EU stoppt Anti-Korruptionsbericht: Heim­lich begr­aben

von Cornelia Spörl, Mag. Iur., LL.M.

25.04.2017

2/2: "Erfahrungsaustausch" kann Bericht nicht ersetzen

Der weiterhin vorgesehene Erfahrungsaustausch ("Experience Sharing Programme") ist zwar auch auf EU-Ebene sinnvoll; er stellt aber kein annähernd so machtvolles Instrument dar wie der Bericht. Korruption wird im Europäischen Semester zudem nicht einmal zentral verhandelt: 2016 war sie nur in 8 von 27 Länderberichten überhaupt ein Thema. Und selbst wenn sich Expertenrunden spezifisch der Korruption annehmen, findet lediglich ein unverbindlicher zwischenstaatlicher Erfahrungsaustausch statt. Ein solcher passt eher in den Werkzeugkasten einer internationalen Organisation als in den einer starken supranationalen Gemeinschaft wie der EU. Denn weder haben die Workshops irgendeine unmittelbare Bindungswirkung, noch besitzen sie ausreichend Strahlkraft, um nach dem Prinzip "naming and shaming" Druck auf die Regierungen delinquenter Mitgliedstaaten aufzubauen. Ja, sie besitzen noch nicht einmal eine über den reinen Dialog hinausgehende Aussagekraft, da spezifischen Problembereiche in einzelnen Mitgliedstaaten nicht identifiziert und passende Verbesserungsvorschläge nicht formuliert werden.

Misslich ist nicht nur der Verzicht auf eine Fortführung des Antikorruptionsberichts, sondern auch die Kommunikation dieser Entscheidung: Die zuständige Generaldirektion Migration und Inneres der Kommission lässt ihre Homepage unverändert und betont die Wichtigkeit der Korruptionsbekämpfung genauso wie die Vorteile des Berichts. Die Europäische Kommission selbst legt den veränderten Umgang mit Korruption also nicht deutlich offen. Damit gefährdet sie – gegen den ausdrücklichen Willen des Parlaments – die Glaubwürdigkeit der Forderung nach Good Governance: Transparenz fordern und sich selbst intransparent verhalten, das lässt sich schlecht vereinbaren. Und die Aura der Heimlichkeit ist gerade bei der Bekämpfung der heimlichsten aller Deliktsformen fehl am Platz.

Einknicken auf Druck einzelner Mitgliedstaaten?

Schließlich ist auch der Zeitpunkt der Entscheidung unglücklich gewählt. Der zweite Bericht stand kurz vor der Fertigstellung. Vor allem aber wäre der Bericht angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen wichtig gewesen. Dass man es nicht schafft, politischen Druck von EU-Seite auf die Mitgliedstaaten auszuüben, sondern umgekehrt augenscheinlich dem Druck einiger Mitgliedstaaten erlegen ist, legt auch die Aussage eines Sprechers der Kommission gegenüber dem Nachrichtenportal EUObserver nahe: "For the commission, the fight against corruption is not in any way an attempt to interfere or offer value judgments within the political life in a member state".

Von Anfang an hatte der EU-Antikorruptionsbericht gegen politische Widerstände zu kämpfen – schon 2003 war er vom Europäischen Parlament gefordert worden, erst 2011 hat die Europäische Kommission ihn angekündigt, die für 2013 geplante Veröffentlichung der unliebsamen Ergebnisse wurde sodann von den Regierungen einiger Mitgliedstaaten bis 2014 verschleppt. Ein Jahr nach Fälligkeit des für 2016 geplanten zweiten Berichts wird das Instrument nun gänzlich ausgesetzt.

Man kann davon ausgehen, dass die Aussetzung des Berichts nicht auf einen Gesinnungswandel innerhalb der EU zurückzuführen ist, sondern von Mitgliedstaaten initiiert wurde. Kandidaten, die darauf hingewirkt haben könnten, gäbe es genug: Mitgliedstaaten mit einer schlechten Beurteilung im ersten Bericht hätten bei Veröffentlichung des zweiten Berichts sicherlich unter einem besonderen Druck gestanden. Bemerkenswert ist auch die zeitliche Koinzidenz zwischen der Veröffentlichung von Timmermans Schreiben einerseits und des Kommissionsberichts zum Fortschritt der Justizreform und Korruptionsbekämpfung in Rumänien und Bulgarien andererseits. Letzterer kam zu dem Ergebnis, dass die Zielsetzungen in den beiden Ländern nicht zufriedenstellend erreicht worden seien.

Das falsche Signal

EU-kritische Kurse in einigen Regierungskreisen und der Zuwachs euroskeptischer Äußerungen auch in anderen Mitgliedstaaten erschweren den Dialog darüber hinaus gewiss grundsätzlich. Und selbst ein Staat wie Frankreich hat zu Beginn des Jahres, zeitgleich mit dem Stopp des EU Anti-Korruptionsberichts, einen Korruptionsskandal um den französischen Präsidentschaftskandidaten Fillon erlebt, der eine Debatte um die Korruption der politischen Elite entfachte.

Der heimliche Rückzug setzt das falsche Signal; er hemmt eine sachliche, faktenbasierte Diskussion. Wie es um die Korruptionslage der EU derzeit bestellt ist, ob etwa die Verbesserungsvorschläge des ersten Berichts (wie in Deutschland) umgesetzt wurden, sollte wissenschaftlich aufbereitet und öffentlich zugänglich gemacht werden. Dass sich die Europäische Kommission nun dieser zentralen Aufgabe entledigt, schadet der EU selbst wie auch ihren Mitgliedstaaten. Die Koordinatoren des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres des Europäischen Parlaments haben zwischenzeitlich im Februar den Beschluss gefasst, Timmermans in den Ausschuss einzuladen. Eine Debatte über die Aussetzung des Antikorruptionsberichts ist im Ausschuss für den 4. Mai geplant. Es bleibt also zu hoffen, dass die EU das Thema weiter forciert und den Anti-Korruptionsbericht veröffentlicht.

Die Autorin Cornelia Spörl, Mag. Iur. (Köln), LL.M. (Melbourne LTU) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafrechtstheorie und Strafrechtsvergleichung der Universität zu Köln. Ihre Doktorarbeit schreibt sie über ein Korruptionsthema. Ihr Doktorvater Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel war als Experte am ersten und unveröffentlichten zweiten Anti-Korruptionsbericht der EU beteiligt.

Zitiervorschlag

EU stoppt Anti-Korruptionsbericht: . In: Legal Tribune Online, 25.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22727 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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