Politische Parteinahmen und goldene Fallschirme: Ehemalige Bundesverfassungsrichter sind in der jüngeren Vergangenheit wiederholt in die Kritik geraten. Nun arbeitet man in Karlsruhe an einem Ethikkodex.
Die Richter des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) genießen, was sonstigen Akteuren an den Schaltzentren der Macht zumeist verwehrt bleibt: das Vertrauen der Bevölkerung. Tatsächlich vertrauen die Deutschen dem Verfassungsgericht sogar mehr als jeder anderen demokratisch bedeutsamen Institution: In einer Umfrage von Infratest Dimap landete es 2013 auf dem ersten Platz, knapp vor dem Bundespräsidenten und weit entfernt vom Parlament oder den Medien. 21 Prozent der Befragten hatten damals angegeben, "sehr großes Vertrauen" in das Karlsruher Gericht zu haben, 53 Prozent hatten "großes Vertrauen", 20 Prozent "weniger Vertrauen" und nur zwei Prozent "gar kein Vertrauen".
Das ist erfreulich und keineswegs selbstverständlich. Der amerikanische Supreme Court etwa, einst ähnlich hoch angesehen wie das Bundesverfassungsgericht, verzeichnet seit der Jahrtausendwende einen stetigen Vertrauensverlust und schneidet in Umfragen heute deutlich schlechter ab als sein deutsches Pendant. Eine vergleichbare Entwicklung zeichnet sich hierzulande zwar nicht erkennbar ab, doch den Karlsruher Richtern ist sehr genau bewusst, wie volatil die Haltung der Bürger gegenüber dem Staat und seinen Institutionen sein kann. Um sich gegen den Anwurf der Amoral zu imprägnieren, wollen sie sich daher künftig einem Ethikkodex unterwerfen.
Wie politisch dürfen (Ex-)Verfassungsrichter sein?
Dieser wird derzeit von einem vierköpfigen Gremium erarbeitet und soll, sofern möglich, im Laufe des Jahres fertiggestellt werden. Die Inhalte des Kodex stehen noch nicht fest – denkbar seien aber etwa Bestimmungen zum Umgang mit Medienvertretern oder zu bezahlten Vorträgen, hieß es am Dienstag auf dem Jahrespressegespräch des Gerichts. Im Vordergrund dürften allerdings wohl Regelungen zu einem anderen Problemfeld stehen, das in den letzten Jahren wiederholt zur Ursache öffentlicher Kritik an ehemaligen Verfassungsrichtern geworden ist: Ihr politisches oder wirtschaftliches Wirken nach dem Ende der maximal zwölfjährigen Amtszeit.
In dieser Hinsicht besonders hervorgetan hat sich der frühere Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier, der unmittelbar nach seinem Ausscheiden aus dem Gericht 2010 eine bemerkenswerte Laufbahn als Universalgutachter zu politisch kontroversen Rechtsfragen angetreten hat, etwa zum Atomausstieg oder zur Tarifeinheit. Anfang 2016 sprach Papier, der CSU-Mitglied ist, in einem Interview von einem "eklatanten Politikversagen" in der Flüchtlingskrise. Damit schlug er in dieselbe Kerbe wie Udo di Fabio, ebenfalls früherer Bundesverfassungsrichter, der dem Freistaat Bayern just zu jener Zeit in einem Rechtsgutachten gute Erfolgsaussichten für eine etwaige Verfassungsklage gegen Merkels Politik der offenen Grenzen attestiert hatte.
Solche politischen Parteinahmen sind nicht verboten. Prinzipiell möglich wären sie den Verfassungsrichtern sogar noch während ihrer Amtszeit, zumal sie keiner Dienstaufsicht unterworfen sind, die in solchen Fällen regulierend eingreifen könnte. Allerdings fürchtet man in Karlsruhe kaum etwas so sehr, wie die Politisierung des Gerichts – als abschreckendes Beispiel dient auch hier der Blick in die USA, wo die Verfassungsrichter (meist zutreffend) als der verlängerte Arm der Parteien wahrgenommen werden, auf deren Ticket sie an den Supreme Court gelangt sind. Viel spricht daher dafür, dass Bestimmungen zur politischen Zurückhaltung in den Kodex einfließen könnten.
Einhaltung nur eine Frage des Anstands
Weniger bedeutsam ist dem Vernehmen nach ein anderer Fall, der unlängst für Schlagzeilen sorgte: Die ehemalige Bundesverfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt war nach nur einem Jahr aus dem VW-Vorstand ausgeschieden und hatte für diese Zeit über zwölf Millionen Euro von dem Autobauer erhalten. Ihr Fall reiht sich ein in die lange Liste fragwürdig hoher Vorstandsvergütungen, ist als solche aber ein Problem (oder auch nicht) der Politik beziehungsweise der Wirtschaft, keines der Justiz.
Ohnehin bleibt ungewiss, welche Wirkung der Karlsruher Kodex wird entfalten können. Eine Fassung zu finden, mit der die amtierenden ebenso wie die früheren Verfassungsrichter konform gehen, dürfte keine leichte Aufgabe sein. Zur Unterzeichnung kann jedenfalls niemand gezwungen werden, ebenso wenig wie zur Einhaltung. Verstöße gegen den Kodex könnten allerdings dem Ruf des Betroffenen schaden – und nicht dem des Gerichts. Genau darum dürfte es wohl gehen.
Constantin Baron van Lijnden, BVerfG erarbeitet Ethikkodex: . In: Legal Tribune Online, 23.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22195 (abgerufen am: 07.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag