SPD-Innenpolitiker Sebastian Fiedler protestiert seit Wochen gegen das Cannabisgesetz der eigenen Regierung. Kollegen kritisieren ihn als unsolidarisch. Vor der finalen Abstimmung im Bundestag erläutert er im LTO-Gespräch seine Position.
LTO: Herr Fiedler, Ende der Woche wird das Cannabisgesetz (CanG) im Bundestag final zur Abstimmung gestellt. Dagegen stimmen werden nicht nur Union und AfD, sondern aus der SPD-Bundestagsfraktion u.a. auch Sie. Warum können Sie das Vorhaben nicht mittragen, obwohl man sich grundsätzlich darauf im Koalitionsvertrag verständigt hat?
Sebastian Fiedler MdB: Ich muss Sie korrigieren: Im Koalitionsvertrag hat man sich auf etwas anderes verständigt, nämlich auf die "kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften". Das, was im Cannabisgesetz steht, hat mit dieser Vereinbarung wenig gemein. Eine Produktion in Privatwohnungen oder der Konsum und Besitz von 25 Gramm im öffentlichen Raum waren nicht vereinbart – um nur zwei Beispiele zu nennen.
Insbesondere beim Eigenanbau zu Hause gibt der Staat von vornherein jegliche Kontrolle auf. Der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung hatte vor zwei Jahren in einem LTO-Interview noch angekündigt, man werde den gesamten Prozess – vom Anbau bis zur Ladentheke – unter staatliche Kontrolle stellen. Genau das passiert nun nicht.
"Staatliche Förderung der Organisierten Kriminalität"
Sie haben doch sicher den langwierigen Vorlauf des CanG mitverfolgt: Dass man sich vom weiten Ansatz des Koalitionsvertrages entfernt hat, liegt daran, dass der Bundesregierung irgendwann aufgefallen ist, dass der Staat nicht "Dealer" sein darf, weil internationales Recht, vor allem EU-Recht, dem entgegen steht. Deshalb soll es nach der Verabschiedung des CanG in einem nächsten Schritt regionale Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten geben.
Man hätte den Weg umgekehrt gehen und mit Säule-2 beginnen sollen. Erst die staatlich kontrollierten und wissenschaftlich begleiteten Modellprojekte durchführen; danach hätten wir uns für das Modell entscheiden können, das die besten Auswirkungen auf die Gesundheit und die Kriminalitätsentwicklung hätte.
Mit der aktuellen Lösung kann sich die Organisierte Kriminalität gut arrangieren. Die kann sich zum Beispiel auf Kinder und Jugendliche konzentrieren, die keinen Zugang zu Cannabis bekommen werden. Der Schwarzmarkt wird durch das Gesetz in keiner Weise ausgetrocknet. Im Gegenteil: Zunächst wird es überhaupt kein legales Gras geben. Die Anbauvereinigungen sind nach Inkrafttreten des Gesetzes erst mehrere Monate später erlaubt. Der fortan erlaubte Kauf, Besitz und Konsum muss also zunächst den Schwarzmarkt beflügeln. Das ist in der Wirkung eine Art staatlich organisierte Wirtschaftsförderung für die Organisierte Kriminalität.
Zudem wird Dealern das Leben leichter gemacht. Wenn künftig jeder mit bis zu 25 Gramm Cannabis durch die Straßen laufen darf, ohne dass nach der Herkunft des Stoffes gefragt wird, ist das genau die Form von Vertriebsmöglichkeit für Dealer, von der sie nicht einmal zu träumen gewagt haben. Selbst in den liberalen Niederlanden sind nur fünf Gramm erlaubt.
"Meine Kritik ist schon lange bekannt"
Sie sind für eine moderate Freigabe?
Ich habe immer betont, dass ich das Modell Portugals für Deutschland fordere – seit mittlerweile zehn Jahren. Dort hat man schon 2001 für eine Entkriminalisierung bei allen Drogen gesorgt. Bis zu einer bestimmten Menge ist der Besitz und Konsum eine Ordnungswidrigkeit, keine Straftat. Und Abhängige bekommen Hilfe statt Gefängnisstrafen. Die Prüfung der individuellen Fälle ist dort wichtiger Teil der Strategie. Das finde ich richtig. Strafrecht kann immer nur Ultima Ratio sein.
Man wirft Ihnen vor, Sie und einige ihrer Fraktionskollegen seien mit der Kritik am Cannabisgesetz erst laut geworden, nachdem sich die Fachpolitiker in einem mühsamen Prozess endlich mit dem Gesundheitsminister auf die finale Fassung des Gesetzes geeinigt hätten. Ist dieses Verhalten nicht unsolidarisch? Warum haben Sie nicht früher Ihre Stimme erhoben?
Ich kenne diesen Vorwurf. Er bleibt unwahr. Ich habe meine Kritik nicht erst nach der finalen Fassung angebracht.
Im Übrigen habe ich bereits im April 2023 im Vorwärts mit dem Drogenbeauftragten Burkhard Blienert ein Streitgespräch geführt. Sie können es hier nachlesen. Meine Kritik ist also schon lange hinreichend bekannt.
"Gesetz wird nötige Mehrheit erzielen"
Was hätte im CanG geändert werden müssen, damit Sie diese Woche zustimmen?
Vieles. Es stehen aber keine Verhandlungen mehr an. Besonders problematisch finde ich den unkontrollierten Privatanbau, die viel zu hohe Menge von 25 Gramm, die man im öffentlichen Raum besitzen darf und den Konsum im öffentlichen Raum.
Sie sprachen von einer zweistelligen Anzahl von Abgeordneten Ihrer Fraktion, die Ihre Bedenken teilen. Was glauben Sie: Wird das Gesetz am Freitag die erforderliche Mehrheit im Bundestag bekommen und anschließend auch ohne weiteren Widerstand aus den Ländern pünktlich zum 1. April in Kraft treten?
Ich gehe davon aus, dass das Gesetz im Bundestag die nötige Mehrheit erzielen wird. Die Anzahl der Kolleginnen und Kollegen, die unglücklich mit dem Gesetz sind, ist höher als die Zahl derer, die letztlich mit Nein stimmen werden.
Es ist sehr bedauerlich, dass das Vorhaben gegen die breite Kritik aus allen (!) Ländern durchgezogen wird. Insbesondere die Warnungen der Strafverfolgungsbehörden, die infolge des Gesetzes mit einem deutlichen Mehraufwand rechnen müssen, besorgen mich.
Herr Fiedler, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Sebastian Fiedler (50) ist gelernter Kriminalhauptkommissar. Von 2018 bis 2021 war er Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter sowie von 2014 bis 2021 dessen Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen. 2021 wurde er in den 20. Deutschen Bundestag gewählt.
Interview zur Cannabis-Freigabe mit SPD-Abweichler: . In: Legal Tribune Online, 20.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53918 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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