Auf dem diesjährigen Verkehrsgerichtstag steht wieder das Dauerthema "Drogenfahrten" auf der Tagesordnung. Besondere Fortschritte in der Behandlung des Problems sind allerdings wohl auch dieses Mal weder zu konstatieren noch zu erwarten. Die Realität ist: Viele Täter kommen nach wie vor ungeschoren davon. Ein Appell für ein rechtspolitisches Umdenken von Prof. Dr. Dieter Müller.
Das Problem des Missbrauchs illegaler Drogen ist schon lange in der Realität des Straßenverkehrs angekommen. So berichtet das Kraftfahrt-Bundesamt für 2009 von bundesweit 29.700 in das Verkehrszentralregister neu eingetragenen Fahrten unter Drogeneinfluss (Alkohol ausgenommen). Für das gleiche Jahr bilanzierte der Deutsche Verkehrssicherheitsrat 1.310 durch drogenbeeinflusste Fahrer verursachte Verkehrsunfällen mit Personenschäden.
Dabei mussten sich nach Informationen der Bundesanstalt für Straßenwesen 15.536 betäubungsmittel- und medikamentenauffällige Personen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung stellen.
Der 2009 letztmals herausgegebene Drogen-und Suchtbericht der Bundesregierung spricht von 600.000 Personen im Alter zwischen 18 und 64 Jahren, die so oft kiffen, dass sie von Cannabis abhängig sind oder es missbrauchen. Rein statistisch gesehen verfügt ein hoher Prozentsatz dieser Altersgruppe über einen Führerschein. Dabei wäre es naiv zu glauben, dass dieser Kernbestand an harten Kiffern auf das Autofahren verzichtet. Die Polizei vermutet bereits bei Fahrten unter Alkoholeinfluss, dass auf eine entdeckte Alkoholfahrt 600 Unentdeckte kommen. Bei Fahrten unter Drogeneinfluss dürfte die Dunkelziffer eher noch darüber liegen, weil die Mehrzahl aller Polizeibeamten in der Drogenerkennung nicht adäquat geschult ist.
Viele Gerichte verharmlosen das Fahren unter Einfluss von Cannabis
Das Fahren unter Drogeneinfluss ohne Unfallfolge ist polizeilich gesehen ein typisches Kontrolldelikt, das heißt es wird nur erkannt, wenn Polizeibeamte den Autofahrer anhalten und seine Fahrtauglichkeit überprüfen. Finden keine Verkehrskontrollen mehr statt, etwa weil die Polizei in Gorleben und anderswo als Transportbegleitung tätig wird, bleiben Drogenfahrer unerkannt.
Im Vergleich zwischen den Bundesländern ist das Gefälle der Drogenerkennung beträchtlich. Während Drogenfahrer im Saarland und in Rheinland-Pfalz generell ein hohes Risiko haben, als Täter eines Drogendelikts am Steuer erkannt zu werden, besteht diese Gefahr in anderen Bundesländern wie Berlin, Bremen und Sachsen kaum. Die Ursache dafür liegt in den qualitativ unterschiedlichen Ansätzen der Länderpolizeien bezüglich der Aus- und Fortbildung ihrer Beamten begründet.
Auch die sachlich zwingend notwendige Zusammenarbeit zwischen der Polizei, den Bußgeld- und den Fahrerlaubnisbehörden funktioniert nur punktuell zufriedenstellend. In weiten Bereichen Deutschlands erfolgen Führerscheinmaßnahmen gegenüber den Drogenfahrern nach lückenhafter Weitergabe der relevanten Daten erst sehr spät oder gar nicht.
Hinzu tritt das Problem, dass zahlreiche Gerichte, allen voran das Bundesverfassungsgericht, insbesondere die Problematik des Fahrens unter Einfluss von Cannabis als "weiche Droge" verharmlosen – obwohl davon angesichts der Realität professionell betriebener Indoor-Plantagen ernsthaft nicht mehr die Rede sein kann. Zahlreiche freisprechende Judikate der Vergangenheit indes zeugen von der genau gegenläufigen Einstellung.
Bußgeldbehören und Strafjustiz haben ein unterschiedliches Bild von "Fahrlässigkeit"
Für Drogenfahrer im Straßenverkehr gibt es in der Rechtsprechung bislang keinen dem Alkohol vergleichbaren Grenzwert im Blut, bei dessen Erreichen jeder Kraftfahrer als fahruntüchtig angesehen wird. Die seit vielen Jahren nicht enden wollende Grenzwertdiskussion dürfte anlässlich des Verkehrsgerichtstages neu belebt werden.
