Die Selbstanzeige wurde über prominente Steuersünder-Fälle selbst prominent. Häufig genügt jedoch eine bloße Berichtigung. Ein vorläufiger BMF-Entwurf soll die Abgrenzung erleichtern. Thorsten Franke-Roericht und David Roth stellen ihn vor.
"Mir war bis vor kurzem gar nicht bewusst, dass es so etwas noch nicht gibt", gestand der Steuerchef von Bundesfinanzminister Schäuble im Februar auf einer Steuerkonferenz. Mit "etwas" ist der besagte Erlass des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) gemeint, der die "Berichtigung von Erklärungen" nach § 153 der Abgabenordnung (AO) von der "Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung" nach § 371 AO unterscheiden soll. Nun liegt ein Diskussionsentwurf vor. Zahlreiche Verbände haben ihn zur Stellungnahme erhalten.
Wie brisant das Thema in der Praxis ist, zeigt folgendes Beispiel: Die letzte Umsatzsteuerjahreserklärung eines Unternehmers war versehentlich fehlerhaft. Eine Umsatzsteuerverkürzung ist die Folge. Der Unternehmer erkennt dies wenige Wochen nach Abgabe der Erklärung. Er zeigt den Fehler an und berichtigt ihn. Das Finanzamt reicht den Vorgang intern an die Bußgeld- und Strafsachenstelle (BuStra) weiter. Diese leitet ein Steuerstrafverfahren ein. Es liege keine Berichtigung, sondern eine Selbstanzeige vor. Deren Wirksamkeit werde nun überprüft.
Verkehrte Welt: Kriminalisierung von Berichtigungen
Bereits der Strafvorwurf wiegt schwer. Liegt die angebliche Steuerhinterziehung im Millionenbereich, droht nach der BGH-Rechtsprechung eine Freiheitsstrafe, die im Regelfall nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Neben den Steuernachzahlungen kommen Belastungen wie Hinterziehungszinsen (§ 235 AO) und ggf. ein Strafzuschlag (§ 398a AO) hinzu. Langwierige Steuer- bzw. Strafprozesse sind möglich. Nicht jeder Unternehmer übersteht all das schadlos. Wäre die Erklärung als bloße Berichtigung (§ 153 AO) angesehen worden, wären lediglich die Steuern nachzuzahlen gewesen – die BuStra wäre überhaupt nicht tätig geworden.
Das beschriebene Phänomen ist in der Praxis als "Kriminalisierung von Berichtigungen" bekannt. Unternehmen berichten schon seit Jahren von dieser härteren Gangart des Fiskus.
Ebenfalls problematisch: § 153 AO ist als steuerliche Pflicht ausgestaltet. Erkennt der Steuerpflichtige vor Ablauf der steuerlichen Festsetzungsfrist den Fehler, muss er dies unverzüglich anzeigen und innerhalb angemessener Frist richtigstellen. Hier ist bislang nicht geklärt, was unter "unverzüglich" zu verstehen ist – eine Woche, wenige Monate? Wartet der Steuerpflichtige zu lange, droht der Vorwurf der Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Dann wiederum rettet nur noch die Selbstanzeige.
Diese Gesamtsituation ist unbefriedigend.
Die Zweifel der Verwaltungspraxis
Auch die Verwaltungspraxis wünscht sich Klarheit. Denn eine Berichtigung ist kaum von einer Selbstanzeige zu unterscheiden: Zum einen decken beide rückwirkend eine Steuerverkürzung auf, zum anderen werden Berichtigungserklärungen aus Sicherheitsgründen regelmäßig wie eine Selbstanzeige formuliert. Die Finanzbehörde steht dann vor der schwierigen Aufgabe, das Nacherklärungsschreiben einordnen zu müssen.
