"Sensationslust ist noch kein öffentliches Interesse"
LTO: Welche Konsequenzen ziehen Sie aus Ihrer Forschung, was sind die Ergebnisse Ihrer Arbeit?
Meinecke: Dreh- und Angelpunkt wichtiger Verfahrensentscheidungen ist das öffentliche Interesse bzw. die öffentliche Aufgabe, zum Beispiel in Nr. 23 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) oder in den §§ 4 und 5 der Landespressegesetze. Diese Vorschriften bestimmen neben anderen die Zusammenarbeit mit Presse und Rundfunk . Hier kollidieren – vereinfacht gesagt – Persönlichkeitsrechte der Einzelnen mit dem Interesse der Öffentlichkeit an Information.
Ein Vorrang der Information der Öffentlichkeit scheint mir immer dort gerechtfertigt, wo etwa Anleger in großer Anzahl getäuscht werden oder Ähnliches. Im Übrigen darf meines Erachtens nicht vorschnell zugunsten der Information der Öffentlichkeit entschieden werden, wenn es nur um Sensation und um in das persönliche Umfeld immer weiter vordringende Berichterstattung geht, auch aus ökonomischen Zwängen bzw. Interessen der Medienvertreter.
Schließlich sind die Folgen verheerend – und zwar selbst dann, wenn es einen Freispruch gibt, denn etwas bleibt bekanntlich immer hängen. Die Folgen einer medialen Hinrichtung sind irreversibel.
"Jede Pressearbeit der StA ist grundsätzlich kritisch zu sehen"
LTO: Sie sind also der Auffassung, dass die Staatsanwaltschaft aktuell zu häufig dem öffentlichen Interesse den Vorrang gibt?
Meinecke: Wenn man sich an die Causa Wulff erinnert, oder auch an die Veröffentlichung eines Medienberichts auf einem Internetportal des NRW-Justizministeriums, in dem im Zusammenhang mit dem Mannesmann-Prozess im Jahr 2005 "Gangster in Nadelstreifen" und auch der Name des Ex-Chefs des Konzerns Klaus Esser erwähnt wurden, scheinen die Staatsanwaltschaften sich nach meiner jüngsten Beobachtung in ihrer Pressearbeit wieder zu mäßigen. Nach Äußerungen der Berliner Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit Ermittlungen um das Bordell Artemis könnte man nun wieder zu einer gegenteiligen Auffassung neigen.
Es gibt jedoch schon einen strukturell bedingten Grund, die Pressearbeit von Staatsanwälten grundsätzlich kritisch zu betrachten. Beim Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen nach § 153a StPO, der Verfahrensnorm für die Strafverteidigung schlechthin, geht schon das Gesetz davon aus, dass das öffentliche Interesse an der Tat durch eine Auflage - meist eine Geldzahlung an eine gemeinnützige Einrichtung - kompensiert werden kann.
Ein Indiz für das öffentliche Interesse ist nach herrschender Lehre die Medienaufmerksamkeit. Je größer diese ist, desto höher muss also auch die Auflage ausfallen, um sie zu kompensieren. Schon deshalb ist die Pressearbeit von Staatsanwälten, ganz unabhängig von ihrem Umfang im Einzelfall, kritisch zu sehen.
"RiStBV ändern: öffentliches Interesse nicht mehr nur wegen Prominenz"
LTO: Wie genau sollten die Änderungen umgesetzt werden, wenn es nach Ihnen ginge?
Meinecke: Mein Vorschlag geht dahin, eine Ergänzung in den RiStBV vorzunehmen, welche die Bekanntheit der Person als einzigen Grund für die Annahme des öffentlichen Interesses ausschließt. Die RiStBV haben – auch wenn sie kein formelles Gesetz sind – erhebliche Auswirkungen auf die praktische Arbeit der Justiz, insbesondere die Staatsanwaltschaft.
Zugleich verspreche ich mir davon Wirkungen für Entscheidungen nach § 153a StPO. Das ist eine der Normen, die aus gutem Grund offen ausgestaltet sind und bleiben sollten – obwohl § 153a StPO gerade sehr umstritten ist.
"Der Strafverteidiger muss Öffentlichkeit überhaupt verhindern"
LTO: Können Sie die Erkenntnisse aus Ihrer Dissertation in der täglichen Arbeit mit prominenten Mandanten umsetzen, die ihre Namen nicht in der Presse lesen wollen?
Meinecke: Tatsächlich ist aus den vorgenannten Gründen dieser Bereich in der Praxis sehr anspruchsvoll. Denn es gibt keinen wirklichen Hebel. Aus meiner bisherigen Erfahrung schöpft der Verteidiger das meiste Potenzial aus dem Aufbau von Vertrauen bei den Behörden – auch wenn man in Strafsachen unterschiedlicher Auffassung ist. Dies eröffnet Gestaltungsspielräume.
Anders als im zivilrechtlichen Bereich geht es als Strafverteidiger darum, Öffentlichkeit überhaupt zu verhindern. Das heißt, das Vermeiden der medialen "Veröffentlichung" des Verfahrens hat allerhöchste Priorität. Denn ist der Vorwurf erst einmal bekannt, wird es auch schwieriger, eine Hauptverhandlung zu vermeiden, auch wenn der geeignete Weg etwa eine Einstellung wäre. Wird dann der Mandant medial "zerlegt", wird dies von der Rechtsprechung lediglich bei der Strafzumessung berücksichtigt. Das ist in unserer Kanzlei erfreulicherweise noch nicht vorgekommen.
LTO: Herr Dr. Meinecke, vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Fabian Meinecke, M.A. ist Rechtsanwalt bei Oberwetter & Olfen Rechtsanwälte in Berlin. Er verteidigt und berät im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, vor allem im Bereich der Korruption sowie im Steuerstrafrecht.
Die Fragen stellte Pia Lorenz.
Ausgezeichnete Dissertation "Prominentenstrafrecht": . In: Legal Tribune Online, 18.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19399 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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