Durfte sich das Innenministerium beim Verbot der Internetplattform "linksunten.indymedia" auf das Vereinsrecht stützen? Dazu wird ab Mittwoch beim BVerwG verhandelt. Kritiker sehen das Vorgehen als Gefahr für die Meinungs- und Pressefreiheit.
Nicht erst seit Silvester wird über gewaltbereite Linksextremisten aber auch über die Reaktion der Polizei auf Ausschreitungen in Leipzig heftig diskutiert. Die Stimmung in der Stadt ist angespannt, wenn am Mittwoch die Richter des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) über die 2017 vom Bundesinnenministerium (BMI) verbotene Internetplattform "linksunten.indymedia" verhandeln werden (Az. 6 A 1.19 u. a.). Der damalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) bezeichnete diese als "einflussreichste Internetplattform gewaltbereiter Linksextremisten in Deutschland".
Der Präsident des BVerwG hat für die angesetzten Verhandlungstage Mittwoch und Donnerstag besondere Anordnungen der Hausordnung erlassen, sie sehen umfangreiche Einlasskontrollen vor.
Eine Demonstration gegen das Verbot war am Samstagabend in Leipzig nach zunächst friedlichem Beginn eskaliert. Vermummte warfen Steine und Böller auf die Polizei. Scheiben an Autos und an einem Straßenbahn-Wartehäuschen gingen zu Bruch. Laut Ordnungsamt hatten sich rund 1.600 Menschen an der Demonstration beteiligt. Auch für den Prozessauftakt am Mittwoch sind Kundgebungen angemeldet.
Debatten und Recherchen, aber auch Gewaltaufrufe und Bekennerschreiben
Fünf Freiburger, die das BMI zu den Betreibern der Plattform rechnet, klagen vor dem BVerwG, das erstinstanzlich für bundesweite Vereinsverbote zuständig ist. Das BMI war im August 2017 nach Krawallen am Rande des G20-Gipfels in Hamburg gegen "linksunten.indymedia" vorgegangen, einige Wochen vor der Bundestagswahl. Auf der Plattform werde öffentlich zur Begehung von Gewaltstraftaten gegen Polizeibeamte und politische Gegner sowie zu Sabotageaktionen gegen staatliche und private Infrastruktureinrichtungen aufgerufen, begründete das BMI damals das Verbot.
Als Beispiel führte das Ministerium unter anderen einen Beitrag aus 2016 auf, dort heißt es: "Nicht jede beliebige Provokation kann hingenommen werden! Angefangen mit Benno Ohnesorg ist die Liste getöteter Freunde von uns beliebig lang! […] Eins ist klar: Irgendwann wird wieder zurückgeschossen!"
Das BMI-Verbot stützt sich auf § 3 Abs. 1 S. 1 1. und 2. Alternative des Vereinsgesetzes. Zweck und Tätigkeiten von "linksunten.indymedia" würden gegen Strafgesetze verstoßen und richteten sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung, heißt es in der Verbotsverfügung.
Der Hauptvorwurf des BMI gegenüber den Plattformbetreibern: Trotz Kenntnisnahme und Möglichkeit hätten die Plattformbetreiber strafbare und verfassungsfeindliche Inhalte auf der Webseite nicht gelöscht. Auf der Plattform, die seit 2009 online ist, konnte jeder anonym Texte veröffentlichen. Es erschienen viele Artikel zu Debatten linker Politik, Recherchen zu Neonazinetzwerken, Aufrufe und Berichte zu Demonstrationen aber auch Aufrufe zu Gewalt und Bekennerschreiben zu Straftaten.
Vereinsverbot ohne Verein?