Dabei geht es um die Frage, was die rechtsmedizinische Forschung in den letzten Jahren über die Wirkungen der zahlreichen "anderen berauschenden Mittel" im Sinne der §§ 315 c und 316 Strafgesetzbuch (Trunkenheit im Verkehr und Gefährdung des Straßenverkehrs) konkret herausgefunden hat und wie die rechtsmedizinischen Erkenntnisse in die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe wie der Fahrunsicherheit übertragen werden können.
Darüber hinaus gibt es zuhauf ungelöste juristische Probleme rund um Drogenfahrten. Fährt etwa ein Kraftfahrer im Straßenverkehr „unter der Wirkung“ illegaler Drogen, muss ihm für eine Sanktion nach dem StGB oder Straßenverkehrsgesetz (StVG) ein fahrlässiges Handeln nachgewiesen werden können. Während Bußgeldbehörden einem Drogenfahrer die Fahrlässigkeit ungeprüft unterstellen, bemüht sich die Strafjustiz, einem Betroffenen in jedem Einzelfall nachzuweisen, dass er fahrlässig handelte, weil er die Möglichkeit einer fortdauernden Wirkung der von ihm genossenen Droge hätte erkennen können.
Dabei zweifelt ein Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung bei länger zurückliegendem Konsum an der Erkennbarkeit der fortdauernden Drogenwirkung und spricht Drogenfahrer mangels fahrlässigen Verhaltens frei - obwohl Drogenwirkstoffe in ihrem Blut nachweisbar waren.
Verbesserte Kooperation und einschlägig geschultes Personal unabdingbar
Die Wirkung derartiger Judikate auf die Verkehrsmoral von Drogenfahrern ist verheerend. Rechtspolitisch stellt sich mehr denn je die Frage, ob manche Strafrichter Betroffenen nicht allzu blauäugig vertrauen und sich der verheerenden Außenwirkung ihrer Freisprüche überhaupt bewusst sind. Das Problem, wo die Fahrlässigkeit beginnt und wie sie dogmatisch praxisnah erfasst werden kann, ist wohl nur in diesem Kontext lösbar.
Ein weiteres Missstand: Auch erwiesenermaßen drogenauffälligen Kraftfahrer dürfen oftmals noch eine lange Zeit weiterhin unbehelligt am Straßenverkehr teilnehmen, bevor ihnen ein vollstreckbares Fahrverbot auferlegt oder die Fahrerlaubnis ganz entzogen wird. In diesem Zusammenhang wird aktuell diskutiert, ob eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Polizei, Fahrerlaubnisbehörde und Bußgeldbehörde mit dem Ziel des schnellstmöglichen Fahrerlaubnisentzuges ungesetzt werden kann.
Ebenso interessiert die juristische Frage, warum die Anlage zu § 24a StVG vom Gesetzgeber immer noch derart knapp gehalten ist und nur wenige Substanzen auflistet, deren Vorhandensein im Blut zu einem ordnungswidrigen Verhalten im Straßenverkehr führt. Dadurch gelingt es noch immer zahlreichen drogenbeeinflussten Kraftfahrzeugführern, in den Fällen vollkommen straffrei zu bleiben, in denen sie ein (womöglich neu kreiertes) berauschendes Mittel genossen haben, das noch nicht in der Anlage zu § 24a StVG aufgelistet ist, aber auch zu keinen körperlich sichtbaren Beweisanzeichen geführt hat. Dass dies keine akademische Frage ist, zeigt der Fall des Methamphetamins (in der Szene besser bekannter als "Crystal"): Die Subtanz wurde unlängst in die Anlage zu § 24a StVG aufgenommen.
Zudem zählt die Überwachung drogenbeeinflusster Autofahrer bis heute nicht zu den gesetzlichen Aufgaben tausender gut ausgebildeter Beamter der Bundespolizei – ein Versäumnis der Rechtspolitik.
Nur über eine konzentrierte Zusammenarbeit zwischen den Verkehrsbehörden, Polizei, Rechtsmedizin und Justiz können bei dem Problemkreis der Drogenfahrten Sicherheitsgewinne erzielt werden. Unabdingbare Voraussetzung ist ein Aus-und Fortbildungsstand des behördlichen Personals, der nicht hinter dem der Drogenkonsumenten hinterherhinkt.
Der Autor Prof. Dr. Dieter Müller ist Fachbereichsleiter für Verkehrswissenschaften an der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH), wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Verkehrsrecht und Verkehrsverhalten Bautzen und Autor zahlreicher Publikationen zum Verkehrsrecht.
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Feldversuch für Gigaliner: Der Minister und die Monstertrucks
Mehr im Internet:
Information des Verkehrsgerichtstages
Jahresbericht des Kraftfahrt-Bundesamtes
Untersuchungsanlässe für medizinisch-psychologische Untersuchungen
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Dieter Müller, Drogen im Straßenverkehr: . In: Legal Tribune Online, 25.01.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/2406 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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