BVerfG zum Ehegattensplitting für Lebenspartner: "Unser Familienrecht ist nicht mehr zeitgemäß"

Interview mit Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz

06.06.2013

Das BVerfG hält die Ungleichbehandlung von eingetragenen Lebenspartnern beim Ehegattensplitting für verfassungswidrig. Ganz einig waren sich die Richter allerdings nicht. Ein Sondervotum kritisiert auch, dass der Gesetzgeber nun eine rückwirkende Neuregelung zum 1. August 2001 schaffen soll. Im LTO-Interview plädiert Herbert Grziwotz für eine grundlegende Reform des Familienrechts.

LTO: Eingetragene Lebenspartner dürfen nicht vom Ehegattensplitting ausgeschlossen werden. So das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschl. v. 07.05.2013, Az. 2 BVR 909/06 u.a.). Was halten Sie davon?

Grziwotz: Der Beschluss war so zu erwarten. Ich hätte nach den Entscheidungen zur Hinterbliebenenversorgung und zur Schenkungsteuer nicht auf ein gegenteiliges Ergebnis gewettet.

Seit der Entscheidung zur Schenkungsteuer hat das BVerfG gesagt, es braucht einen besonderen Differenzierungsgrund, um die eingetragene Lebenspartnerschaft zu benachteiligen. Wenn der Gesetzgeber einen solchen nicht findet, muss er beide Institute gleich behandeln.

LTO: Einen besonderen Differenzierungsgrund haben die Verfassungsrichter für das Ehegattensplitting also nicht gefunden?

Grziwotz: Nein. Wobei es ja ein Sondervotum gab. Die zwei abweichenden Richter meinten, dass die tatsächliche Basis des Beschlusses sehr dünn wäre. Ein taugliches Differenzierungskriterium sahen sie darin, dass Kinder in jeder zweiten Ehe aufwachsen, aber nur in jeder 13. eingetragenen Lebenspartnerschaft, also in einem verschwindet geringen Maße verglichen mit der Ehe. Nach den bisherigen Entscheidungen des BVerfG war aber nicht zu erwarten, dass die Mehrheit der Richter dieses Kriterium für ausreichend halten würde.

"Eigentlich hätte die Bunderegierung längst handeln können"

LTO: In dem Sondervotum wird ja kritisiert, dass diese Zahlen gar nicht erst erhoben worden sind?

Prof. Dr. Dr. Herbert GrziwotzGrziwotz: Genau. Das BVerfG hat einfach gesagt, auch in eingetragenen Lebenspartnerschaften kommen Kinder vor. Wie viele das sind, haben die Richter offen gelassen.

Die Mehrheit der Richter hat ansonsten daran angeknüpft, dass der Gesetzgeber Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft immer auf gleicher Ebene behandelt habe, beides seien immer Institute mit Rechten und Pflichten gewesen. Das Sondervotum kritisiert auch diesen Punkt. Es habe zwei Phasen gegeben, vor und nach 2005 als das Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrecht in Kraft getreten sei. Bis dahin habe die Lebenspartnerschaft noch etwas hinter der Ehe zurück gestanden. Wirklich gravierend waren diese Unterschiede aber nicht.

LTO: Das Sondervotum überzeugt Sie also nicht?

Grziwotz: In einem haben die beiden Richter sicherlich Recht. Bis 2005 gab es noch Unterschiede, zum Beispiel im Unterhaltsrecht, und auch der Versorgungsausgleich war nicht geregelt. Aber etwa im Güterrecht standen beide Institute bereits gleich trotz unterschiedlicher Begriffe.

LTO: Sie haben eben bereits gesagt, der Beschluss war zu erwarten. Er liegt auf einer Linie mit der bisherigen Rechtsprechung. Dem Gesetzgeber ist daher angetragen worden, die Karlsruher Entscheidung gar nicht erst abzuwarten, sondern von sich aus diese Ungleichbehandlung zu beseitigen. Hätte der Gesetzgeber das tun müssen?

Grziwotz: Eigentlich hätte die Bundesregierung längst handeln können. Sie hat es aber wohl aus wahltaktischen Gründen nicht getan. Es wäre sinnvoll gewesen, das selbst zu korrigieren.

Zitiervorschlag

Herbert Grziwotz, BVerfG zum Ehegattensplitting für Lebenspartner: . In: Legal Tribune Online, 06.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8865 (abgerufen am: 21.11.2024 )

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