Leiharbeitsrichtlinie: EuGH schweigt zur dauerhaften Arbeitnehmerüberlassung

2/2: Generalanwalt: Beschränkungen der Leiharbeit nur durch Allgemeinwohlinteressen

Der zuständige Generalanwalt betonte in seiner Stellungnahme vom 20. November 2014 zunächst die Pflicht der Mitgliedstaaten, Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit aufzuheben, soweit sie nicht durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt sind, wie sie in Art 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie beispielhaft aufgezählt sind. Damit folgte der Generalanwalt der Auffassung der beklagten Arbeitgeberin und des vorlegenden Gerichts – und widersprach der Auffassung der klagenden Gewerkschaft, der Kommission und der deutschen Regierung.

Dieses Ergebnis folge aus dem klaren Wortlaut, der ein materiell-rechtliches Verbot ungerechtfertigter Einschränkungen enthalte. Art 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie verfolge nach dem "Flexicurity"-Prinzip zwei Ziele: Den Schutz der Leiharbeitnehmer durch Regelung von Arbeitsbedingungen und die Festlegung eines angemessenen Rahmens für den Einsatz von Leiharbeitnehmern, der die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Entwicklung flexibler Arbeitsformen ermöglicht. Knüpfte man keine verbindliche Folge an Art. 4, könnte die Regelung die Erreichung dieser Ziele nicht fördern und es fehlte ihr die praktische Wirksamkeit.

Zugleich unterstrich der Generalanwalt aber, dass Leiharbeitsverhältnisse "vorübergehender Art" sind und sich nicht zum Nachteil von Stammarbeitnehmern auswirken dürfen. Leiharbeit sei eine atypische Arbeitsform, die den Regelfall der direkten Anstellung nicht verdrängen dürfe. Um dieses Ziel zu erreichen hätten die Mitgliedstaaten aber einen großen Regelungsspielraum. Ein Missbrauch von Leiharbeit sei anzunehmen und könne ohne Verstoß gegen die Richtlinie von Mitgliedstaaten verboten werden, wenn Leiharbeitnehmer neben Stammarbeitnehmern bei dauerhaftem Bedarf für längere Zeit eingesetzt werden. Das zeitliche Element hatte der Generalanwalt in den Schlussanträgen allerdings nicht näher konkretisiert.

EuGH: Nur Überprüfungsverpflichtung der zuständigen Behörden

Der EuGH hat nur die erste Vorlagefrage beantwortet, ob nämlich Art. 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie die  Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten verpflichte, nationale Vorschriften unangewendet zu lassen, die gegen die Richtlinie verstoßen. Die übrigen Vorlagefragen ließ er unbeantwortet, insbesondere, ob die Richtlinie den längerfristigen Einsatz von Leiharbeitnehmern neben Stammarbeitnehmern im Rahmen der gewöhnlichen Arbeitsaufgaben verbietet.

Während der Generalanwalt die erste Vorlagefrage bejaht hatte, verneint der EuGH sie. Das Gericht betont, dass sich Art. 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie nur an die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten richte. Aus einer systematischen Auslegung ergebe sich, dass es nur ihnen auferlegt sei, zu überprüfen, ob nationale Verbote oder Einschränkungen der Leiharbeit gerechtfertigt sind. Nationale Gerichte könnten diese Verpflichtungen nicht erfüllen. Gegebenenfalls seien daher die Mitgliedstaaten veranlasst, ihre nationalen Regelungen über Leiharbeit zu ändern. Es stehe ihnen jedoch frei, nicht gerechtfertigte Verbote oder Einschränkungen aufzuheben oder anzupassen. Art. 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie schreibe den Mitgliedstaaten nicht den Erlass einer bestimmten Regelung vor. Die Vorschrift lege vielmehr nur den Rahmen fest, in dem sich die Regelungstätigkeit der Mitgliedstaaten abspielen dürfe (Urt. v. 17.03.2015, Az. C 533/13).

Art. 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie ist also nach Ansicht der Luxemburger Richter nur an die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats gerichtet. Diesen erlegt die RL eine Überprüfungsverpflichtung auf, damit sie sicherstellen, dass etwaige Verbote und Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit gerechtfertigt sind. Die nationalen Gerichte dürfen nicht verpflichtet werden, alle Bestimmungen des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, welche Leiharbeit verbieten oder einschränken und nicht aus Gründen des Allgemeininteresses im Sinne von Art. 4 Abs. 1 gerechtfertigt sind.

Grünes Licht für die AÜG-Reform?

Welche Folgen hat die Entscheidung aus nationaler Sicht? Nationale Gerichte dürfen nationale Einschränkungen und Verbote nicht unmittelbar an Art. 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie messen. Sie dürfen sie nicht unangewendet lassen, wenn sie keine rechtfertigenden Allgemeininteressen sehen. Das dürfte etwa gelten für das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe (§ 1b AÜG), das ganz überwiegend für eine ungerechtfertigte Einschränkung gehalten wird.

Das Rätsel, wie lange "vorübergehend" ist und ob eine dauerhafte Überlassung zulässig ist, bleibt ungelöst. Der Generalanwalt hatte das zeitliche Element unter Hinweis auf den Regelungsspielraum der Mitgliedstaaten nicht näher konkretisiert. Da sich der EuGH mit dieser Vorlagefrage – aus seiner Sicht konsequent – nicht befasst hat, gibt er auch keine Hinweise darauf, welche zeitlichen Einschränkungen mit der Leiharbeitsrichtlinie vereinbar wären.

Der Koalitionsvertrag "Deutschlands Zukunft gestalten" sieht bekanntlich vor, eine tarifdispositive Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten festzuschreiben. Diese Höchstüberlassungsdauer dürfte mit Unionsrecht vereinbar sein. Die Richtlinie macht den Mitgliedstaaten keine genauen Vorgaben, sondern lässt ihnen vielmehr einen großen Regelungsspielraum bei der Erreichung der Richtlinienziele.

Fraglich ist aber, ob die im Koalitionsvertrag vorgesehene Kombination aus einer Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten und zwingendem Equal Pay nach neun Monaten diesen Spielraum der Mitgliedstaaten nicht zum Nachteil der Unternehmen überschreitet. Zu Recht hat der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen den "Flexicurity"-Gedanken betont. Bei dem gebotenen Ausgleich zwischen dem Flexibilisierungsinteresse der Unternehmen (Flexibility) einerseits und dem Arbeitnehmerschutz (Security) andererseits vernachlässigt die im Koalitionsvertrag enthaltene Regelung das recht eindeutig das Flexibilisierungsinteresse der Unternehmen.

Der Autor Dr. André Zimmermann, LL.M. ist Counsel und Fachanwalt für Arbeitsrecht im Frankfurter Büro von King & Wood Mallesons LLP. Er verfügt über besondere Erfahrung bei der Beratung von Unternehmen zum Fremdpersonaleinsatz, vor allem im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung.

Zitiervorschlag

André Zimmermann, Leiharbeitsrichtlinie: . In: Legal Tribune Online, 17.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14974 (abgerufen am: 05.11.2024 )

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