2/2: Kommission darf ihre Leitlinien flexibel handhaben
Nach Auffassung des Gerichts kann die Kommission mit ihrem eigenen "Soft law" jedoch relativ locker umgehen. Zwar wird eine gewisse Selbstbindung der Kommission an ihre eigenen Mitteilungen – auch vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes – im Urteil bejaht. In punkto Flexibilität zeigt das Gericht jedoch großes Entgegenkommen. So sei die Kommission berechtigt, von den Vorgaben in ihren Leitlinien abzuweichen, wenn sie berechtigte Gründe hierfür habe.
Im konkreten Fall ging es unter anderem um die Frage, ob BMW tatsächlich die in den Leitlinien festgelegte 25 Prozent-Marktanteilsschwelle überschritten hatte. Denn dann - so stand es in den Leitlinien – führt dies zu einer strengeren Beurteilung der Voraussetzung für die Gewährung der Beihilfe.
Die Überschreitung dieser kritischen Grenze hatte die Kommission letztlich nicht nachgewiesen, wendete aber dennoch die strengeren Maßstäbe an, da sie eben über ein weites Ermessen verfüge, argumentierten die Mitglieder. Das Gericht beanstandete dies nicht.
Welchen Stellenwert hat die Rechtssicherheit?
Der Rechtsanwender, der der Kommission gegenübersteht, ist somit in einer schwierigen Lage. Einerseits spielt Soft law eine immer größere Rolle. Es ist schwer zu leugnen, dass mittlerweile fast eine faktische Rechtssetzungsbefugnis der Kommission besteht, auch wenn dies nicht offen zugestanden wird. Andererseits zeigen gerade jüngere Urteile im Kartell- und Beihilferecht, dass die Kommission im Einzelfall hiervon abweichen darf – zum Nachteil der Betroffenen. Eine solche Asymmetrie macht nicht nur Anwälten bekanntlich wenig Spaß. Es ist ganz einfach unfair, wenn eine der beteiligten Parteien die Spielregeln einseitig ändern kann.
Der rote Faden, der sich durch Rechtsprechung und Kommissionspraxis sieht, ist somit deutlich sichtbar: Maximale Flexibilität für die Kommission und nur sehr wenig Rechtssicherheit und Vertrauensschutz für die betroffenen Unternehmen. Für diese heißt das also: anders als der Name suggeriert, hat Soft law mit Kuschelfaktor nichts zu tun.
Der Autor Dr. Ulrich Soltész ist Rechtsanwalt und Partner bei Gleiss Lutz in Brüssel. Er arbeitet seit über 20 Jahren im EU-Recht, insbesondere im Europäischen Kartell- und Beihilferecht.
EuG zu staatlichen Beihilfen für BMW: . In: Legal Tribune Online, 12.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24483 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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