Ein Blick in die sonst hilfreiche Erlasslage nützt bislang nichts. In den "Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) – AStBV 2014" heißt es lapidar: "Selbstanzeigen…die als solche bezeichnet oder erkennbar sind, sind der BuStra zuzuleiten." Diese Pflicht entfällt, wenn Erklärungen "zweifelsfrei" auf nachträglichen Erkenntnissen des Steuerpflichtigen beruhen. Der Erkenntnisgewinn dieser Entscheidungshilfen tendiert gegen null. Im Zweifel entscheidet man sich – nicht zuletzt wegen der Abgabemöglichkeit an die BuStra – gegen die Berichtigungserklärung.
Das BMF hat nun erstmals die Notwendigkeit erkannt, der Verwaltungspraxis konkrete Handreichungen zur Abgrenzung zu geben. Fälle, bei denen am Ende strafrechtlich nichts rauskommen werde, sollen frühzeitig aussortiert werden. Erste Stimmen aus den Berater- und Wirtschaftsverbänden begrüßen das Vorhaben. Es hat lange auf sich warten lassen: Selbstanzeige und Berichtigung teilen eine nahezu achtzigjährige Geschichte.
2/2: Abgrenzung anhand von Wissen & Willen
Wie also soll künftig zwischen der bloßen Berichtigung und der strafbefreienden Selbstanzeige differenziert werden? Nach dem Entwurf erkennt der Steuerpflichtige bei einer Berichtigung erst nach Abgabe seiner Steuererklärung deren Fehlerhaftigkeit. "Erkennen" meint: tatsächliches Erkennen im Sinne "positiven Wissens", kein Erkennen-Können, auch kein Erkennen-Müssen. Hingegen betreffe die Selbstanzeige Fälle, in denen der Steuerpflichtige bereits bei Abgabe der Erklärung vorsätzlich – also wissentlich und willentlich und nicht nur aus Versehen – Steuern hinterziehen will. Bis hierhin formuliert der Entwurf nichts Neues.
Auch die anschließenden Ausführungen sind hinlänglich bekannt: Nicht jede objektive Unrichtigkeit einer Erklärung lege den Verdacht einer Steuerstraftat nahe. Vielmehr müsse sorgsam geprüft werden, ob ein Anfangsverdacht für eine solche bestehe. Allein die Höhe der Steuerverkürzung oder die Anzahl der abgegebenen Erklärungen würden nicht automatisch einen solchen Verdacht begründen. Entsprechendes gelte für den Verdacht einer leichtfertigen Steuerverkürzung (§ 378 AO).
Anzeige muss unverzüglich erfolgen, Berichtigung in angemessener Frist
Sodann folgen Bemerkungen zum Vorsatz und zur Leichtfertigkeit. Drei Praxisbeispiele aus dem Unternehmensbereich sollen die vorangegangenen Aussagen veranschaulichen. Daneben befassen sich die weiteren Passagen mit dem Umfang, den verpflichteten Personen sowie dem Zeitpunkt der Berichtigung. Auch hier werden Beispiele zur Veranschaulichung eingesetzt.
Besonders erwähnenswert: Das BMF differenziert bei der Berichtigungserklärung zutreffend zwischen der Unverzüglichkeit der Anzeige auf der einen und der Richtigstellung innerhalb angemessener Frist auf der anderen Seite. Eine solche Differenzierung wird noch nicht in allen Teilen der Finanzverwaltung gelebt. Die Klarstellung ist daher zu begrüßen.
Interessant ist auch der Hinweis auf ein "innerbetriebliches Kontrollsystem" (Tax Compliance System): Dieses könne ein "Indiz" darstellen, das gegen die Annahme einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung spreche. Zahlreiche Unternehmen haben bereits ein solches System installiert. Es soll rechtmäßiges steuerliches Verhalten gewährleisten und frühzeitig mögliche Steuerrisiken aufdecken.
Lücken und Fehler im Erlass
Eine Beschreibung, wie ein solches Kontrollsystem konkret ausgestaltet sein muss, bleibt der Erlass jedoch schuldig.
Wünschenswert wäre auch die Klarstellung, dass eine unverzügliche Anzeige nach § 153 AO die Einholung fachkundigen Rates nicht ausschließt. Praxisnah wäre es, die Pflicht zur Anzeige ebenfalls als erfüllt anzusehen, wenn die Berichtigungserklärung bei einem unzuständigen Finanzamt eingeht.
