Eltern und pflegende Angehörige sollen ihre Arbeitszeit flexibler gestalten können. Ein familienfreundliches Arbeitsrecht sieht allerdings anders aus, finden Gregor Thüsing und Lena Bleckmann.
Der Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige (RL (EU) 2019/1158) liegt nun vor und wurde am 8. Juni vom Kabinett beschlossen. Noch vor der Sommerpause soll die Regelung verabschiedet werden.
Diesmal wird also – so scheint es – anders als beim Hinweisgeberschutz rechtzeitig gehandelt. Der Entwurf ist rechtzeitig, aber mutlos. Er enthält verschiedene Einzelregelungen zur geringfügigen Anpassung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG), des Pflegezeitgesetzes (PflegeZG) und des Familienpflegezeitgesetzes (FPfZG). Vor allem aber sieht der Entwurf auch eine Anpassung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vor, die allerdings hinter Erwartungen und Möglichkeiten zurückbleibt.
Mehr Flexibilität für Arbeitnehmer?
Nach Art. 9 Richtlinie (EU) 2019/1158 müssen zugunsten Fürsorgeleistender flexible Arbeitszeitregelungen geschaffen werden. Ein Mehr an Flexibilität gewinnen Eltern und pflegende Angehörige durch den Gesetzesentwurf der Bundesregierung aber nicht. Größtenteils erfolgen klarstellende Anpassungen: Pflegende Angehörige haben bereits jetzt nach Maßgabe der § 3 Abs. 1 PflegeZG und § 2 Abs. 1 FPfZG einen Anspruch darauf, vollständig oder teilweise von der Arbeitsleistung freigestellt zu werden. Das gilt allerdings nicht, wenn der Arbeitgeber in der Regel weniger als 15 bzw. 25 Mitarbeitende beschäftigt.
Sowohl im PflegeZG als auch im FPfZG soll nun verdeutlicht werden, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine (Familien-)Pflegezeit vereinbaren können, auch wenn der Arbeitnehmer aufgrund der Größe des Betriebs keinen entsprechenden Rechtsanspruch hat. Dann finden zahlreiche Vorschriften zur Ausgestaltung der Pflegezeit Anwendung – vom Anspruch auf ein zinsloses Darlehen bis hin zum Kündigungsschutz während der Freistellung.
Wenn der Arbeitnehmer keinen Rechtsanspruch auf (Familien-)Pflegezeit hat und eine einvernehmliche Regelung anstrebt, muss sein Arbeitgeber ihm innerhalb von vier Wochen eine Rückmeldung geben – und diese begründen. Die Transparenz, die die Bundesregierung damit anstrebt, mag das schaffen. Ob dem Betroffenen dadurch aber wirklich geholfen ist, steht auf einem anderen Blatt. Denn: Eine nicht sachlich begründete Ablehnung des Antrags führt noch nicht zu einer Zustimmungsfiktion, und damit auch nicht zur Freistellung von der Arbeitsleistung.
Dasselbe gilt für die vorgesehene Änderung des BEEG. Auch hier soll der Arbeitgeber die Ablehnung des Antrags auf Arbeitszeitverringerung begründen müssen. Der Entwurf regelt jedoch nicht, welche Folgen die Verletzung dieses Anspruchs hat. Hierauf kommt es aber auch nicht an, wenn der Arbeitnehmer trotz fehlender Einigung eine Verringerung der Arbeitszeit durchsetzen kann. Das ist unter den Voraussetzungen der § 15 Abs. 6 und 7 BEEG der Fall.
Gesetzgeber tut nicht mehr, als er muss
Weiterhin soll das AGG ergänzt werden. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes soll Ansprechpartner für Eltern und pflegende Angehörige werden, die sich infolge der Ausübung bestimmter Rechte benachteiligt fühlen. Eine umfassende Zuständigkeit der Antidiskriminierungsstelle für diese sogenannte Caregiver Discrimination folgt daraus jedoch nicht. Die vorgesehen Änderung des § 27 Abs. 1 AGG zählt abschließend, aber wenig übersichtlich die erfassten Rechte auf. Nur in diesem begrenzten Anwendungsbereich soll der Weg zur Antidiskriminierungsstelle offenstehen.
All dies der Pflicht gehorchend, nicht dem eignen Triebe: Der Gesetzgeber setzt die Richtlinie (EU) 2019/1158 um – er tut allerdings nicht mehr, als er absolut muss. Er begründet zwar eine Zuständigkeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, wie sie Art. 15 der Richtlinie vorgibt. Auch die Anforderungen des Art. 11 der Richtlinie, der eine Schlechterstellung infolge der dort vorgesehenen Rechte von Fürsorgeleistenden verbietet, sind wohl erfüllt. Schließlich greift in Arbeitsrecht ganz allgemein § 612a BGB, der Maßregelungen jeglicher Art verbietet.
