EU will Beihilfenkontrolle modernisieren: Gezieltere Finanzspritzen für einen starken Binnenmarkt

Die EU-Kommission hat eine Mitteilung über die Modernisierung des Beihilfenrechts verabschiedet. Sie soll angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage zu einer effizienteren Nutzung der knappen öffentlichen Mittel beitragen. Was Brüssel noch tun muss, um die Wachstumsziele zu unterstützen und gleichzeitig beihilfenbedingte Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, erklärt Alexander Lorz.

Wachstum ist in Europa derzeit nicht nur die Sorge der FDP und des neugewählten französischen Staatspräsidenten Hollande. Alle europäischen Organe stimmen in ihrer Analyse dahingehend überein, dass die Wirtschaftsprognosen bis auf weiteres für die Union unbefriedigend bleiben werden. Vor diesem Hintergrund liegt es der EU-Kommission am Herzen, "das volle Potenzial eines wettbewerbsbestimmten Binnenmarkts auszuschöpfen".

Hierfür spielt die Ausgestaltung des europäischen Beihilfenrechts eine wesentliche Rolle. Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) bestimmt anhand von vier Kriterien, ob eine grundsätzlich verbotene Beihilfe vorliegt: Es muss ein Transfer staatlicher Mittel stattfinden, der eine Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige herbeiführt, und dieser Transfer muss außerdem den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen und sich negativ auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten auswirken.

Etablierte Leitlinien waren in der Krise nur begrenzt tauglich

Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit, denn speziell Art. 107 Abs. 3 AEUV eröffnet darüber hinaus jede Menge potenzieller Ausnahmetatbestände, deren Vorliegen im Zweifel einer Ermessensentscheidung der Kommission unterliegt. Neben regionalen und sektoralen Beihilfen sind insbesondere auch solche zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse oder zur Behebung einer beträchtlichen wirtschaftlichen Störung in einem Mitgliedstaat genehmigungsfähig.

Da der Vertragstext an dieser Stelle so viel Spielraum läßt, kommt es entscheidend auf die Handhabung durch die Kommission an. Die Kommission hat daher schon in der Vergangenheit immer wieder durch Mitteilungen und Leitlinien klargemacht, in welche Richtung sie das Beihilfenrecht weiterzuentwickeln gedenkt. Vereinfacht kann man sagen: Wenn der Grundtatbestand einer staatlichen Beihilfe erfüllt und somit eine Freigabe auf europäischer Ebene erforderlich ist, hängt alles an der Entscheidungspraxis der Kommission.

Die Finanzkrise von 2008 und die in ihrem Gefolge aufgetretenen Erschütterungen haben allerdings deutlich demonstriert, dass die unter anderen Bedingungen formulierten Maßstäbe der Kommission für die Bewältigung solcher Krisen nur begrenzt tauglich sind. So mussten die etablierten Leitlinien für die Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen im Fall der bedrohten Finanzinstitute mehrfach umgeschrieben bzw. angepasst werden. Auch vor diesem Hintergrund ist die jetzt angekündigte Neugestaltung des Beihilfenrechts durch die Kommission zu sehen.

Kommission unterscheidet zwischen "guten" und "bösen" Beihilfen

Die wahrscheinlich wichtigste Neuerung wird darin bestehen, dass die Beihilfen-kontrolle in Zukunft die Gewährung "gut konzipierter" Beihilfen erleichtern soll, die auf die Behebung von Marktversagen und Ziele von gemeinsamem Interesse ausgerichtet sind. Dabei geht es um die Förderung nachhaltigen Wachstums im Sinne der Leitinitiativen der Strategie "Europa 2020" und die Verbesserung der Qualität der öffentlichen Ausgaben. Umgekehrt sollen Beihilfen (weiterhin) unterbunden werden, die mit keinem wirklichen Mehrwert verbunden sind und den Wettbewerb verzerren.

Diese Zielsetzung – auch wenn sie nicht grundlegend neu ist – deutet einen möglicherweise erheblichen Kurswechsel der Kommission an, wie er in der Finanzkrise schon exemplarisch zu besichtigen war: Beihilfen sind nicht mehr per se des Teufels; vielmehr gilt es zwischen "guten" wachstumsfördernden und "schlechten" wettbewerbsverzerrenden Beihilfen zu unterscheiden – mit der Kommission als Schiedsrichter.

Es könnte also sein, dass die alte nationale Subventionspolitik zur Wachstumsförderung mit europäischem Segen bald noch intensiver betrieben wird als bisher.

Sektorspezifische Untersuchungen in den Mitgliedstaaten

Den zweiten Schwerpunkt der neuen Kommissionsmitteilung bildet die Absichtserklärung, die Durchsetzung des Beihilfenrechts in Zukunft auf Fälle mit besonders starken Auswirkungen auf den Binnenmarkt zu fokussieren. Zu diesem Zweck kündigt die Kommission an, sektorspezifische Untersuchungen in den Mitgliedstaaten durchführen zu wollen und umfangreiche, potenziell wettbewerbsverzerrende Beihilfen verstärkt zu prüfen. Außerdem verspricht die Kommission eine Straffung der Verfahren mit dem Ziel, ihre Beschlüsse "in einem für Unternehmen annehmbaren Zeitraum" zu erlassen, und allgemein eine Präzisierung des Beihilfenbegriffs und der von der Kommission verfolgten Konzepte.

Diese geplanten Neuerungen sind – in der Allgemeinheit, mit der sie bislang formuliert werden – uneingeschränkt zu begrüßen. Wenn die Kommission sich in Zukunft auf die "großen Fische" konzentriert und für die kleineren ein gut funktionierendes Clearingverfahren installiert, ist allen Beteiligten und der Entwicklung des Binnenmarkts insgesamt gedient.

Aber es ist eben bislang auch nur eine Mitteilung, in der die Kommission die Ziele ihres Reformpakets darlegt. Ein endgültiges Urteil wird man erst fällen können, wenn die Einzelheiten dieses Pakets bekannt sind, das die Kommission spätestens Ende 2013 in Kraft setzen möchte. Bis dahin bleibt noch viel Arbeit: Die existierenden Leitlinien etwa für Umwelt- und Regionalbeihilfen, Risikokapital und die Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen müssen überarbeitet und gestrafft werden. Sowohl die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung als auch die De-minimis-Verordnung aus dem letzten Jahrzehnt bedürfen erheblicher Modifikationen. Und schließlich wird die Kommission auch an ihren eigenen Verwaltungsabläufen arbeiten müssen. Vorher werden sich die Praktiker mit ihrer endgültigen Bewertung dieses Neuansatzes wohl zurückhalten.

Univ.-Prof. Dr. Ralph Alexander Lorz, Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Ausländisches Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Zitiervorschlag

Ralph Alexander Lorz, EU will Beihilfenkontrolle modernisieren: . In: Legal Tribune Online, 14.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6184 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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