Das BVerfG verhandelt über die Verfassungsmäßigkeit einiger Regelungen des Gentechnikgesetzes. Das Standortregister steht dabei ebenso auf dem Prüfstand wie Ausgleichsansprüche geschädigter Nachbarlandwirte. Und mitten im Konflikt zwischen deutschen und europäischen Vorstellungen vom Umgang mit Gentechnik geht es nicht zuletzt um finanzielle Interessen beider Seiten.
Die angegriffenen Vorschriften bestimmen unter anderem, ob benachbarte Bauern einen Anbau derartiger Pflanzen auf der Grundlage des Nachbarrechts verhindern können, wie sie erfahren, ob ihr Nachbar solche Pflanzen anpflanzt und welcher finanzielle Ausgleich stattfindet, wenn die Ernte eines konventionellen Landwirts durch benachbarte Felder plötzlich und unbeabsichtigt selbst zu einem Produkt aus einer gentechnisch veränderten Pflanze wird.
Es geht also um die zivilrechtliche Seite der Frage, wie das Recht, aber letztlich auch die Gesellschaft mit dieser neuen Technik umgeht.
Die angegriffenen Bestimmungen wurden noch von der rot-grünen Bundesregierung initiiert und durchgesetzt. Sie hat ein Standortregister eingeführt, aus dem Nachbarn, aber auch alle anderen Interessierten ohne Nachweis besonderer Voraussetzungen Informationen über den Ort und die Art der gentechnisch veränderten Pflanzen erhalten.
Weiterhin wurden Regeln über das Nachbarschaftsrecht zwischen konventioneller Landwirtschaft und dem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen verabschiedet. Diese Regeln sehen vor, dass der Anbau mit zugelassenem gentechnisch verändertem Saatgut nicht nachbarrechtlich verhindert werden kann. Zugleich wird eine Ausgleichspflicht festgelegt, wenn die Ernte anderer Landwirte beeinträchtigt wird.
Der Angriff auf das rot-gründe Gentechnikrecht
Angegriffen werden diese Regelungen im Wege eines Normenkontrollantrags des Landes Sachsen-Anhalt. Dieses sieht die Unternehmer, die gentechnisch verändertes Saatgut verwenden möchten, als durch diese Bestimmungen in verfassungswidriger Weise beschränkt.
Das Standortregister ermögliche gewaltbereiten Aktivisten die Zerstörung der angelegten Felder und der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch belaste die Gentechnikbauern, weil jeder Landwirt, der Gentechnik einsetzt, finanziell zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn in der Nähe die Ernte eines konventionellen Landwirts mit gentechnisch veränderten Samen und Pflanzen vermischt wird.
Da dieser Ausgleichsanspruch nicht davon abhängt, ob der Gen-Landwirt gegen Sorgfaltspflichten verstoßen oder Sicherheitsbestimmungen missachtet hat, werde der Anbau dieser Pflanzen unverhältnismäßig erschwert. Das propagierte Ziel der Koexistenz gentechnisch unterstützter und konventioneller Landwirtschaft werde so nicht erreicht. Jeder Freisetzungsversuch führe zu so hohen Risiken, dass die Forschung und Entwicklung gentechnisch modifizierter Pflanzen unverhältnismäßig erschwert würden.
Streit zwischen Kommission und Mitgliedsstaaten
Die vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidenden Fragen betreffen nur einen Teilbereich der Gesamtproblematik. Obwohl die Einfuhr von gentechnisch verändertem Maissaatgut auf der Ebene des Unionsrechts von der Kommission nach einer Bewertung durch die zuständige europäische Behörde genehmigt worden ist, versagen immer wieder Mitgliedsstaaten unter Berufung auf Sicherheitsaspekte und geänderte wissenschaftliche Einschätzungen die Anbaugenehmigungen.
