2/2: Schutz der Minderjährigen ist Staatspflicht
Schon immer und nach wie vor ist es doch so, dass die Anerkennung ausländischen Rechts nicht nur einer formellen Prüfung unterliegt. Es muss auch in jedem Fall geprüft werden, ob die im Einzelfall anzuwendenden Rechtsvorschriften einen Verstoß gegen unseren ordre public darstellen und ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, dass mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist.
Wie eine solche Prüfung anders als in Aschaffenburg und Bamberg aussehen kann, zeigt in großer Klarheit und Deutlichkeit ein Beschluss des Kammergerichts (Beschl. v. 21.11.2011, Az. 1 W 79/11). Dort wird darauf verwiesen, dass der Schutz Minderjähriger vor den Folgen von Willenserklärungen und Rechtshandlungen, deren Tragweite sie noch nicht absehen können, zu den unverzichtbaren Bestandteilen des deutschen Rechts gehört. Die Pflicht des Staates zur Gewährleistung des Minderjährigenschutzes leitet das Gericht ab aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 6 Abs. 2 Grundgesetz.
Es weist weiter daraufhin, dass die Ermöglichung einer Eheschließung durch Minderjährige, die das Alter einer hinreichenden geistigen und körperlichen Reife noch nicht erreicht haben (Kinderehe) zudem den Intentionen des UN-Eheschließungsabkommens von 1962, dem Deutschland beigetreten ist, widerspricht. Das Abkommen bestimmt kein international verbindliches Heiratsmindestalter, sondern sieht lediglich vor, dass dieses überhaupt in allen Vertragsstaaten festzulegen ist. Daraus wird jedoch die Zielrichtung deutlich, Kinderehen vorzubeugen.
Entscheidend ist das Alter bei Eheschließung
Der deutsche Gesetzgeber hat die grundsätzliche Entscheidung dazu, von welchem Alter an Minderjährigen die notwendige Reife für die Eheschließung frühestens zu erkannt werden kann, in § 1303 Abs. 2 BGB getroffen. Vor Vollendung des 16. Lebensjahres kann bei Anwendung deutschen Rechts unter keinen Umständen die Ehe geschlossen werden, Ausnahmeregeln gibt es nicht. Auch Zeitablauf soll die fehlerhafte Eheschließung nicht "heilen" können. Die Effektivität des Minderjährigenschutzes gebietet es nach Auffassung des Kammergerichts, hinsichtlich der Frage der Wirksamkeit der Ehe auf das Alter bei Eheschließung abzustellen.
Man sieht also: Es geht auch ohne Gesetzesänderung. Allerdings muss der Wille vorhanden sein unsere Wertentscheidungen als Gesellschaft, wie sie sich im Grundgesetz und im BGB ausdrücken, als ausnahmslosen und konsequent anzuwendenden Maßstab bei der Prüfung nicht den deutschen Gesetzen entsprechender Eheschließungen anzuwenden. Kinderehen sind auch als "Import" nicht hinnehmbar.
Die Autorin Jutta Wagner ist Fachanwältin für Familienrecht und Notarin in Berlin. Sie ist Past President des Deutschen Juristinnenbundes und Verfasserin zahlreicher Veröffentlichungen unter anderem zum Ehe- und Familienrecht.
Anerkenntnis von Ehen mit unter 18-Jährigen: . In: Legal Tribune Online, 26.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20395 (abgerufen am: 06.11.2024 )
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