Doch der Schutz vor Maßregelung wird nicht zu einem echten Diskriminierungsschutz erweitert.
Rücksichtnahmepflichten des Arbeitgebers
Eben das aber wäre sinnvoll gewesen: Das Problem der Diskriminierung von Fürsorgeleistenden im Arbeitsalltag geht weit über die Benachteiligung infolge der Inanspruchnahme eigener Rechte hinaus. Das Zurückstellen von Beförderungen, die Zuweisung geringerwertiger Aufgaben, Mobbing oder auch das Aussortieren von Eltern und pflegenden Angehörigen im Bewerbungsverfahren sind nur einige Beispiele der Caregiver Discrimination, die ein reines Maßregelungsverbot nicht lückenlos erfassen kann.
Diskriminierungsschutz, wie ihn das AGG gewährt, geht hier weiter. Das gilt schon für das Verbot der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung im engeren Sinne: Verboten ist sowohl eine offen ungünstigere Behandlung aufgrund eines Diskriminierungsmerkmals als auch ein scheinbar neutrales Vorgehen, das gleichwohl geeignet ist, Träger eines Diskriminierungsmerkmals zu benachteiligen. Auf die Inanspruchnahme konkreter Rechte kommt es hier nicht an.
Darüber hinaus sind dem Diskriminierungsschutz auch Rücksichtnahmepflichten immanent, die über ein reines Benachteiligungsverbot hinausgehen. Das kann für fürsorgeleistende Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen beispielsweise bedeuten, dass ihre Verpflichtungen berücksichtigt werden oder sie ein Mitspracherecht bei der Planung der Arbeitszeiten erhalten. Je nach ihren Bedürfnissen können Betroffene hierdurch zeitlich flexibler sein oder – im Gegenteil – durch feste Arbeitszeiten mehr Planungssicherheit erhalten.
Gesetzgeber verpasst Chance zu familienfreundlichem Arbeitsrecht
Mit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes erhalten Fürsorgeleistende einen wichtigen Ansprechpartner. Die nun vorgeschlagene, mehr als sperrige Ergänzung des § 27 Abs. 1 AGG ist jedoch – wenn überhaupt – der zweitbeste Weg, diese Rolle der Antidiskriminierungsstelle zu begründen.
Übersichtlicher, systematisch überzeugender und für die Betroffenen wertvoller wäre eine Erweiterung des § 1 AGG um das Merkmal der "familiären Fürsorgeverantwortung" gewesen. Die Zuständigkeit der Antidiskriminierungsstelle hätte sich automatisch angeschlossen.
Mit der nun gewählten Lösung wird innerhalb des AGG die Zuständigkeit einer durch das Gesetz selbst in § 25 AGG ins Leben gerufenen Stelle außerhalb dieses Gesetzes geregelte Fragen begründet. In gesetzessystematischer Hinsicht ist das unschön.
Auch fehlt eine Anpassung des § 27 AGG in den folgenden Absätzen. In der Entwurfsbegründung heißt es zwar, die Antidiskriminierungsstelle nehme die in § 27 Abs. 3 und 4 AGG genannten Aufgaben auch in Bezug auf den nun zusätzlich in Abs. 1 erfassten Personenkreis – d.h. die Fürsorgeleistenden – wahr. Die Abs. 3 Nr. 2 und Abs. 4 beziehen sich aber ausdrücklich auf die in § 1 AGG genannten Gründe. Hier soll die familiäre Fürsorgeverantwortung ja gerade nicht aufgenommen werden.
Der Gesetzgeber verpasst eine Chance hin zu einem familien- und letztlich auch arbeitnehmerfreundlichen Arbeitsrecht. Manchmal ist weniger eben tatsächlich weniger.
Prof. Dr. Gregor Thüsing LL.M. (Harvard) ist Direktor des Lehrstuhls für Arbeitsrecht am Institut für Arbeitsrecht und das Recht der sozialen Sicherheit an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Lena Bleckmann ist dort wissenschaftliche Mitarbeiterin und verfolgt ein Promotionsvorhaben zu einem arbeitsrechtlichen und rechtsvergleichenden Thema.
Umsetzung der Work-Life-Balance-Richtlinie: . In: Legal Tribune Online, 09.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48693 (abgerufen am: 24.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag