EGMR entscheidet für und gegen Deutschland : BILD Dir Deine Meinungsfreiheit

David Ziegelmayer

07.02.2012

Im Presserecht wird der Stoff, aus dem die Träume bunter Blätter sind, zunehmend zur Menschenrechtsfrage: Warum es bei Urlaubsbildern von Caroline und Ernst August mit der Privatsphäre nicht weit her ist, während eine Festnahme auf dem Oktoberfest der Pressefreiheit unterfällt, beleuchtet David Ziegelmayer.

Die am Dienstag verkündeten Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) waren lang erwartet worden, wurde doch ihre Bedeutung für die Pressefreiheit in Deutschland immer wieder heraufbeschworen.

Trotz der nun zu erwartenden Aufregung – welch eine Geschichte für die betroffenen Blätter! – über den Umstand, dass der EGMR immerhin in einem der beiden Fälle die Meinungsfreiheit in Deutschland als verletzt angesehen hat, wird man ganz unaufgeregt konstatieren können: Alles eine Frage des Einzelfalls.

Zunächst durch alle Instanzen der deutschen Justiz gezogen waren dabei in beiden Verfahren keine Unbekannten.

Da wäre zunächst die Axel Springer AG, die am Dienstag vor den Richtern gegen die Bundesrepublik Deutschland siegte (Urt. v. 07.02.2012, Az. 39954/08). Das Medienunternehmen wehrte sich gegen mehrere gerichtliche Verbote, in "Bild" Bericht zu erstatten über den Kokain-Fund bei einem bekannten TV-Kommissar ("Balko") und dessen "öffentliche" Verhaftung auf dem Münchener Oktoberfest 2004. Das Verlagshaus sah in den Unterlassungsverfügungen der deutschen Gerichte einen Eingriff in die Äußerungs- und Pressefreiheit, genauer eine Verletzung der Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, EMRK).

Ein Verlagshaus gewinnt, zwei Adelige verlieren

Das Landgericht und das Oberlandesgericht Hamburg hatten das Persönlichkeitsrecht des Schauspielers noch höher gewichtet und eine Berichterstattung durch Springer untersagt – unter anderem mit der Begründung, dass der Schauspieler Vorbildfunktion nur in seiner Rolle, nicht jedoch im realen Leben habe. Auch der Bundesgerichtshof (BGH) hatte die Anhörungsrüge des Verlages zurückgewiesen (Beschl. v. 11. Dezember 2006, Az. VI ZR 74/06).

Im zweiten in Straßburg entschiedenen Fall (Az. 40660/08 und und 60641/08) ist die beklagte Bundesrepublik Deutschland davongekommen: Das Verfahren betraf Urlaubsbilder von Caroline und Ernst August von Hannover, die im Zusammenhang mit Berichterstattungen über den Gesundheitszustand des Fürsten Rainiers von Monaco und über die Vermietung einer Villa des Paares in Kenia veröffentlicht worden waren.

Die Prinzessin und ihr Ehemann Ernst August stützten ihre Beschwerden auf das Menschenrecht aus Art. 8 EMRK, dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Grund: Der BGH hatte geurteilt, dass der Gesundheitszustand des mittlerweile verstorbenen Fürsten von allgemeinem Interesse sei –  daher dürften auch Bilder veröffentlicht werden, die die Verarbeitung dieser familiären Belastung betreffen.

Auch das Bundesverfassungsgericht bestätigte diese Entscheidung im Wesentlichen, verwies die Sache aber wegen bestimmter Bilder nochmals an den BGH zurück. Die Zivilrichter urteilten im Juli 2008, dass die Vermietung der Ferienvilla von Prominenten Anlass zu sozialkritischen Überlegungen geben könne und daher auch Bilder in diesem Zusammenhang ohne Einwilligung gezeigt werden dürften.

Sieg für die Pressfreiheit?

Sind die heutigen Urteile damit ein doppelter Sieg für die Pressefreiheit in Deutschland, die insbesondere die Netzgemeinde immer wieder in Frage stellt? Ja und Nein.

