Eine 14-jährige Syrerin möchte nach ihrer Flucht nach Deutschland das Anerkenntnis ihrer Ehe. Dies stünde aber im klaren Widerspruch zum deutschen Recht, meint Jutta Wagner. Es bedürfe daher einer Korrektur durch hiesige Werte.
Es sind keine ganz neuen Probleme, wegen derer die Stadt Aschaffenburg dem Bundesgerichtshof (BGH) eine Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Bamberg (Beschl. v. 12.05.2016, Az. 2 UF 58/16) zur Überprüfung vorgelegt hat. Im zugrunde liegenden Sachverhalt geht es darum, ob eine in Syrien geschlossene Ehe eines bei der Hochzeit 14-Jahre alten Mädchens mit ihrem volljährigen Cousin (beide inzwischen nach Deutschland geflüchtet) anerkannt werden kann. Bei der Ankunft in Aschaffenburg wurde dem Mädchen das Jugendamt als Vormund bestellt. Dieses trennte es in Ausübung seines Aufenthaltsbestimmungsrechts vom Ehemann, wogegen dieser erfolgreich klagte.
Mit dieser Art von Problemen hatte sich die Justiz bereits früher zu beschäftigen, besondere Aktualität, mediale Aufmerksamkeit und selbstverständlich gesellschaftliche Bedeutung gewinnen sie jedoch erst durch die große Zahl an Flüchtlingen, die Deutschland im vergangenen Jahr aufgenommen hat.
Keine Ehe unter 16 Jahre
Dabei ist die rechtliche Situation übersichtlich: Seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) 1900 mussten Männer volljährig, also damals 21 Jahre, Frauen mindestens 16 Jahre alt sein, um heiraten zu dürfen. Allerdings gab es eine Reihe von Ausnahmeregelungen, die vor allem Heiratsmöglichkeiten für unter 16-Jährige Mädchen vorsahen, also stark patriarchalisch geprägt waren. Erst 1974, mit der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters auf 18 Jahre, wurde die Ehemündigkeit geschlechtsneutral an die Volljährigkeit geknüpft und Ausnahmen ebenfalls geschlechtsneutral grundsätzlich erst ab dem 16. Geburtstag zugelassen.
Dies gilt so bis heute für alle in Deutschland geschlossenen Ehen, gleich welcher Nationalität die Eheschließenden sind. Danach sind Ehen, die in Deutschland z.B. nach religiösen Vorschriften oder anderen Ritualen und nicht vor einem deutschen Standesbeamten geschlossene Ehen absolut unwirksam. Das deutsche Recht stellt sicher, dass in Deutschland eine wirksame Ehe von einem unter 16-Jährigen Kind nicht geschlossen werden kann.
Kinderehen nur nach ausländischem Recht
Wenn über Kinderehen gesprochen wird, handelt es sich also immer um im Ausland nach ausländischem Recht geschlossene Ehen, in der Regel zwischen Ausländern, theoretisch möglicherweise aber auch zwischen oder mit Beteiligung eines Deutschen.
Wenn aus solchen Ehen in Deutschland die Rechtsfolgen einer wirksamen Ehe in Anspruch genommen werden sollen, muss eine nachträgliche Beurkundung der Ehe beim Standesamt stattfinden. Gemäß § 34 Abs. 1 Personenstandsgesetz hat der Standesbeamte zu prüfen, ob die Ehe wirksam geschlossen wurde, d.h. ob die zu beobachtenden Förmlichkeiten des gemäß Artikel 11 Abs. 1 Einführungsgesetz zum BGB (EGBGB) anwendbaren Rechts eingehalten sind und auch die materiellen Voraussetzungen der gemäß Artikel 13 EGBGB anzuwenden Rechtsordnungen für eine rechtswirksame Eheschließung vorliegen.
700 Millionen Ehen mit Frauen unter 18 Jahren
Bei buchstabengetreuer Anwendung dieser Vorschriften ohne darüber hinausgehende Prüfung müssten, wie es offensichtlich in dem vom OLG-Bamberg entschiedenen Fall geschehen ist, im großem Umfang hier in Deutschland Ehen anerkannt werden, bei denen mindestens einer der Beteiligten, meistens die Frau, nach unseren Maßstäben ein nicht ehemündiges Kind ist.
