Der Verein Deutscher Strafverteidiger hat seine Dissertation "Prominentenstrafrecht" ausgezeichnet. Fabian Meinecke erklärt LTO, warum nicht schon die Prominenz des Angeklagten ein öffentliches Interesse am Strafverfahren begründen soll.
LTO: Der Verein Deutsche Strafvereitiger e.V. begründet die Auszeichnung Ihrer Dissertation "Prominentenstrafrecht - Funktionsträger aus Politik und Wirtschaft im Strafverfahren" damit, dass Sie "ein bisher kaum beachtetes, aber wesentliches Problemfeld von Strafverfahren hervorgehoben" hätten. Herr Dr. Meinecke, Sie arbeiten bereits seit ein paar Jahren als Strafverteidiger. Wieso haben Sie sich dieses Thema ausgesucht?
Meinecke: Der Grund war die Wahrnehmung, dass in Prominentenstrafsachen, also in solchen, bei denen die Bekanntheit des Verdächtigten wegen der Person und nicht wegen der Tatvorwürfe besteht, regelmäßig gesellschaftliche Großdebatten ausgetragen werden, ohne dass der einzelne Verdächtige adäquate Mittel zur Gegenwehr hat.
Im Dunkeln wächst der Beratungsbereich Litigation-PR langsam, aber stetig. Aus einer zunächst undifferenzierten Beobachtung heraus hat sich diese Entwicklung durch Online-Angebote verschärft, die Nachrichteninhalte schneller und kürzer zu werden scheinen lassen. Passend hat der Medienwissenschaftler Pörksen formuliert, dass wir in einer Phase entfesselter Empörungsdynamik leben. Nur: Was tut man als Betroffener beziehungsweise Verteidiger und wie ist hier die Rechtslage? Wehrt man sich, wird es eher schlimmer, etwa durch den "Streisand-Effekt"? Diesen Graubereich wollte ich wissenschaftlich untersuchen.
"Richter lesen die Berichterstattung in eigenen Sachen – und das nimmt Einfluss"
LTO: Wie sind Sie dabei vorgegangen? Und haben Sie Gemeinsamkeiten entdeckt – entweder in den Fällen, die besonders viel Wirbel ausgelöst haben oder aber in denen, die ganz leise über die Bühne gingen?
Meinecke: Ich habe Presseberichte ausgewertet und die Soziologie auf den Forschungsstand zu Prominenz befragt. Empirisch ist gesichert, dass Richter im Strafprozess die Medienberichterstattung über eigene Verfahren sehr aufmerksam verfolgen. Das kann Auswirkungen auf das Strafmaß haben, nicht aber auf den Schuldspruch.
Man kann sagen, dass es bei Prominentenstrafsachen fast flächendeckend zu Indiskretionen kommt – etwa in den Fällen Hoeneß, Zumwinkel, Wulff oder Mappus. Woher diese Indiskretionen kommen, wird aber sehr selten aufgeklärt. Dabei haben sie, ist die Empörungswelle erst einmal losgetreten, schwerwiegende Folgen für die betroffenen Beschuldigten und ihr Umfeld.
Über die "leisen" Verfahren hört man bekanntlich selten etwas – es gibt sie aber auch in einigem Umfang. Ausschlüsse der Öffentlichkeit von der Hauptverhandlung sieht das Gesetz nur selten und wenn, dann nur in sehr geringem Umfang vor. Gerade die öffentliche Hauptverhandlung ist für die Angeklagten nach geteilter Beobachtung der Fachwelt deshalb der reinste Spießrutenlauf.
"Kontrolle nicht mehr primärer Zweck der öffentlichen Hauptverhandlung"
LTO: Aber die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung hat ja auch einen Zweck, nämlich vor allem Transparenz und Kontrolle der Justiz. Die Erfüllung Ihres Wunsches liefe darauf hinaus, dass die Öffentlichkeit ausgerechnet über die Verfahren, die sie am meisten interessieren, nicht mehr informiert würde. Gleichzeitig sind es genau diese Prozesse gegen Prominente, in denen die Volksmeinung am ehesten Klüngel, unzulässige Deals und den "Promi-Bonus" vermutet. Wie würden Sie dem begegnen wollen?
Meinecke: Da besteht ein Spannungsfeld, das trifft zu. Für eine regelhaft nichtöffentliche Hauptverhandlung plädiere ich auch nicht, das wäre nicht haltbar. Oft wird allerdings übersehen, dass das Ermittlungsverfahren, das heute wichtigster Weichensteller im Strafverfahren ist, im Gegensatz zur Hauptverhandlung kein öffentliches Verfahren ist.
Mit dem Wandel von der Saal- zur Medienöffentlichkeit ist auch für die Hauptverhandlung der Zweck der öffentlichen Kontrolle zunehmend in den Hintergrund geraten. In der Laienöffentlichkeit fehlt leider häufig Verständnis für die Komplexität eines Strafprozesses. Das hält aber viele nicht davon ab, über Schuld und Unschuld des Angeklagten genauestens Bescheid zu wissen. Wirksamen Schutz gegen die nebenstrafrechtlichen Folgen eines veröffentlichten Verfahrens gibt es nicht, obwohl das Strafverfahren eigentlich einen Resozialisierungseffekt haben soll.
"Sensationslust ist noch kein öffentliches Interesse"
LTO: Welche Konsequenzen ziehen Sie aus Ihrer Forschung, was sind die Ergebnisse Ihrer Arbeit?
