltrechtlichen Kontrollumfang mehrere zentrale Feststellungen. Maßstab sind - basierend auf der umweltvölkerrechtlichen Aarhus-Konvention, die auch die EU sowie ihre Mitgliedstaaten ratifiziert haben - die Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP-RL) und die Industrieemissionen-Richtlinie (IED). Art. 11 UVP-RL und Art. 25 IED geben Bürgern und Umweltverbänden bei Umwelt-klagen die Möglichkeit, die verfahrens- und materiellrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen zu überprüfen. Eine Einschränkung wird dabei vom Wortlaut her nicht formuliert, vielmehr wird ausdrücklich betont, dass das Ziel ein weiter Zugang zum Gericht für diejenigen Kläger ist, die für mehr Umweltschutz streiten.
Die erste zentrale Feststellung des EuGH lautet, dass mit diesen Vorgaben die sogenannte materielle Präklusion unvereinbar ist, die sich in diversen Planungsgesetzen wie etwa in § 73 Abs. 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) findet. Die Präklusion nahm bisher solchen Klägern die Möglichkeit, im Gerichtsverfahren Sachverhalte geltend zu machen, die sie nicht bereits im Verwaltungsverfahren vorgetragen haben. Wegen der äußerst umfangreichen, kaum zu überschauenden Planungsunterlagen von Großprojekten und der oft ehrenamtlichen Arbeit, etwa von Umweltverbänden, sind hieran bislang viele Klagen gescheitert. Hier sieht der EuGH ein Unterlaufen eines wirksamen Rechtsschutzes und des gebotenen weiten Zugangs zu den Gerichten.
Mit seiner zweiten zentralen Feststellung schränkt der EuGH die Möglichkeit, Verfahrensfehler im Verwaltungsverfahren belanglos werden zu lassen, erheblich ein. Nach § 46 VwVfG wurde bisher von Klägern als Voraussetzung einer erfolgreichen Berufung auf Verfahrensfehler verlangt, dass sie zeigen, dass das genehmigte Großprojekt nicht ohnehin zugelassen worden wäre, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift eingehalten worden wäre. Die Kläger sollten also zeigen, dass ein Verfahrensfehler für die Genehmigung überhaupt eine Rolle gespielt hat. Naturgemäß ist ein solcher hypothetischer Nachweis schwer zu führen. Auch dies erklärt der EuGH daher für europarechtswidrig.
Felix Ekardt, EuGH erweitert Klagerecht von Umweltverbänden: . In: Legal Tribune Online, 20.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17279 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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