Mit einem Jahr Verspätung wurde in Karlsruhe Ex-BVerfG-Präsident Andreas Voßkuhle verabschiedet und zugleich sein Nachfolger Stephan Harbarth ins Amt eingeführt. Christian Rath war dabei.
Man muss die Feste feiern, wie sie fallen - oder wann es die Pandemie erlaubt. Mitte 2020 fand am Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine große Personal-Rochade statt. Damals musste der geplante Festakt allerdings wegen Corona ausfallen, an diesem Freitag wurde er nachgeholt. "Letztes Jahr gab es einen Präsidentenwechsel ohne Feier, heute gibt es eine Feier ohne Präsidentenwechsel", sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Damit es nicht zu eng wird, traf man sich diesmal im Badischen Staatstheater. Zugang hatten nur Geimpfte, Genesene und PCR-Getestete.
Genau genommen wurden bei dem Festakt sechs Veränderungen gewürdigt. Andreas Voßkuhle wurde durch Stephan Harbarth als BVerfG-Präsident ersetzt. Doris König wurde neue Vizepräsidentin und damit auch Vorsitzende des Zweiten Senats. Den Richterposten von Voßkuhle nahm Astrid Wallrabenstein ein. Und dann schied im Vorjahr ja auch noch Johannes Masing aus. Er wurde durch Ines Härtel ersetzt.
Den großen Festakt statt der kleinen Feierstunde gab es aber aus Anlass des BVerfG-Präsidentenwechsels. Es kamen neben Bundespräsident Steinmeier (SPD) auch die geschäftsführende Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die neue Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) und der aktuelle Bundesratspräsident Bodo Ramelow (Linke) sowie mehr als 400 weitere Gäste. Man kann nur hoffen, dass das Aufeinandertreffen von so vielen Politiker:innen mit den Verfassungsrichter:innen nicht zu neuen Befangenheitsanträgen führt. Immerhin fiel wegen Corona der sich sonst anschließende Empfang aus. Es gab also kein eventuell komprommitierendes gemeinsames Schnittchen-Essen.
Beifall für EuGH-Präsident Lennaerts
Auch Koen Lennaerts, der Präsident des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), war der Einladung gefolgt. Das war nicht selbstverständlich, nachdem das BVerfG im Mai 2020 ein Urteil des EuGH zur Europäischen Zentralbank (EZB) für ultra vires, "methodisch nicht mehr nachvollziehbar" und in Deutschland unbeachtlich erklärt hatte. Und war es nicht auch etwas unsensibel, dass BVerfG-Vizepräsidentin Doris König in ihrer Willkommensrede zunächst den stellvertretenden Verfassungsgerichts-Präsidenten von Liechtenstein begrüßte und erst anschließend Koen Lennarts?
Andreas Voßkuhle versuchte, alles mit einer Charme-Offensive wettzumachen. "Lieber Koen", sagte er, "wir haben uns gegenseitig viel zugemutet in letzter Zeit. Dass Du heute trotzdem hier bist, ist für mich ein großes Zeichen für die Geschlossenheit des demokratischen Europas, der besonderen Verbundenheit unserer Gerichte und der Fähigkeit der Europäischen Union, Konflikte produktiv zu bewältigen." Nachdem Voßkuhle zu spontanem Beifall aufforderte, begann der ganze Theatersaal zu applaudieren. So schön kann der Europäische Verfassungsgerichte-Verbund sein.
Die Fahne neben dem Schlagzeug
Weil es ja ein nationaler Festakt war, musste auf der Bühne des Staatstheaters offensichtlich auch eine deutsche Fahne zu sehen sein. Die Regie hat die Fahne ganz unprätentiös zwischen Rednerpult und Schlagzeug platziert. Das Schlagzeug gehörte zu der Jazzformation triosence, deren Instrumente - Piano, Kontrabaß und Schlagzeug - malerisch auf der Bühne standen. Die Formation hatte Voßkuhle ausgewählt, weil sie "nachdenkliche Einkehr mit heiterer Zuversicht" verbinde. Sogar musikalisch mag Voßkuhle also das deutliche Sowohl-als-auch.
