Das Urteil des LG Kölns zur Strafbarkeit der Beschneidung minderjähriger Jungen hat eine kontroverse Debatte ausgelöst. Nachdem bereits der Bundestag die Regierung aufforderte, die Zirkumzision gesetzlich zu erlauben, diskutierten am vergangenen Donnerstag die Mitglieder des Deutschen Ethikrates über einen Ausweg und konnten sich schließlich auf einen Kompromiss einigen. Es berichtet Thorsten Deppner.
Der Andrang war groß im Leibnizsaal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Hoch über den Dächern Berlins hatte der Deutsche Ethikrat die Öffentlichkeit zur Diskussion geladen. Das Thema: Die Beschneidung Minderjähriger aus religiösen Gründen.
Hintergrund der Einladung ist ein Urteil des Landgerichts (LG) Köln. Die Beschneidung von minderjährigen Jungen ist eine Körperverletzung, in die Eltern nicht rechtfertigend einwilligen können (Urt. v. 07.05.2012, Az. 151 Ns 169/11). So urteilte die Strafkammer und löste damit eine teils hochemotional geführte Debatte aus. Diese sollte nun versachlicht und in ihren verschiedenen Aspekten zusammengeführt werden, wie die Vorsitzende des Rates, die Medizinethikerin Christiane Woopen, erklärte.
Fünf Impulsreferate von Mitgliedern des Ethikrates eröffneten die Sitzung. Dabei trafen einige der Akteure aufeinander, die bereits die mediale Debatte zur Beschneidung geprägt hatten.
Strafrechtler Merkel: Beschneidungsgesetz ist "jüdisch-muslimisches Sonderrecht"
Den Auftakt machte der Mediziner Leo Latasch, Mitglied im Direktorium des Zentralrats der Juden in Deutschland. Er stellte zunächst den operativen Verlauf einer Beschneidung dar. Im Anschluss ging er auf die medizinischen Vorteile und Risiken des Eingriffs ein und grenzte ihn scharf von der als Genitalverstümmelung zu verurteilenden Beschneidung von Frauen ab. Diese sei ein Instrument der Unterdrückung und habe nichts mit Religion zu tun. Abschließend erklärte er die zentrale, identitätsstiftende Bedeutung der Zirkumzision im Judentum als Symbol für den Eintritt in die Glaubensgemeinschaft. Ein Beschneidungsverbot für Minderjährige würde daher bedeuten, dass man vor dem Eintritt der Volljährigkeit in Deutschland kein Jude oder Muslim mehr werden könnte.
Es folgte die muslimische Perspektive. Der türkische Mediziner und Philosoph İlhan Ilkılıç räumte ein, dass sich das Gebot zur Beschneidung zwar nicht unmittelbar aus dem Koran ergebe; es sei aber in den Hadithen zu finden, den als verbindlich angesehenen Überlieferungen des Propheten Mohammed. Der Mediziner hob neben der religiösen auch die soziale Dimension der Beschneidung als Zeichen des Übergangs von der Kindheit in die Adoleszenz hervor. Insbesondere könne das Kindeswohl nicht ausschließlich körperlich und losgelöst vom sozial-kulturellen Kontext definiert werden, sondern habe auch eine geistige Dimension.
Mit dem Hamburger Strafrechtler und Rechtsphilosoph Reinhard Merkel kam darauf ein Beschneidungsskeptiker zu Wort. Kein Grundrecht erlaube einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, auch nicht das in Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz garantierte Elternrecht. Wegen der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber den Juden führe dies zu einem "rechtspolitischen Notstand". So genannte Notrechte müssten daher ausnahmsweise den Eingriff gestatten. Eine gesetzliche Erlaubnis der Beschneidung stelle dann notwendig jüdisch-muslimisches "Sonderrecht" dar, eigentlich ein "Sündenfall des Rechtsstaats".
Gesetz mit Mindeststandards wünschenswert
Der Kölner Verfassungsrechtler Wolfram Höfling trat dem entschieden entgegen. Er kritisierte Merkels enge Auslegung der Freiheitsrechte. Das Elternrecht verbürge den Eltern ein "Deutungsprimat" für das Wohl ihres Kindes. Dem Staat stehe eine bloße Unvertretbarkeitskontrolle zu. Um die Beschneidung als unvertretbar zu qualifizieren, fehlten aber belastbare empirische Daten zu deren Risiken. Unter Hinweis auf die Neutralitätspflicht des Staates wandte er sich auch gegen die These, hier werde Sonderrecht geschaffen.
Den Abschluss machte der evangelische Theologe Peter Dabrock. In einer Zeit, in der die Mitte der Gesellschaft immer säkularer werde, sei eine Auseinandersetzung mit der Religionsfreiheit von zentraler Bedeutung. Auch er plädierte dafür, den Begriff des Kindeswohls weit auszulegen und dabei auch geistlicher Aspekte einzubeziehen; insbesondere sei die Aufnahme in eine Religionsgemeinschaft zu berücksichtigen.
In der anschließenden Diskussion kristallisierte sich heraus, dass die Mitglieder des Ethikrats einstimmig eine gesetzliche Regelung für wünschenswert halten, die bestimmte Mindeststandards garantiert. So sollten die Sorgeberechtigten vor einer Beschneidungen umfassend aufgeklärt werden und müssten in den Eingriff einwilligen. Außerdem müsse die Beschneidung fachgerecht und begleitet von einer qualifizierten Schmerzbehandlung durchgeführt werden. Abhängig von der Entwicklung des Jungen solle diesem zudem ein Vetorecht zukommen. Darüber hinaus forderte der Ethikrat, die fachlichen Standards für die Durchführung einer Beschneidung gemeinsam mit den Betroffenen zu entwickeln und zu evaluieren.
Öffentliche Sitzung des Deutschen Ethikrats: . In: Legal Tribune Online, 24.08.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6919 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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