Meinecke: Dreh- und Angelpunkt wichtiger Verfahrensentscheidungen ist das öffentliche Interesse bzw. die öffentliche Aufgabe, zum Beispiel in Nr. 23 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) oder in den §§ 4 und 5 der Landespressegesetze. Diese Vorschriften bestimmen neben anderen die Zusammenarbeit mit Presse und Rundfunk . Hier kollidieren – vereinfacht gesagt – Persönlichkeitsrechte der Einzelnen mit dem Interesse der Öffentlichkeit an Information.
Ein Vorrang der Information der Öffentlichkeit scheint mir immer dort gerechtfertigt, wo etwa Anleger in großer Anzahl getäuscht werden oder Ähnliches. Im Übrigen darf meines Erachtens nicht vorschnell zugunsten der Information der Öffentlichkeit entschieden werden, wenn es nur um Sensation und um in das persönliche Umfeld immer weiter vordringende Berichterstattung geht, auch aus ökonomischen Zwängen bzw. Interessen der Medienvertreter.
Schließlich sind die Folgen verheerend – und zwar selbst dann, wenn es einen Freispruch gibt, denn etwas bleibt bekanntlich immer hängen. Die Folgen einer medialen Hinrichtung sind irreversibel.
"Jede Pressearbeit der StA ist grundsätzlich kritisch zu sehen"
LTO: Sie sind also der Auffassung, dass die Staatsanwaltschaft aktuell zu häufig dem öffentlichen Interesse den Vorrang gibt?
Meinecke: Wenn man sich an die Causa Wulff erinnert, oder auch an die Veröffentlichung eines Medienberichts auf einem Internetportal des NRW-Justizministeriums, in dem im Zusammenhang mit dem Mannesmann-Prozess im Jahr 2005 "Gangster in Nadelstreifen" und auch der Name des Ex-Chefs des Konzerns Klaus Esser erwähnt wurden, scheinen die Staatsanwaltschaften sich nach meiner jüngsten Beobachtung in ihrer Pressearbeit wieder zu mäßigen. Nach Äußerungen der Berliner Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit Ermittlungen um das Bordell Artemis könnte man nun wieder zu einer gegenteiligen Auffassung neigen.
Es gibt jedoch schon einen strukturell bedingten Grund, die Pressearbeit von Staatsanwälten grundsätzlich kritisch zu betrachten. Beim Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen nach § 153a StPO, der Verfahrensnorm für die Strafverteidigung schlechthin, geht schon das Gesetz davon aus, dass das öffentliche Interesse an der Tat durch eine Auflage - meist eine Geldzahlung an eine gemeinnützige Einrichtung - kompensiert werden kann.
Ein Indiz für das öffentliche Interesse ist nach herrschender Lehre die Medienaufmerksamkeit. Je größer diese ist, desto höher muss also auch die Auflage ausfallen, um sie zu kompensieren. Schon deshalb ist die Pressearbeit von Staatsanwälten, ganz unabhängig von ihrem Umfang im Einzelfall, kritisch zu sehen.
"RiStBV ändern: öffentliches Interesse nicht mehr nur wegen Prominenz"
LTO: Wie genau sollten die Änderungen umgesetzt werden, wenn es nach Ihnen ginge?
Meinecke: Mein Vorschlag geht dahin, eine Ergänzung in den RiStBV vorzunehmen, welche die Bekanntheit der Person als einzigen Grund für die Annahme des öffentlichen Interesses ausschließt. Die RiStBV haben – auch wenn sie kein formelles Gesetz sind – erhebliche Auswirkungen auf die praktische Arbeit der Justiz, insbesondere die Staatsanwaltschaft.
Zugleich verspreche ich mir davon Wirkungen für Entscheidungen nach § 153a StPO. Das ist eine der Normen, die aus gutem Grund offen ausgestaltet sind und bleiben sollten – obwohl § 153a StPO gerade sehr umstritten ist.
"Der Strafverteidiger muss Öffentlichkeit überhaupt verhindern"
LTO: Können Sie die Erkenntnisse aus Ihrer Dissertation in der täglichen Arbeit mit prominenten Mandanten umsetzen, die ihre Namen nicht in der Presse lesen wollen?
Meinecke: Tatsächlich ist aus den vorgenannten Gründen dieser Bereich in der Praxis sehr anspruchsvoll. Denn es gibt keinen wirklichen Hebel. Aus meiner bisherigen Erfahrung schöpft der Verteidiger das meiste Potenzial aus dem Aufbau von Vertrauen bei den Behörden – auch wenn man in Strafsachen unterschiedlicher Auffassung ist. Dies eröffnet Gestaltungsspielräume.
Anders als im zivilrechtlichen Bereich geht es als Strafverteidiger darum, Öffentlichkeit überhaupt zu verhindern. Das heißt, das Vermeiden der medialen "Veröffentlichung" des Verfahrens hat allerhöchste Priorität. Denn ist der Vorwurf erst einmal bekannt, wird es auch schwieriger, eine Hauptverhandlung zu vermeiden, auch wenn der geeignete Weg etwa eine Einstellung wäre. Wird dann der Mandant medial "zerlegt", wird dies von der Rechtsprechung lediglich bei der Strafzumessung berücksichtigt. Das ist in unserer Kanzlei erfreulicherweise noch nicht vorgekommen.
LTO: Herr Dr. Meinecke, vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Fabian Meinecke, M.A. ist Rechtsanwalt bei Oberwetter & Olfen Rechtsanwälte in Berlin. Er verteidigt und berät im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, vor allem im Bereich der Korruption sowie im Steuerstrafrecht.
Die Fragen stellte Pia Lorenz.
Ausgezeichnete Dissertation "Prominentenstrafrecht": "Jede Pressearbeit von Staatsanwaltschaften ist kritisch zu sehen" . In: Legal Tribune Online, 18.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19399/ (abgerufen am: 04.07.2024 )
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