Der Freiburger Rechtsprofessor Andreas Voßkuhle war von 2010 bis 2020 Präsident des Gerichts. Bundespräsident Steinmeier würdigte Voßkuhles "Verbindung von fachlicher Brillanz und ausgeprägter sozialer Kompetenz". Zu Johannes Masing, der am Gericht für Meinungsfreiheit und Datenschutz zuständig war, sagte Steinmeier, er habe den "freiheitlich-liberalen Geist des Grundgesetzes" verkörpert.
Steinmeier zeigte sich besorgt, dass "andere Gerichte und Mitgliedstaaten" die EZB-Entscheidung des BVerfG "missbrauchen" können, um den Anwendungsvorrang des Unionsrechts in Frage zu stellen. Deutlicher wurde er aber nicht. Stattdessen lobte er das deutsche Verfahren zur Wahl der Verfassungsrichter:innen. Die Erfordernis einer Zwei-Drittel-Mehrheit sichere die Unabhängigkeit des Gerichts.
Der Bundespräsident hob auch hervor, dass nach der Wahl von Wallrabenstein und Härtel "erstmals Frauen die Mehrheit innerhalb eines deutschen Verfassungsorgans" haben. Derzeit gibt es neun Verfassungsrichterinnen und sieben Verfassungsrichter in Karlsruhe. Wallrabenstein und Härtel sind beide Rechtsprofessorinnen. Wallrabenstein war von den Grünen vorgeschlagen worden, als zweite grün-nominierte Richterin neben Susanne Baer. Härtel ist die erste Verfassungsrichterin mit ostdeutscher Biographie. Sie war von Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) durchgesetzt worden.
Einzigartiges Zwillingsgericht
In seiner Abschiedsrede präsentierte Voßkuhle zehn "Beobachtungen". So machte er darauf aufmerksam, dass das BVerfG mit seinen zwei Senaten das "einzige Zwillingsgericht der Welt" sei. Beide Senate seien das BVerfG, hätten aber ihr "Eigenleben". Er wolle daran auch gar nichts ändern, denn die Konstruktion bürge für Vielfalt.
Am komplexesten war die Ansprache von Johannes Masing, der den Wert von Verfassungsgerichtsbarkeit beschrieb. Wenn der Schutz der Verfassung auf spezialisierte Gerichte ausgelagert werde, könnten die Richter den Schutz der Verfassung "aktualisieren", und die Verfassung diene nur noch als "Quelle funktionaler Vernunft und inhaltlicher Gerechtigkeit".
Anders, als wenn die Verfassung von der Regierung konkretisiert wird, müssen Entscheidungen des Verfassungsgerichts nicht von politischen Mehrheiten getragen werden. Das sei aber "nicht undemokratisch", so Masing, zur Demokratie gehöre auch der Schutz gleicher unverfügbarer Rechte aller. Demokratie meine nicht "die Entfesselung eines Mehrheits-Wir auf der Welle öffentlicher Stimmungen", betonte Masing.
Singen verboten
Der seit einem Jahr amtierende BVerfG-Präsident Stephan Harbarth legte offen, dass das Gericht immer anstrebe, einstimmig zu entscheiden. Das sei seine "institutionelle Prägung". Dabei gehe es nicht um den kleinsten, sondern den "größtmöglichen gemeinsamen Nenner".
Wie es bei Präsidentenwechseln üblich sei, wurde zum Schluss die deutsche Nationalhymne gespielt. Das Streichquartett der Badischen Staatskapelle Karlsruhe kam so zu einem rund einminütigen Kurzeinsatz. Mitsingen war ausdrücklich verboten - damit beim Festakt nicht so viele Aerosole entstehen.
Präsidentenwechsel am BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 12.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46643 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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