"Da muss ich nicht in eine tiefe Analyse einsteigen, inwiefern solche Beiträge im Verhältnis zu anderen Beiträgen stehen", sagte zuletzt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Thomas Haldenwang in einem Interview mit der FAZ zu dem Verbot von "linksunten.indymedia". Der Chef des Inlandsgeheimdienstes sagte weiter: "Zumal in sehr hoher Anzahl linksextremistische und sogar strafbare Inhalte in dem Portal eingestellt wurden, ohne dass die Betreiber diese Einträge gelöscht haben." Der Jurist Haldenwang hält das Verbot für einen "großen Erfolg". Die Szene sei nach dem Verbot verunsichert gewesen, ihre Kommunikation sei über längere Zeit gestört gewesen.
"linksunten.indymedia" wird in der Verbotsverfügung ausdrücklich als Verein bezeichnet, an das Verbot knüpft sich auch das Verbot der gleichlautenden Internetplattform. Kritiker des Verbots bezweifeln, dass es sich bei den Betreibern um einen Verein handelt, der verboten werden könnte. So sagte der Klägeranwalt Sven Adam aus Göttingen zu LTO kurz nach dem Verbot: "Es gibt diesen Verein nicht. Das BMI hat ihn erfunden, um ihn verbieten zu können."
Vereinsrecht als Instrument für Medienverbot?
Vor allem aber würde das Vereinsrecht instrumentalisiert, um ein Internetmedium zu verbieten. Der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, sagte 2017: "Dass die Bundesregierung ein trotz allem journalistisches Online-Portal durch die Hintertür des Vereinsrechts komplett verbietet und damit eine rechtliche Abwägung mit dem Grundrecht auf Pressefreiheit umgeht, ist rechtsstaatlich äußerst fragwürdig."
Auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) schaltete sich mit einer juristischen Stellungnahme ein. Zwei Mitautoren der Stellungnahme haben in einem Online-Beitrag für carta ihre Kritik nun noch einmal erneuert, sie verweisen insbesondere auch auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2005 zur Wochenzeitung Junge Freiheit: "Bei einem solchen 'Markt der Meinungen' bedarf es laut Bundesverfassungsgericht besonderer Anhaltspunkte dafür, dass sich ein Medium nicht mit diesen Beiträgen, wohl aber mit den strafbaren oder verfassungsfeindlichen Beiträgen identifiziert", schreiben die Juristen John Philipp Thurn und David Werdermann. "Anders als das Innenministerium meint, kann eine solche Zurechnung nicht einfach damit begründet werden, dass anonymes Publizieren auf linksunten durch technische Vorkehrungen ermöglicht wurde. Denn auch die Veröffentlichung von anonymen Beiträgen ist selbstverständlich Teil der Medienfreiheit."
Wer darf gegen das Vereinsverbot klagen?
Die Rechtsanwältin Angela Furmaniak, die drei der Kläger vertritt, wertet die Internetplattform als Telemedium, für das der Rundfunkstaatsvertrag gelten müsste - nicht das Vereinsrecht. Dann müssten die jeweiligen Aufsichtsbehörden in den Ländern im Fall von Rechtsverstößen einzelne Angebote untersagen oder sie sperren - nicht das Nachrichtenportal als Ganzes dürfe ohne Weiteres verboten werden.
Wieviel die BVerwG-Richter in der Sache überhaupt zu dem Verbot und seiner Rechtmäßigkeit sagen werden, scheint offen. Das Gericht hat zwei Tage zur Verhandlung angesetzt.
Zum Knackpunkt, so sieht es der Klägeranwalt Lukas Theune aus Berlin, könnte bereits die Zulässigkeit im Hinblick auf die Klagebefugnis werden. Gegenüber LTO sagte Theune: "Die Gegenseite könnte argumentieren, gegen ein Vereinsverbot können nur Vereinsmitglieder klagen." Aus seiner Sicht bestand aber gar kein Verein, der hätte verboten werden können. Er sieht durch eine vereinsrechtliche Argumentation den Rechtsschutz gegen das Verbot verkürzt.
Für die Kläger bliebe nach einer Niederlage beim BVerwG nur noch der Weg nach Karlsruhe zum Bundesverfassungsgericht.
BVerwG verhandelt Vereinsverbot gegen "linksunten.indymedia": . In: Legal Tribune Online, 28.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39951 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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