Bei aller Schelte deutscher Pressegerichte und allen Befürchtungen zur Einschränkung der Pressefreiheit wird manchmal vergessen, dass auch der Schutz der Privatsphäre ein Menschenrecht ist. Auch die europäischen Richter haben dieses zu Recht gewürdigt und mit dem Menschenrecht und dem Grundrecht der Meinungsfreiheit abgewogen.

Im Fall Springer stimmte der Gerichtshof in seiner Entscheidung sogar der Einschätzung der deutschen Gerichte im Wesentlichen zu, wonach die BILD-Zeitung kaum berichtet hätte, wenn es um eine der Öffentlichkeit unbekannte Person gegangen wäre.

Eine Besonderheit sah Straßburg allerdings darin, dass der Schauspieler öffentlich auf dem Münchner Oktoberfest festgenommen worden war. Da er zuvor in Interviews Einzelheiten aus seinem Privatleben preisgegeben hatte, konnte er auch nur beschränkt darauf vertrauen, dass seine Privatsphäre wirksam geschützt würde. Die Gründe der Entscheidung jedenfalls zeigen, dass dem EGMR Verallgemeinerungen seines Urteils nicht unbedingt recht sein dürften. Um "Grundsatzurteile" handelt es sich also gerade nicht.

Gutes Zeugnis für die deutsche Justiz

Im Fall Caroline und Ernst August stellte der EGMR den deutschen Gerichten sogar ein gutes Zeugnis aus: Dass die deutschen Gerichte die Erkrankung des Fürsten Rainier als zeitgeschichtliches Ereignis eingestuft hatten, schien demnach nicht unangemessen.

Die deutsche Judikatur habe zwischen dem Recht der Verleger auf freie Meinungsäußerung und dem des blaublütigen Paares auf Achtung seines Privatlebens eine sorgfältige Abwägung vorgenommen, befanden die Europarichter.

Auch wenn die zu erwartenden Kommentare das nun kolportieren werden: Der EGMR hat keineswegs entschieden oder auch nur angedeutet, dass die Pressefreiheit in Deutschland generell verletzt oder bedroht sei - dieses Institut vermag in Deutschland glücklicherweise nicht einmal ein Bundespräsident auch nur anzukratzen.

Der EGMR: Mal Freund, mal Feind der Presse

Nicht zu vergessen: Es waren die europäischen Richter, die im Jahr 2004 im Zuge ihrer "Caroline-Rechtsprechung" in Deutschland einen Aufschrei provozierten, als sie die von der deutschen Rechtsprechung aufgestellten Kriterien zur Bildberichterstatung über Prominente als unzulänglich einstuften.

Das Ende der Pressefreiheit schien seinerzeit besiegelt, weil über die Ferien der Reichen und Schönen nun scheinbar nicht mehr berichtet werden durfte. Bis dahin war es nämlich so gewesen, dass die so genannten "absoluten Personen der Zeitgeschichte", also die Superberühmten, zum Abschuss durch Paparazzi freigegeben waren.

Mit seinem erneuten, zweiten Urteil hat der EGMR diese Befürchtungen der Verlage zerstreut und gleichzeitig zu erkennen gegeben, dass es weiterhin keinen Freibrief der Presse gibt, sich über den geschützten Bereich der Privatsphäre hinwegzusetzen.

Das zeigt im Übrigen auch der Umstand, dass im Fall Springer fünf der 17 Richter eine abweichende Auffassung vertraten: Demnach hätten insbesondere die Hamburger Gerichte, die eine Berichterstattung über den "Balko" untersagten, ihr Ermessen korrekt ausgeübt. Eben alles eine Frage des Einzelfalls.

Der Autor David Ziegelmayer ist Rechtsanwalt bei CMS Hasche Sigle am Standort Köln. Er ist Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz und berät Unternehmen in äußerungsrechtlichen Auseinandersetzungen. 

Zitiervorschlag

David Ziegelmayer, EGMR entscheidet für und gegen Deutschland : . In: Legal Tribune Online, 07.02.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5512 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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