EuGH zu Italiens Verbot von genetisch verändertem Mais: Sofort­maß­nahmen nur bei ernstem Risiko für Gesund­heit oder Umwelt

von Dr. Carsten Bittner

13.09.2017

2/2: EuGH: Einmal erteilte Zulassung nur unter strengen Voraussetzungen angreifbar

Hierauf verweist der Gerichtshof in seiner jetzt ergangenen Entscheidung in Sachen "Fidenato u.a.". Und stellt klar, dass diese strengen Anforderungen dem allgemeinen Vorsorgeprinzip aus der Verordnung 178/2002 vorgehen.

Der EuGH begründet das nicht nur mit dem formellen Argument, dass es sich bei der Verordnung 1829/2003 um die speziellere Norm handelt. In der Sache weist der Gerichtshof – dem Generalanwalt folgend – darauf hin, dass sich das Vorsorgeprinzip aus der Verordnung 178/2002 auf Lebensmittel und Futtermittel im Allgemeinen bezieht. Diese durchlaufen vor ihrem Inverkehrbringen ganz überwiegend kein wissenschaftliches Zulassungsverfahren. Bei solchen Lebensmitteln und Futtermitteln müssten daher Sofortmaßnahmen schon dann ergriffen werden, wenn auch nur eine Unsicherheit über ein mögliches Risiko für die Gesundheit bestehe.

Genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel würden demgegenüber vor ihrer Zulassung umfassend wissenschaftlich untersucht. Das allgemeine Vorsorgeprinzip finde bereits im Rahmen dieser Untersuchung Anwendung, denn der Antragsteller müsse die Sicherheit der Erzeugnisse nachweisen. Dementsprechend könne die einmal erteilte Zulassung nur in Frage gestellt werden, wenn ein höheren Anforderungen genügender Nachweis dafür erbracht werde, dass entgegen den vorherigen wissenschaftlichen Feststellungen ein ernstes Risiko besteht.

Sollte eigentlich selbstverständlich sein

Die Entscheidung des EuGH sollte in doppelter Hinsicht eine Selbstverständlichkeit sein. Rechtssystematisch ist es selbstverständlich, dass eine spezielle Rechtsnorm Vorrang vor allgemeinen Rechtsprinzipien genießt.

In der Sache aber sollte es selbstverständlich sein, dass die Ergebnisse wissenschaftlicher Zulassungsverfahren, deren Durchführung für die Antragsteller mit erheblichen Investitionen verbunden ist, nicht ohne wissenschaftliche Grundlage wieder in Zweifel gezogen werden können. An dieser Stelle könnte man, als weiteres Rechtsprinzip, auch auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes verweisen.

Seit 2015 kommt es für einzelstaatliche Verbote des Anbaus genetisch veränderter Lebensmittel und Futtermittel nicht mehr auf die Abwägung zwischen dem Vorsorgeprinzip und der Verordnung 1829/2003 an. Aufgrund des wachsenden Widerstandes vieler Mitgliedstaaten gegen die Zulassung genetisch veränderter Lebensmittel und Futtermittel haben Parlament und Rat die Richtlinie (EU) 2015/412 erlassen. Danach können Mitgliedstaaten bereits im Zulassungsverfahren verlangen, dass ein genetisch verändertes Lebensmittel auf ihrem Hoheitsgebiet nicht angebaut wird.

Darüber hinaus können die Mitgliedstaaten den Anbau auch nachträglich aus recht weit gefassten Gründen beschränken oder untersagen. Der Anbau der Maissorte Mohn-810 ist von der Kommission im Jahr 2016 in den Hoheitsgebieten von 19 Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland und Italien, untersagt worden. Dessen ungeachtet behält die Entscheidung des EuGH ihre Bedeutung. Für Maßnahmen, die sich gegen das Inverkehrbringen oder die sonstige Verwendung genetisch veränderter Lebensmittel und Futtermittel richten. Und  darüber hinaus selbstverständlich als höchstrichterliche Bekräftigung des alten Grundsatzes "lex specialis …".

Der Autor Dr. Carsten Bittner ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner im Bereich Lebensmittel- und Kartellrecht bei Graf von Westphalen in Hamburg.

Zitiervorschlag

EuGH zu Italiens Verbot von genetisch verändertem Mais: . In: Legal Tribune Online, 13.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24511 (abgerufen am: 07.11.2024 )

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