Die Staatsanwälte und der Fall Kachelmann: Ein Zerr­bild wird ver­b­reitet

von Martin W. Huff

08.09.2010

Die Staatsanwaltschaft Mannheim wird im Fall Kachelmann heftig kritisiert. Sie habe ungerechtfertigt Dokumente an die Medien gegeben und so zu einer Vorverurteilung beigetragen. Überhaupt wird in diesem Zusammenhang die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwälte als rechtswidrig dargestellt. Martin W. Huff sieht hingegen ebendiese Darstellung ebenfalls als eine Vorverurteilung an.

Wie schön sind doch Vorurteile. Man kann sich daran so schön festhalten, man kann Meinungen aufstellen, ohne sich intensiv mit Fakten auseinander zu setzen. Dies geschieht gerade sehr intensiv in Bezug auf die Staatsanwaltschaft Mannheim und die Öffentlichkeitsarbeit im Fall Kachelmann. So etwa durch Volker Boehme-Neßler in der Legal Tribune ONLINE und durch Ferdinand von Schirach im "Spiegel" vom 6.9.2010.

Beide stellen letztlich in Frage, ob die Staatsanwaltschaft überhaupt Öffentlichkeitsarbeit betreiben darf und verkennen dabei einfach die Rechts- und Rechtsprechungslage.

Eine Staatsanwaltschaft ist eine Behörde. Behörden haben nach den Landespressegesetzen eine Auskunftspflicht (etwa § 4 LPGNRW). Dieser Auskunftspflicht müssen sie gegenüber den Medien nachkommen. Die Medien achten darauf sehr genau und stellen durchaus auch Klagen auf Auskunft in den Raum.

Etwas anders gilt nur dann, wenn von dieser Informationspflicht Ausnahmen bestehen. Diese sind zum Beispiel in § 4 Abs. 2 LPGNRW geregelt, etwa wenn laufende Ermittlungen gefährdet würden oder Persönlichkeitsrechte des Betroffenen das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiegen. Aber Achtung: Wegen bestehender Persönlichkeitsrechte allein ist eine Auskunft gerade noch nicht untersagt.

Wenn also die Staatsanwaltschaft aufgrund eines richterlichen Haftbefehls einen Verdächtigen, so prominent er auch sein mag, festnimmt, dessen eigene Firma eine Presseerklärung mit Namensnennung veröffentlicht und seine Unschuld beteuert und dann die Staatsanwaltschaft nach dem Sachstand gefragt wird, dann muss die Staatsanwaltschaft Auskunft erteilen.

Wie der Name schon sagt: Grundsätze der Verdachtsberichterstattung

Es gelten hier für die Staatsanwaltschaft und auch die Medien die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung. Es darf also – auch bei einem Prominenten – über den Verdacht einer Straftat berichtet werden, wenn es sich um eine erhebliche Straftat handelt und auch der Betroffene zu Wort kommt. Medienrechtler wie der renommierte Bonner Anwalt Gernot Lehr bestätigen dies auch vor Journalisten immer wieder ausdrücklich.

Im Übrigen sind die meisten Pressesprecher der Justiz mittlerweile gut ausgebildet. Die Behördenleiter und Ministerien haben seit Jahren erkannt, dass eine Ausbildung für Pressesprecher, von den Rechtsfragen bis zum Kameratraining erforderlich ist, damit hier eine vernünftige Arbeit stattfinden kann. Medienerlasse und Medienrichtlinien regeln die Rechte und Pflichten der Pressestellen ausführlich und ergänzen damit das Presserecht, die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) und viele andere einschlägige Vorschriften.

Anerkannt ist eindeutig auch, dass Staatsanwaltschaften von sich aus Medien informieren dürfen, wenn es etwas zu berichten gibt, das für die Öffentlichkeit von Interesse ist oder kurze Zeit später sowieso bekannt wird. Hier muss nur die Unschuldsvermutung beachtet werden – wie sonst auch immer.