Dabei sind nach Feststellungen verschiedenster Beteiligter die Fallzahlen insgesamt und inzwischen auch in Deutschland dramatisch. So sollen den UN zufolge weltweit ca. 700 Millionen Frauen vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet worden sein. Bei mehr als der Hälfte aller derzeitigen syrischen Hochzeiten soll mindestens einer der Ehepartner laut SOS-Kinderdorf jünger als 18 Jahre sein.
Die Bundesländer sollen im Jahr 2015 über tausend Kinderehen gezählt haben, wobei sicherlich von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist. In den Medien geht es hoch her: Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft hält den Begriff Kinderehe für verharmlosend und meint, man solle nicht von Ehemännern, sondern von Kinderschändern sprechen. Bundesjustizminister Heiko Maas, ein Mann der schnellen Schritte, hat die Einrichtung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe "zu eherechtlichen Fragen in Sachverhalt mit Auslandsberührung" ab Mitte September angekündigt, damit will er nicht nur kritischen Medienstimmen, sondern auch Forderungen aus einzelnen Bundesländern Rechnung tragen.
2/2: Schutz der Minderjährigen ist Staatspflicht
Schon immer und nach wie vor ist es doch so, dass die Anerkennung ausländischen Rechts nicht nur einer formellen Prüfung unterliegt. Es muss auch in jedem Fall geprüft werden, ob die im Einzelfall anzuwendenden Rechtsvorschriften einen Verstoß gegen unseren ordre public darstellen und ihre Anwendung zu einem Ergebnis führen würde, dass mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist.
Wie eine solche Prüfung anders als in Aschaffenburg und Bamberg aussehen kann, zeigt in großer Klarheit und Deutlichkeit ein Beschluss des Kammergerichts (Beschl. v. 21.11.2011, Az. 1 W 79/11). Dort wird darauf verwiesen, dass der Schutz Minderjähriger vor den Folgen von Willenserklärungen und Rechtshandlungen, deren Tragweite sie noch nicht absehen können, zu den unverzichtbaren Bestandteilen des deutschen Rechts gehört. Die Pflicht des Staates zur Gewährleistung des Minderjährigenschutzes leitet das Gericht ab aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 6 Abs. 2 Grundgesetz.
Es weist weiter daraufhin, dass die Ermöglichung einer Eheschließung durch Minderjährige, die das Alter einer hinreichenden geistigen und körperlichen Reife noch nicht erreicht haben (Kinderehe) zudem den Intentionen des UN-Eheschließungsabkommens von 1962, dem Deutschland beigetreten ist, widerspricht. Das Abkommen bestimmt kein international verbindliches Heiratsmindestalter, sondern sieht lediglich vor, dass dieses überhaupt in allen Vertragsstaaten festzulegen ist. Daraus wird jedoch die Zielrichtung deutlich, Kinderehen vorzubeugen.
Entscheidend ist das Alter bei Eheschließung
Der deutsche Gesetzgeber hat die grundsätzliche Entscheidung dazu, von welchem Alter an Minderjährigen die notwendige Reife für die Eheschließung frühestens zu erkannt werden kann, in § 1303 Abs. 2 BGB getroffen. Vor Vollendung des 16. Lebensjahres kann bei Anwendung deutschen Rechts unter keinen Umständen die Ehe geschlossen werden, Ausnahmeregeln gibt es nicht. Auch Zeitablauf soll die fehlerhafte Eheschließung nicht "heilen" können. Die Effektivität des Minderjährigenschutzes gebietet es nach Auffassung des Kammergerichts, hinsichtlich der Frage der Wirksamkeit der Ehe auf das Alter bei Eheschließung abzustellen.
Man sieht also: Es geht auch ohne Gesetzesänderung. Allerdings muss der Wille vorhanden sein unsere Wertentscheidungen als Gesellschaft, wie sie sich im Grundgesetz und im BGB ausdrücken, als ausnahmslosen und konsequent anzuwendenden Maßstab bei der Prüfung nicht den deutschen Gesetzen entsprechender Eheschließungen anzuwenden. Kinderehen sind auch als "Import" nicht hinnehmbar.
Die Autorin Jutta Wagner ist Fachanwältin für Familienrecht und Notarin in Berlin. Sie ist Past President des Deutschen Juristinnenbundes und Verfasserin zahlreicher Veröffentlichungen unter anderem zum Ehe- und Familienrecht.
Jutta Wagner, Anerkenntnis von Ehen mit unter 18-Jährigen: Die minderjährige Ehefrau . In: Legal Tribune Online, 26.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20395/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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