Entwurf des Bundesfinanzministeriums: Berich­tigung oder Selbst­anzeige?

von Thorsten Franke-Roericht und David Roth

03.08.2015

2/2: Abgrenzung anhand von Wissen & Willen

Wie also soll künftig zwischen der bloßen Berichtigung und der strafbefreienden Selbstanzeige differenziert werden? Nach dem Entwurf erkennt der Steuerpflichtige bei einer Berichtigung erst nach Abgabe seiner Steuererklärung deren Fehlerhaftigkeit. "Erkennen" meint: tatsächliches Erkennen im Sinne "positiven Wissens", kein Erkennen-Können, auch kein Erkennen-Müssen. Hingegen betreffe die Selbstanzeige Fälle, in denen der Steuerpflichtige bereits bei Abgabe der Erklärung vorsätzlich – also wissentlich und willentlich und nicht nur aus Versehen – Steuern hinterziehen will. Bis hierhin formuliert der Entwurf nichts Neues.

Auch die anschließenden Ausführungen sind hinlänglich bekannt: Nicht jede objektive Unrichtigkeit einer Erklärung lege den Verdacht einer Steuerstraftat nahe. Vielmehr müsse sorgsam geprüft werden, ob ein Anfangsverdacht für eine solche bestehe. Allein die Höhe der Steuerverkürzung oder die Anzahl der abgegebenen Erklärungen würden nicht automatisch einen solchen Verdacht begründen. Entsprechendes gelte für den Verdacht einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO).

Anzeige muss unverzüglich erfolgen, Berichtigung in angemessener Frist

Sodann folgen Bemerkungen zum Vorsatz und zur Leichtfertigkeit. Drei Praxisbeispiele aus dem Unternehmensbereich sollen die vorangegangenen Aussagen veranschaulichen. Daneben befassen sich die weiteren Passagen mit dem Umfang, den verpflichteten Personen sowie dem Zeitpunkt der Berichtigung. Auch hier werden Beispiele zur Veranschaulichung eingesetzt.

Besonders erwähnenswert: Das BMF differenziert bei der Berichtigungserklärung zutreffend zwischen der Unverzüglichkeit der Anzeige auf der einen und der Richtigstellung innerhalb angemessener Frist auf der anderen Seite. Eine solche Differenzierung wird noch nicht in allen Teilen der Finanzverwaltung gelebt. Die Klarstellung ist daher zu begrüßen.

Interessant ist auch der Hinweis auf ein "innerbetriebliches Kontrollsystem" (Tax Compliance System): Dieses könne ein "Indiz" darstellen, das gegen die Annahme einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung spreche. Zahlreiche Unternehmen haben bereits ein solches System installiert. Es soll rechtmäßiges steuerliches Verhalten gewährleisten und frühzeitig mögliche Steuerrisiken aufdecken.

Lücken und Fehler im Erlass

Eine Beschreibung, wie ein solches Kontrollsystem konkret ausgestaltet sein muss, bleibt der Erlass jedoch schuldig.

Wünschenswert wäre auch die Klarstellung, dass eine unverzügliche Anzeige nach § 153 AO die Einholung fachkundigen Rates nicht ausschließt. Praxisnah wäre es, die Pflicht zur Anzeige ebenfalls als erfüllt anzusehen, wenn die Berichtigungserklärung bei einem unzuständigen Finanzamt eingeht.

Neben den grundsätzlich positiven Aspekten sind jedoch auch Ungenauigkeiten und Lücken erkennbar. Anders als im Entwurf dargestellt, gilt der "nemo-tenetur-Grundsatz" nicht nur bei formell eingeleiteten Strafverfahren, sondern bereits gegenüber jedem – auch nur materiell – Beschuldigten. Ferner wird die Unterscheidung zwischen unverzüglicher Anzeige und späterer Berichtigung in (nur) angemessener Zeit nicht durchgehend eingehalten (vgl. “unverzügliche Berichtigung“). Zudem beantwortet der Entwurf nicht, was “unverzüglich“ konkret bedeutet sein soll – eine Woche, wenige Monate?

Unzutreffend ist der Hinweis, dass bei vorsätzlichem Verstoß gegen die Anzeige- und Berichtigungspflicht bereits "ab dem Zeitpunkt des Erkennens" der fehlerhaften Erklärung eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen vorliege. Dies ist vielmehr erst mit Ablauf der vorgegebenen Frist zur Berichtigung der Fall.

Besonders bemerkenswert: Der Entwurf weicht von der BGH-Rechtsprechung ab. So bestehe die Berichtigungspflicht nach § 153 AO nicht in Fällen, in denen eine falsche Erklärung mit Eventualvorsatz abgegeben wurde. Der BGH bejaht hingegen eine solche Pflicht, wenn der Steuerpflichtige später zu der sicheren Erkenntnis gelangt, dass die Angaben unrichtig sind (vgl. Beschl. v. 17.03.2009, Az. 1 StR 479/08). Die Entscheidung steht bis heute in der Kritik. Sie trennt zum Nachteil des Steuerpflichtigen steuerverfahrensrechtliche und strafrechtsdogmatische Fragen nicht hinreichend voneinander.

Was sich noch ändern könnte, und wen der Erlass bindet

Ende August dürften die Stellungnahmen der Verbände vorliegen. Grundsätzlich scheint das BMF gewillt, Kritik zu berücksichtigen. Sicher ist dies allerdings nicht. Denn bereits die kritischen Einwürfe der Expertenkommission zur letzten Selbstanzeigereform 2014  verhallten folgenlos. Die Praxis ist nun einem kaum handhabbaren Selbstanzeigerecht ausgesetzt.

Da der Entwurf vorläufig ist, könnten auch Verschärfungen drohen. So steht insbesondere noch die Bund-Länder-Abstimmung mit den z.T. strafverfolgungsfreundlichen Ministern – wie etwa NRW-Finanzminister Walter-Borjans – aus.

Ein letzter Punkt: Der BMF-Erlass bindet als bloßes Innenrecht nur die Finanzverwaltung. Über ihn soll eine einheitliche Verwaltungspraxis gewährleistet werden. Demgegenüber sind weder Steuerpflichtige noch Staatsanwaltschaften oder (Straf-)Gerichte an den Erlass gebunden. Er schafft daher nur bedingt Rechtssicherheit.

Thorsten Franke-Roericht, LL.M. Wirtschaftsstrafrecht, ist Steueranwalt und Strafverteidiger in eigener Kanzlei in Frankfurt am Main. Er berät und vertritt Unternehmen und Privatpersonen in den Bereichen Selbstanzeige, Steuerstrafrecht und Wirtschaftsstrafrecht. Zudem publiziert regelmäßig zu diesen Themen.

David Roth, LL.M. oec., ist stellvertretender Leiter des Staatlichen Rechnungsprüfungsamts für Steuern in Münster und Mitautor im Steuerstrafrechtskommentar Rolletschke/Kemper. Der Beitrag ist in nicht dienstlicher Eigenschaft verfasst.

Zitiervorschlag

Entwurf des Bundesfinanzministeriums: . In: Legal Tribune Online, 03.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16474 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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