Dies alles hat die Rechtsprechung im übrigen sehr deutlich entschieden, insbesondere zuletzt das OLG Düsseldorf im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren rund um Vodafone. Wer in Ruhe diese – lange – Entscheidung liest, wird sehen, dass die Staatsanwälte nach Ansicht ihrer Richterkollegen keinen Maulkorb mehr tragen müssen, sondern sehr wohl eine aktive Medienarbeit erlaubt ist. Nur waren im Fall Mannesmann an einigen Stellen auch diese weit gesteckten Grenzen überschritten worden.

Von Akteneinsicht bis Medienethik: Viele Fragen im Fall Kachelmann

Zum Fall Kachelmann: Es ist schon erstaunlich, wer anscheinend alles die Akten im Fall Kachelmann hat und zudem genau weiß, wer die diese herausgegeben hat. Ich weiß dies nicht. Warum sollte eigentlich, wie es Boehme-Neßler vermutet, die Staatsanwaltschaft (unter Verstoß gegen das Beamten- und Strafrecht) Informationen herausgeben, die für sie negativ sind, etwa weil ihre Rechtsposition in Bezug auf die Glaubwürdigkeit des Opfers in Zweifel gezogen wird ? Hier ist die Gefahr doch viel zu groß, dass die Quelle bekannt wird. Und Quellen gibt es viel mehr als nur die Staatsanwaltschaft.

Im übrigen: Herr Kachelmann ist mit seiner Sicht der Dinge sehr umfangreich zu Wort gekommen. Er hat neben seinem Verteidiger einen "Medienanwalt" engagiert, der mit vielen Medienvertretern gesprochen und ihnen wohl auch viele Informationen übermittelt hat, wie von Journalisten zu hören ist.

Und Kachelmann ist nicht stigmatisiert worden. Es gab hier – wie auch in der Vergangenheit – etwa im Fall Monika Böttcher/- Weimar – eine gespaltene Öffentlichkeit: einige Medien pro und einige contra Kachelmann, jeder Leser konnte das lesen, was er wollte. Und auch nach der Haftentlassung hat der Moderator in ausgewählten Medien (nur diese hatten eine Chance) seine Sicht der Dinge geschickt dargestellt.

Insgesamt stellen sich bei der Lektüre vieler Berichte zum Fall Kachelmann verschiedene Fragen. Warum lassen sich Medien im Fall eines einfachen Wettermoderators auf eine so umfangreiche und einseitige Berichterstattung ein ? Woher kommt die damit einher gehende Instrumentalisierung des Beschuldigten, sei sie nun für oder gegen ihn? Unabhängig davon, woher die Unterlagen kommen: Müssen Medien eigentlich alles veröffentlichen, was sie vorliegen haben?

Spielt hier nicht auch eindeutig die Forderung nach einer Medienethik eine wichtige Rolle? Diese Frage wird kaum gestellt. Wäre für alle Beteiligten nicht weniger mehr gewesen? Und kennt der Kollege von Schirach Akten (die er gar nicht kennen dürfte), dass er heute schon von einem Freispruch ausgeht? Denn "Es ist wohl so, dass die Zeugin an verschiedenen Stellen gelogen hat, und manches spricht dafür, dass sie sich die Verletzungen selber beigebracht hat", schreibt er.

Sicherlich sind auch Staatsanwaltschaften in der Vergangenheit über das Ziel hinaus geschossen und haben zu viel mitgeteilt. Aber bei rund 100 deutschen Staatsanwaltschaften halten sich die Fehler, wie ich meine, im Rahmen – und mit jedem Fall lernen alle Beteiligten hinzu. Vielleicht ist die Aussetzung wegen der Befangenheitsanträge doch die Chance, etwas ruhiger über den Prozess zu berichten.

Der Autor Martin W. Huff ist Rechtsanwalt und Journalist. Er war u.a. Pressesprecher des Hessischen Justizministeriums und unterrichtet seit Jahren an der Deutschen Richterakademie Pressesprecher der Justiz.

Zitiervorschlag

Martin W. Huff, Die Staatsanwälte und der Fall Kachelmann: . In: Legal Tribune Online, 08.09.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1394 (abgerufen am: 20.11.2024 )

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