BVerfG verhandelt über NPD-Verbot: Zu unwichtig für ein Verbot?

von Pia Lorenz

29.02.2016

Zunächst drei Tage lang prüft Karlsruhe ab Dienstag auf Antrag des Bundesrats, ob die NPD verboten wird. Das Verfahren könnte nicht nur an den V-Leuten des Verfassungsschutzes scheitern, sondern auch an der Bedeutungslosigkeit der Partei.

Der Erfolgsdruck für die Bundesländer ist groß: Ein erster Verbotsanlauf war 2003 gescheitert, weil im Verfahren ans Licht gekommen war, dass der Verfassungsschutz bis in die Parteispitze hinein verdeckte Informanten hatte.

Die Frage der sogenannten V-Leute wird auch im zweiten Versuch (Az. 2 BvB 1/13) eine zentrale Rolle spielen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wird in der zunächst für drei Tage anberaumten mündlichen Verhandlung zunächst prüfen, ob das Verbot schon daran scheitert, dass das Verfahren rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht genügt, weil in führenden Positionen der NPD V-Leute des Verfassungsschutzes sitzen. Der Bundesrat hatte im vergangenen Mai noch einmal vier Aktenordner mit Belegen nachgereicht. Die internen Vermerke, Gesprächsprotokolle und E-Mails sollen untermauern, dass die Sicherheitsbehörden diesmal rechtzeitig alle V-Leute in der Partei  "abgeschaltet" haben. Die elf Namen sind geschwärzt.

Die NPD selbst hat die Gelegenheit zur inhaltlichen Stellungnahme bis kurz vor Verhandlungsbeginn nicht genutzt. Auch deshalb ist völlig ungewiss, was den Zweiten Senat unter Leitung von Gerichtspräsident Prof. Dr. Andreas Voßkuhle erwartet. NPD-Anwalt Peter Richter hat im Tagesspiegel bereits "den einen oder anderen Knaller" angekündigt. Experten halten es für denkbar, dass die Partei vorhat, einzelne V-Leute zu enttarnen. Die Partei könnte auch auf Zeit spielen, weil Senatsmitglied  Herbert Landau Ende April in den Ruhestand gehen wird. Da er im Verfahren nicht ersetzt werden kann, sinken die Chancen für die für ein Parteiverbot nötige Zwei-Drittel-Mehrheit von sechs Stimmen.

Bundestag und Bundesregierung halten sich raus

Die Hürden für das Verbot der Partei sind hoch.  Das Verbreiten verfassungsfeindlicher Ideen allein reicht dafür nicht aus. Vor sechzig Jahren, als das BVerfG mit der kommunistischen KPD zum zweiten und bislang letzten Mal eine Partei verbot, formulierte es eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der demokratischen Grundordnung als zentrales Kriterium.

Während mit Ausnahme von Hessen, das sich bei der Abstimmung über die Einleitung eines neuen Verfahrens im Dezember 2012 enthalten hatte, die meisten Länder davon ausgehen, dass die NPD dieses Kriterium erfülle, haben die ebenfalls antragsberechtigten Bundesregierung und Bundestag sich dem Verbotsantrag des Bundesrats nicht angeschlossen. Auch viele Rechtsexperten bezweifeln, dass der Antrag nach Art. 21 ABs. 2 GG, 43 ff BVerfGG Erfolg haben wird.

Die Antragsteller müssten ein in dem ersten Verbotsverfahren vom BVerfG selbst kreiertes Dilemma auflösen.  Viele Verfassungsrechtler halten das für fast unmöglich – sofern nicht der Zweite Senat von den im Jahr 2003 aufgestellten Grundsätzen abweicht. Ausgeschlossen ist das nicht, der Senat verhandelt 13 Jahre später nicht nur in anderer Besetzung, sondern hat auch angekündigt, zu Beginn der mündlichen Verhandlung den Maßstab für das potenzielle Verfahrenshindernis "V-Leute" diskutieren zu wollen.

Nach dem Beschluss des höchsten deutschen Gerichts aus dem Jahr 2003 gibt es Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren (Art. 21 Abs. 1, 2 i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG), deren Nichteinhaltung ein zwingendes und unheilbares Verfahrenshindernis darstellt. 

Mit ihnen ist es nicht vereinbar, wenn die politische Partei, die verboten werden soll, unmittelbar vor und während des Verfahrens durch V-Leute staatlicher Behörden beobachtet wird, die als hochrangige Mitglieder - des Bundesvorstands oder eines Landesvorstands - fungieren (BVerfG,  Beschl. v. 18.03.2003, Az. 2 BvB 1 bis 3/01).  Vor einem neuen Verbotsantrag hätten die Verfassungschutzämter also, wollten sie diesen strengen Anforderungen nachkommen, zumindest all jene  Informanten abschalten müssen, die Vorstandsfunktionen wahrnehmen.

Ohne Informanten keine Information, mit Informanten keine Verwertbarkeit

Das Problem liegt auf der Hand: Für die Begründung eines Verbotsantrags brauchen die Verfassungschutzämter Informationen. Die wesentlichen Informationen können aber  naturgemäß nicht die einfachen Mitglieder, sondern die Führungsebenen verfassungsfeindlicher Parteien geben.

Noch vor der Einleitung des Verfahrens formulierte der ehemalige Prozessbevollmächtigte der Bundesregierung das Dilemma auf LTO so: "Je mehr relevante Meldungen jemand den Verfassungsschützern liefert, umso wertloser werden sie." Ohne Informationen aus den inneren Kreisen der extremistischen Partei könne kein Verbotsantrag sicher genug begründet werden, so Prof. Dr. Hans Peter Bull im Jahr 2011.

Obgleich es in dem damaligen Verfahren gar nicht zur Klärung der Frage kam, ob die von der Bundesregierung vorgelegten Beweise ausgereicht hätten, hält er es heute für fast unmöglich, ein Parteiverbot durchzusetzen. Hinzu komme, dass die geheimen Informanten möglichst weitgehend vor der Rache der Verratenen geschützt werden sollten. "Das BVerfG verlangt Offenlegung aller Beweise, aber wie dies in Abwägung mit dem Quellenschutz geschehen kann, ist unklar" geblieben, fasste Bull es zusammen  

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, BVerfG verhandelt über NPD-Verbot: . In: Legal Tribune Online, 29.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18631 (abgerufen am: 04.11.2024 )

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