2/2: Medienarbeitsraum, historische Prozesse, Kameras bei Urteilen der Bundesgerichte
Inhaltlich kann nun - eingeschränkt - über die Saalöffentlichkeit hinausgegangen werden. Künftig kann der Ton der Verhandlung gerichtsintern in einen gesonderten Arbeitsraum für Medienvertreter übertragen werden. Diese Neuregelung (§ 169 Abs. 1 GVG, § 17a Abs. 1 S. 3 Bundesverfassungsgerichtsgesetz) stellt eine gegenwärtig bereits rechtlich mögliche Öffnung gesetzlich klar. Die beim BVerfG seit Jahren geübte Praxis wird auf alle Gerichte erweitert.
Zudem können künftig zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken bei Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland Tonaufnahmen der Verhandlung und der Verkündung angefertigt werden (§ 169 Abs. 2 GVG, § 17a Abs. 3 BVerfGG). Diese Möglichkeit zielt auf einen Kreis von historisch Interessierten, die später nach den Kriterien der Archivgesetze die Aufnahmen beantragen können. Sie ist begrenzt auf Fälle von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für Deutschland, die im Gesetzentwurf noch vorgesehenen Filmaufnahmen schränkte der Bundestag auf Tonaufnahmen ein.
Die wohl relevanteste Neuerung sind die Ton- und Filmaufnahmen der Verkündung von Entscheidungen des obersten Bundesgerichte, nun geregelt in § 169 Abs. 3 GVG.
In besonderen Fällen, die aber nicht von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung sein müssen, können Kameras die Entscheidungen der obersten Bundesgerichte festhalten und übertragen. Das erweitert die beim BVerfG bestehende Rechtslage auf die obersten Gerichte des Bundes.
Zaghafte Lockerungen
Alle drei Möglichkeiten greifen nicht als gesetzliche Pflicht, sondern fakultativ im Einzelfall, wenn das Gericht nach Abwägung der widerstreitenden Interessen es so beschließt (§ 169 Abs. 4 GVG). Diese Ermessensentscheidung ist unanfechtbar.
Im Ergebnis besteht das Verbot von Medienübertragungen damit weiter. Die moderaten, einzelfallbezogenen Lockerungen werden den je nach Prozess sehr unterschiedlichen Rechtsgütern, die gegeneinander abzuwägen sind, aber gerecht.
Erste Stellungnahmen greifen die Erweiterungen als zu weitgehend an. Eine Aufnahme der gesamten Verhandlung sei weder tatsächlich noch rechtlich angezeigt. Daran ist richtig, dass in Deutschland niemand eine unbeschränkte Medienöffentlichkeit will, die zum Streaming und zu Court-TV führt.
Aber davon sind die beschlossenen Änderungen weit entfernt. Ton- und Filmaufnahmen sind auch künftig nur bei den obersten Gerichten, in besonderen Fällen und nur für die Entscheidungsverkündung zulässig.
Die Saalöffentlichkeit ist eine Errungenschaft des Liberalismus, aus einer Zeit, als es die Möglichkeit direkter Medienübertragungen noch nicht gab. Es gilt, sie – ohne Rechte Beteiligter zu verletzten - moderat an die Gegebenheiten der Gegenwart anzupassen.
Das Gesetz ermöglicht nun Tonaufnahmen in einen Nebenraum oder für Archivzwecke. Doch im Internetzeitalter kommt es auf Bewegtbilder an, nicht auf Tonübertragungen. Ein Historiker, der 2067 einen zeitgeschichtlich bedeutsamen Prozess auswertet, wird staunen, nur Tonaufnahmen vorzufinden.
Die Richter haben die Wahl
Der Grund für die übervorsichtige Änderung ist weniger die Austarierung der gegenläufigen Grundrechtspositionen der Presse und der Verfahrensbeteiligten. Bei vielen Verfahren, etwa vor den Verwaltungsgerichten, geht es in der Regel nicht um Persönlichkeitsrechte, sondern um staatliche Infrastruktur, Ressourcen und Machtausübung.
Richter stehen kraft ihres Amts bei öffentlichen Sitzungen im Blickfeld der Medienöffentlichkeit. Ein rechtliches Interesse, in ihrer Person nur durch die in der Sitzung Anwesenden wahrgenommen zu werden, ist angesichts der Bedeutung des Grundsatzes der Öffentlichkeit für ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren regelmäßig nicht anzunehmen, so das BVerfG (Beschl. v. 21. 07. 2000, Az.1 BvQ 17/00, NJW 2000, 2890.
Dennoch liegt der Grund für die zaghafte Erweiterung in der Rücksichtnahme auf Bedenken der Richterschaft. Deutsche Richter haben ein skeptisches Medienbild und wollen nicht gezwungen werden, vor Kameras zu sprechen. Ihrer Lobby gelang es, diese Medienscheu nach vorn zu rücken. Mit unanfechtbaren Ermessenentscheidungen können Richter die Lockerungen ausbremsen - oder aber sich offen zeigen für zeitgemäße Medienpräsenz auch der Gerichte.
Nach der Reform ist vor der Reform. Die Regelungen sollen fünf Jahre nach dem Inkrafttreten evaluiert werden. Auf einer besseren empirischen Basis wird dann erneut diskutiert werden können.
Der Autor Prof. Dr. Christian Schrader ist Studiendekan des Fachbereichs Sozial- und Kulturwissenschaften der Hochschule Fulda. Er verantwortet dort den Bachelor Sozialrecht und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Rechtsfragen der Technikentwicklung im Kontext von Verfassungs-, Umwelt- und Technikrecht, insbesondere mit dem Informationsrecht. Der Beitrag entstand anlässlich eines Gastvortrags an der Türkisch-Deutschen-Universität, Istanbul.
Mehr Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren: . In: Legal Tribune Online, 21.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25159 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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