Neben den grundsätzlich positiven Aspekten sind jedoch auch Ungenauigkeiten und Lücken erkennbar. Anders als im Entwurf dargestellt, gilt der "nemo-tenetur-Grundsatz" nicht nur bei formell eingeleiteten Strafverfahren, sondern bereits gegenüber jedem – auch nur materiell – Beschuldigten. Ferner wird die Unterscheidung zwischen unverzüglicher Anzeige und späterer Berichtigung in (nur) angemessener Zeit nicht durchgehend eingehalten (vgl. “unverzügliche Berichtigung“). Zudem beantwortet der Entwurf nicht, was “unverzüglich“ konkret bedeutet sein soll – eine Woche, wenige Monate?
Unzutreffend ist der Hinweis, dass bei vorsätzlichem Verstoß gegen die Anzeige- und Berichtigungspflicht bereits "ab dem Zeitpunkt des Erkennens" der fehlerhaften Erklärung eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen vorliege. Dies ist vielmehr erst mit Ablauf der vorgegebenen Frist zur Berichtigung der Fall.
Besonders bemerkenswert: Der Entwurf weicht von der BGH-Rechtsprechung ab. So bestehe die Berichtigungspflicht nach § 153 AO nicht in Fällen, in denen eine falsche Erklärung mit Eventualvorsatz abgegeben wurde. Der BGH bejaht hingegen eine solche Pflicht, wenn der Steuerpflichtige später zu der sicheren Erkenntnis gelangt, dass die Angaben unrichtig sind (vgl. Beschl. v. 17.03.2009, Az. 1 StR 479/08). Die Entscheidung steht bis heute in der Kritik. Sie trennt zum Nachteil des Steuerpflichtigen steuerverfahrensrechtliche und strafrechtsdogmatische Fragen nicht hinreichend voneinander.
Was sich noch ändern könnte, und wen der Erlass bindet
Ende August dürften die Stellungnahmen der Verbände vorliegen. Grundsätzlich scheint das BMF gewillt, Kritik zu berücksichtigen. Sicher ist dies allerdings nicht. Denn bereits die kritischen Einwürfe der Expertenkommission zur letzten Selbstanzeigereform 2014 verhallten folgenlos. Die Praxis ist nun einem kaum handhabbaren Selbstanzeigerecht ausgesetzt.
Da der Entwurf vorläufig ist, könnten auch Verschärfungen drohen. So steht insbesondere noch die Bund-Länder-Abstimmung mit den z.T. strafverfolgungsfreundlichen Ministern – wie etwa NRW-Finanzminister Walter-Borjans – aus.
Ein letzter Punkt: Der BMF-Erlass bindet als bloßes Innenrecht nur die Finanzverwaltung. Über ihn soll eine einheitliche Verwaltungspraxis gewährleistet werden. Demgegenüber sind weder Steuerpflichtige noch Staatsanwaltschaften oder (Straf-)Gerichte an den Erlass gebunden. Er schafft daher nur bedingt Rechtssicherheit.
Thorsten Franke-Roericht, LL.M. Wirtschaftsstrafrecht, ist Steueranwalt und Strafverteidiger in eigener Kanzlei in Frankfurt am Main. Er berät und vertritt Unternehmen und Privatpersonen in den Bereichen Selbstanzeige, Steuerstrafrecht und Wirtschaftsstrafrecht. Zudem publiziert regelmäßig zu diesen Themen.
David Roth, LL.M. oec., ist stellvertretender Leiter des Staatlichen Rechnungsprüfungsamts für Steuern in Münster und Mitautor im Steuerstrafrechtskommentar Rolletschke/Kemper. Der Beitrag ist in nicht dienstlicher Eigenschaft verfasst.
Thorsten Franke-Roericht und David Roth, Entwurf des Bundesfinanzministeriums: Berichtigung oder Selbstanzeige? . In: Legal Tribune Online, 03.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16474/ (abgerufen am: 18.07.2024 )
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