2/2: Unzulässig trotz Einwilligung?
Zu kritisieren ist auch die weitere Einschätzung der Landesdatenschutzbehörden, dass ein solches Verfahren nicht einmal mit einer formgerechten Einwilligung der Bewerber zulässig sein soll, weil diese im Rahmen des Bewerbungsverfahrens nicht hinreichend "frei und ohne Zwang" entscheiden könnten. Dabei ignorieren die Datenschützer die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die diese Entscheidungsfreiheit bereits vor einigen Jahren für Arbeitnehmer grundsätzlich anerkannt und sich in dieser langjährigen Debatte um die fehlende Entscheidungsfreiheit im Arbeitsverhältnis der weniger restriktiven Position angeschlossen hatte (BAG v. 11.12.2014, 8 AZR 1010/13).
Ebenso bleibt diese Auffassung hinter den Inhalten der ab Mai 2018 geltenden Datenschutzgrundverordnung zurück, die ebenfalls die Einwilligung als Rechtfertigung für Datenerhebungen im Arbeitsverhältnis bestätigt. Diese Anerkennung der Entscheidungsfreiheit für Arbeitnehmer ist richtigerweise auf Bewerber zu übertragen. Aber auch für Arbeitnehmer ignoriert die Landesdatenschutzbeauftragte sie an anderer Stelle des Berichts.
Persönlichkeitseinschätzung anhand der Stimme
Der Bericht greift auch den Einsatz von einer Software als problematisch auf, die bei der Bewerberauswahl durch Aufzeichnung und Auswertung von Sprechproben eine Analyse der Persönlichkeit des Bewerbers liefert. Die Begründung der Landesdatenschützer: Dieses Verfahren könnte gegen das Verbot von automatisierten Einzelfallentscheidungen nach § 6a Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) verstoßen und auch gegen dessen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach § 32 BDSG.
Diese Bedenken sind berechtigt, aber wiederum weniger wegen der Aufzeichnung und Auswertung der Sprechproben, sondern wegen der wissenschaftlich nicht hinreichend fundierten Bewertungs- und Analysekriterien der Software. Die Sprache und Stimme eines Menschen mag seine Person in seinem Auftreten mitprägen und auch teils Rückschlüsse auf die Persönlichkeit zulassen. Aber Einzelheiten zur Beziehung von Sprechweise und Persönlichkeit sind bisher wohl nicht belastbar geklärt.
Der Einsatz einer gar automatisierten Sprechanalyse und Persönlichkeitsbewertung kann für Arbeitgeber daher noch als hinreichend unseriös eingestuft werden, so dass keine Erforderlichkeit für diese Datenerhebung und -auswertung im Auswahlverfahren angenommen werden muss. Ein Verstoß gegen § 6a BDSG könnte allerdings nur vorliegen, wenn es im Verfahren kein anderes Auswahlkriterium als die Sprachprobe und keine weitere Auswahlstufe durch Vertreter des Unternehmens gäbe.
Freiwilligkeit im Bewerbungsverfahren?
Ebenso hält die neue Landesdatenschutzbeauftragte des Landes Berlin zu Unrecht daran fest, dass Arbeitnehmer und Bewerber nicht frei in Datenerhebungen einwilligen können, und zitiert dazu einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, mit dem eine Verfassungsbeschwerde zu Arbeitszeitfragen nicht zur Entscheidung angenommen wurde. Das bereits genannte, auch hier einschlägige BAG-Urteil aus 2014 lässt sie aber unerwähnt.
Soweit die Landesdatenschutzbeauftragte Berlin den Einsatz von Videotechnik für Live-Interviews, beispielsweise via Skype, oder auch von Recruiting-Plattformen zur Standardisierung von Auswahlprozessen (nur) für unzulässig hält, weil die Daten jeweils auf Servern in den USA gespeichert werden, wird damit aber jedenfalls nicht grundsätzlich die Art der Datenerhebung im Bewerberverfahren als unzulässig eingestuft.
Die Unternehmen haben daher insoweit und auch unabhängig von der Frage einer zulässigen Einwilligung des Bewerbers rechtmäßige Alternativen mit dem Einsatz von Software und Servern im EU-Raum. Außerdem ist US-Unternehmen durch den Privacy-Shield bis auf Weiteres wieder eine Zertifizierung ihres Datenschutzsystems auf EU-Level möglich.
Für Arbeitgeber sind diese Veröffentlichungen der Landesdatenschutzbeauftragten einiger Länder zwar keine zwingenden Vorgaben. Bei abweichendem Verhalten können sie aber durchaus Beanstandungen und Bußgelder riskieren. Der Vorteil für private Arbeitgeber: Gegen solche Sanktionen können sie eher gerichtlich vorgehen und die Ansicht der Datenschützer vor Gericht prüfen lassen. Soweit deren Auffassungen von der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte abweichen, insbesondere zur Frage der Zulässigkeit von Einwilligungen von Bewerbern und Arbeitnehmern, wäre dies sogar sinnvoll, um eine Auseinandersetzung der Behörden mit der bestehenden Rechtsprechung zu erzwingen.
Die Autorin Prof. Dr. Anja Mengel, LL.M. (Columbia) ist Rechtsanwältin und Partnerin bei ALTENBURG Fachanwälte für Arbeitsrecht in Berlin.
Datenschutz und Bewerberauswahl per Video: . In: Legal Tribune Online, 15.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22925 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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