Die Kommission steht diesem Vorgehen kritisch gegenüber. Sie pocht auf das Prinzip, dass nach einer einzigen wissenschaftlichen Beurteilung in ganz Europa die Verkehrsfähigkeit und die Unbedenklichkeit des Saatguts feststehen. Beschränkungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten gefährden dieses Prinzip. Dieser Regelungsansatz soll Handelshemmnisse abbauen und den gemeinsamen Markt ermöglichen.
Das ist nicht möglich, wenn die Mitgliedsstaaten von den Schutzklauseln in einem zu weiten Umfang Gebrauch machen dürfen. Wie stark unionsrechtliche und mitgliedstaatliche Vorstellungen auseinandergehen, zeigt sich an der jüngst veröffentlichten Stellungnahme des wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zum Thema „Koexistenz Gentechnik in der Land- und Ernährungswirtschaft“. Dort spricht sich der Beirat für eine nationale Beurteilung der sozioökonomischen Risiken unter Berücksichtigung des Votums der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA aus.
Stigmatisierung und finanzielle Risiken für Gentechnik verwendende Landwirte
Das am Mittwoch vom Bundesverfassungsgericht zu beurteilende deutsche Gentechnikrecht verhindert nicht den Anbau, führt aber aus Sicht seiner Kritiker zu einer erheblichen Erschwerung der Nutzung dieser Technik.
So birgt das in wesentlichen Teilen öffentlich zugängliche Standortverzeichnis nicht nur die Gefahr der Zerstörung der Felder durch Gegner der Gentechnik, sondern es kann auch zu einer öffentlichen Prangerwirkung und zur sozialen Stigmatisierung einzelner Landwirte führen.
Ob und in welchem Umfang die finanziellen Ausgleichsansprüche einen Landwirt vom Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen abhalten werden, wird auch ganz wesentlich davon abhängen, welche Versicherungsprodukte für dieses Risiko angeboten werden und welche Prämien dafür zu entrichten sind.
… versus Beeinträchtigung von Nachbarlandwirten
Auf der anderen Seite kann der Anbau derartiger Pflanzen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Nachbarlandwirte führen. Da Pollen der gentechnisch veränderten Pflanzen durch Windflug die Nachbarfelder auch dann erreichen könnten, wenn die erforderlichen Abstandsflächen eingehalten wurden, besteht die Gefahr, dass Landwirte mit konventionell oder biologisch erzeugten Produkten ihre Ware nicht mehr in der gewohnten Weise absetzen können.
Betroffen sind damit finanzielle Interessen, weil die Ware zum Beispiel nicht mehr als Öko-Produkt gekennzeichnet werden darf, sondern auf den Eintrag mit gentechnisch veränderten Organismen hingewiesen werden muss. Dabei ist auch an Landwirte zu denken, die sich über Gütesiegel zu einer Produktion bekennen, die eine völlige Freiheit von gentechnisch veränderten Organismen verlangt.
Der Schaden beschränkt sich vielfach auch nicht auf die konkrete Ernte. Häufig werden zugleich langfristige Zulieferbeziehungen gefährdet, denn ein Landwirt, der mit seinen Ökoprodukten einem Hersteller zuliefert, der seinerseits gentechnikfrei produzieren will, muss befürchten, insgesamt als Zulieferer auszuscheiden, wenn er einige seiner Produkte nun anders kennzeichnen muss. Darüber hinaus ist auch das Selbstverständnis dieser Landwirte betroffen, die wider Willen vom Ökobauern zum Gen-Bauern mutieren.
Man darf deshalb gespannt sein, wie das Bundesverfassungsgericht dieses komplexe Interessengeflecht vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Bestimmungen auflösen wird.
Der Autor Prof. Dr. Wolfgang Voit ist Sprecher der Forschungsstelle für Deutsches und Europäisches Lebensmittel- und Futtermittelrecht der Philipps-Universität Marburg.
BVerfG zum Gentechnikgesetz: . In: Legal Tribune Online, 23.06.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/785 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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