EuGH zu Gmail: Bitte melden bei der Bun­des­netza­gentur

von Prof. Dr. Thomas Hoeren

12.06.2019

Der EuGH muss klären, ob OTT-Dienste wie Gmail unter das deutsche Telekommunikationsgesetz fallen. Bejaht er das, würde die Bundesnetzagentur zu einer Megabehörde für das Internet. Mit weitreichenden Folgen, warnt Thomas Hoeren.

Klassische Netzbetreiber fühlten schon immer die Regulierungswut der Bundesnetzagentur. Aber mit der Fortentwicklung des Telekommunikationsmarktes kamen zu den Betreibern eigener Netzstrukturen viele Anbieter hinzu, die direkt über das offene Internet Leistungen anbieten und die Infrastruktur eines Access Providers nur zur Erbringung des eigenen sogenannten Over-the-Topdienstes (OTT) benutzen. Zum OTT-Markt zählen heute etwa Anwendungen wie Voice over IP, Videostreaming, Peer to Peer, WhatsApp und Facebook Messenger.

Das weckt viele Begehrlichkeiten der Bundesnetzagentur und der Politik, die solche OTT-Dienste unbedingt im Zaum halten wollen. Deshalb verpflichtet § 6 Telekommunikationsgesetz (TKG) gewerbliche Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze, sich bei der Bundesnetzagentur zu melden.

Den Anbietern von OTT-Diensten ist diese Unterwerfung unter die Aufsicht der Bundesnetzagentur nicht recht. So hat sich der als eine Art Präzedenzfall ausgewählte internetbasierte E-Mail Dienst von Google, Gmail, bislang geweigert, den Meldepflichten nach dem TKG nachzukommen.

VG prüfte schulbuchmäßig, das OVG fragt Luxemburg

Der Fall gelangte zunächst vor das Verwaltungsgericht Köln (Urteil vom 11. November 2015 – 21 K 150/15). Die Richter prüften schulbuchmäßig nach § 3 Nummer 24 TKG, ob Gmail als Telekommunikationsdienst anzusehen ist. Dies wurde wegen der regelmäßigen Entgeltlichkeit des Dienstes, insbesondere wegen Werbefinanzierung, und wegen des Gegenstandes des Dienstes (Signalübertragung über TK Netze) bejaht. Der entscheidende Impuls zur Signalübertragung stamme unmittelbar vom Nutzer des Dienstes; der gesamte Signalübertragungsvorgang sei durch Gmail initiiert. Auch sei die automatische Versorgung der Router mit den notwendigen Informationen über die Server von Google zum Aufbau der Verbindung besonders wichtig.

Im Ergebnis handele es sich bei Google um ein gewerblich handelnde Anbieter eines Telekommunikationsdienstes im Sinne von § 3 Nr. 24 TKG. Die Meldepflicht sei vor allem wichtig, um der Bundesnetzagentur die Überwachung der Tätigkeit auf dem Markt zu ermöglichen, vor allem auch im Hinblick auf Erfordernisse der öffentlichen Sicherheit sowie des Kunden – und Datenschutzes.

Auf die Berufung von Google setzte das Oberverwaltungsgericht Münster das Verfahren aus (Urteil vom 26. Februar 2018 – 13 A 17/16). Es ersuchte den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Vorabentscheidung, weil die Definition im § 3 Nummer 24 TKG auf eine Bestimmung in der EU-Richtlinie über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und – dienste (2002/21/EG) zurückgehe.

Der EuGH möge klären, ob auch internetbasierte E-Mail Dienste, die über das offene Internet bereitgestellt würden und selbst keinen Internetzugang vermittelten, als Übertragung von Signalen über elektronische Kommunikationsnetze von der Richtlinie erfasst würden. Zu klären sei auch, wie das Merkmal "gewöhnlich gegen Entgelt erbracht" zu verstehen sei.

EuGH wird Gmail wohl als Telekommunikationsdienst ansehen

Der Entscheidung des EuGH muss man nun gespannt entgegen sehen. In Europa sind sich die nationalen Regulierungsstellen sehr uneins, wie man etwa Webmaildienste einstuft. Während in Finnland ein Webmaildienst als Telekommunikationsdienst angesehen wird, wenn der Anbieter an der Signalübertragung mitwirkt, wird das in den Niederlanden abgelehnt, weil der Anbieter die Signale nicht selbst überträgt. Im Falle von Skype hat sich der EuGH jüngst für eine Zuordnung zu den Telekommunikationsdiensten entschieden, zumindest was kostenpflichtige Teile des Dienstes angeht (Urteil vom 5. Juni 2019, Az.: C 142/18).

Für kostenlose Webmaildienste wird der EuGH sich vermutlich der finnischen Lösung anschließen und Webmaildienste als elektronische Kommunikationsdienste einordnen. Dabei ist die vorgelegte Frage ohnehin etwas obsolet, da im Dezember 2018 nach langen Jahren der Beratung die EU-Richtlinie über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation (2018/1972) verabschiedet worden ist.

Dieser enthält eigene Definitionen (Art. 2) und wird daher wohl künftig Gegenstand weiterer Vorlagen nationaler Gerichte an den EuGH sein, auch wenn die Definition des Begriffs Elektronischer Kommunikationsdienst in Art. 2 Nummer 4 des Kodices dem § 3 Nummer 24 TKG sehr nahekommt. Auch hier wird auf die Entgeltmäßigkeit und die Signalübertragung als Hauptkriterien abgestellt.

Bundesnetzagentur als Megabehörde?

Sollte der EuGH von einem weiten Begriff der Telekommunikationsdienste ausgehen und Gmail entsprechend einordnen, wirft das weitere Fragen auf, etwa welche sektorspezifischen Regulierungsvorgaben in welcher Form konkret auf OTT anwendbar sein können.

Dabei ist auch zu bedenken, dass der Begriff OTT heute weit mehr Dienste umfasst als einen simplen E-Mail Dienst, sondern zahlreiche Anwendungen in verschiedenen Sparten. Die Bundesnetzagentur würde so zur Megabehörde für das Internet, auch für Fragen des Datenschutzes und der Datensicherheit. Die Sicherheitsbehörden könnten Daten herausverlangen (§ 111 TKG). Die Anbieter müssten ihre Systeme so gestalten, dass Kommunikationsvorgänge auch mit anderen Plattform ermöglicht würden (§ 18 TKG).

Solch weitreichende Konsequenzen von einer legalistischen Analyse einer Definition in § 3 Nummer 24 TKG abhängig zu machen, wäre ein schwerer Fehler. Das TKG betraf dringend einer teleologischen Auslegung, unter Beachtung der besonderen ökonomischen Dynamik des Telekommunikationsmarktes und der allgemeinen Digitalisierung der Gesellschaft.

Wie die Bundesnetzagentur selber zugibt, bedarf es einer genauen Prüfung der Anforderungen Kundenschutz, Datenschutz und Sicherheit auch im Hinblick auf eine Angleichung bestehende Gesetze (neben dem TKG noch das Telemediengesetz) und auf das Problem der Marktmacht.

Prof. Dr. Thomas Hoeren ist Leiter des Instituts für Information, Telekommunikations – und Medienrecht der Universität Münster.

Zitiervorschlag

EuGH zu Gmail: . In: Legal Tribune Online, 12.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35867 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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