Die Frage, ob dem gescheiterten Bundespräsidenten Ruhebezüge zustehen, erhitzt zur Zeit die Gemüter. Die Rechtslage ist dabei nicht eindeutig. Warum Christian Wulff entgegen dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden von unklaren Zuständigkeiten profitieren wird und der "Ehrensold" dringend reformiert werden sollte, weiß Christoph Degenhart.
Ein "Ehrensold" für den zurückgetretenen Bundespräsidenten Wulff wird angesichts der Umstände seines Rücktritts und der kurzen Amtszeit gemeinhin als unangemessen empfunden. Nach einer Emnid-Umfrage im Auftrag von BILD am SONNTAG fordern 78 Prozent der Deutschen, Wulff solle auf den Ehrensold verzichten. In der Tat: Seine Versorgung verlässt den Rahmen dessen, was Träger hoher staatlicher Ämter sonst beanspruchen können. Sie entspricht eher der Ausstattung gescheiterter Unternehmensvorstände, von den Bezügen bis zum Dienstwagenprivileg. Die öffentliche Entrüstung ist deshalb nachvollziehbar. Spiegelt das Amt des Bundespräsidenten doch den Zustand der Gesellschaft.
Das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden ist aber nicht immer ein verlässlicher juristischer Ratgeber. Moralische sind von rechtlichen Bewertungen zu trennen – letztere haben einzig dem geltenden Recht zu folgen, mag dieses auch reformbedürftig sein.
Damit ist die Frage nach einem "Ehrensold" für das gescheiterte Staatsoberhaupt noch nicht beantwortet. Die Rechtslage ist nämlich nicht eindeutig. § 1 des Gesetzes über die Ruhebezüge des Bundespräsidenten vom 17. Juni 1953 sieht vor, dass der Bundespräsident, wenn er vorzeitig aus politischen oder gesundheitlichen Gründen aus dem Amt ausscheidet, Ruhebezüge in Höhe seiner Amtsbezüge, also den vielzitierten "Ehrensold" in Höhe von derzeit 199.000 Euro im Jahr erhält. In rechtlicher Hinsicht ist nun unklar, ob sich dies bei einem Rücktritt aus persönlichen Gründen anders verhält. Und auch die Frage, unter welche der Kategorien Wulffs Rückzug einzuordnen ist, wird heftig debattiert.
Was die erste Problematik betrifft, so ist mit der ausdrücklichen Erwähnung gesundheitlicher oder politischer Gründe keineswegs entschieden, dass damit bei einem Rücktritt aus anderen Gründen ein Anspruch auf "Ehrensold" ausgeschlossen sein soll, mag man auch bei der Beratung des Gesetzes 1952/53 als selbstverständlich davon ausgegangen sein, worauf zum Beispiel Hans Herbert von Arnim maßgeblich abstellt, der Altersbezüge für Wulff ablehnt.
Die Rücktrittserklärung: lückenhaft, aber schwerlich angreifbar
Historische Reminiszenzen hinsichtlich der Stellung des Reichspräsidenten verlieren mit zeitlicher Distanz aber an Aussagekraft, und auch Erwartungen an den Bundespräsidenten taugen nur bedingt als Auslegungshilfe.
Wenn es nämlich Versorgungs- oder Übergangsregeln für Inhaber anderer politischer Ämter gibt, die aus ebenjenem ausscheiden, so spricht dies dafür, dass nach dem Willen des Gesetzgebers auch der Bundespräsident nicht in einen rechtsfreien Raum fallen soll. Dies gilt umso mehr, als selbst im schwerwiegenderen Fall der Präsidentenanklage über die Fortgewährung der Ruhebezüge eine verfassungsgerichtliche Entscheidung getroffen werden muss. Würden im Fall des Rücktritts die Ruhebezüge ersatzlos wegfallen, stünde dies wertungsmäßig im Widerspruch dazu.
Dass im Übrigen persönliche und politische Gründe nicht klar zu trennen sind, zeigt gerade die causa Wulff, der dies in seiner Rücktrittserklärung wohl auch im Hinblick auf seine Ruhebezüge zum Ausdruck bringen wollte. Mit seinem persönlichen Ansehen waren seine Autorität als Amtsinhaber und sein politisches Gewicht gesunken. Als umstrittener und umso mehr von der Bundesregierung politisch abhängiger Präsident war er nicht mehr in der Lage, seine nicht nur repräsentativen Funktionen in der gebotenen Unabhängigkeit und Unbefangenheit wahrzunehmen. Man denke nur daran, dass er ein verfassungsrechtlich zweifelhaftes, politisch umstrittenes, aber von der Bundesregierung als alternativlos forciertes Gesetz ausfertigen müsste. Auch aus politischen Gründen war der Rücktritt deshalb unausweichlich.
Die vorgebrachten Rücktrittsgründe hatten ihre Ursache zwar zweifellos ebenso in persönlichen Umständen. Dies hat Wulff in seiner Rücktrittserklärung übergangen. Doch dürfte seine Erklärung aus politischen Gründen das Amt aufzugeben, auch nicht eindeutig widerlegbar sein. Zumal ihm insoweit ein gewisser Einschätzungsspielraum anzuerkennen ist. Erklärt also ein Bundespräsident, aus politischen Gründen, auch wenn sie mit persönlichen Gründen unentwirrbar verbunden sind, zurückzutreten, so ist der Anspruch auf Ruhebezüge schwerlich angreifbar.
Reformbedürftige Privilegien für ehemalige Staatsoberhäupter
Auch in einem weiteren, entscheidenden Punkt ist das Gesetz über die Ruhebezüge des Bundespräsidenten lückenhaft. Es sagt nichts darüber aus, wer über den "Ehrensold" entscheiden soll. Nach Aussagen des Bundesinnenministeriums vom Montag soll das Präsidialamt darüber entscheiden, ob Wullf den "Ehrensold" erhält. Von Arnim hingegen hält die Bundesregierung für zuständig und verweist auf eine Zuständigkeit der Reichsregierung nach der Vorläuferregelung. Diese ergab sich freilich nur aus der Gesetzesbegründung. Materialien zur Weimarer Gesetzgebung taugen aber nur sehr bedingt als Argument um das Grundgesetz auszulegen. Daher sollte das Parlament entscheiden, konkret etwa der Haushaltsausschuss des Bundestags.
Dass der "Ehrensold" reformbedürftig ist, hat nicht erst die causa Wulff gezeigt. Der Gesetzgeber des Jahres 1953 hatte vermutlich den elder statesman im Blick, der bereits in reiferem Alter in das Amt des Bundespräsidenten gelangt und aus seinem Amt in den Altersruhestand geht. Deshalb sollten die Ruhebezüge erst ab Erreichen des Pensionsalters einsetzen und von einer Mindestamtszeit abhängig gemacht werden.
Nicht nur bei einem zurückgetretenen Bundespräsidenten sollte zudem die Frage gestattet sein, ob Nebenleistungen wie Büro und persönlicher Referent, Dienstwagen und Fahrer, auf Dauer gerechtfertigt sind. Diese Privilegien sind im Übrigen im Gesetz über die Ruhebezüge des Bundespräsidenten gar nicht garantiert.
Der Autor Prof. Dr. Christoph Degenhart ist Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Medienrecht an der Universität zu Leipzig und Autor des Lehrbuchs "Staatsrecht I – Staatsorganisationsrecht".
"Ehrensold" für Wulff: . In: Legal Tribune Online, 20.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5600 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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