Seit Monaten spült die EZB viel billiges Geld in den Euroraum. Im Rahmen dagegen gerichteter Verfassungsbeschwerden hat das BVerfG dem EuGH vorgelegt, der der EZB nun engere Grenzen setzen soll. Joachim Wieland bezweifelt, dass das klappt.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) steht dem Anleihenkaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) kritisch gegenüber, weil es eine verdeckte Staatsfinanzierung zu Lasten des deutschen Steuerzahlers befürchtet. Das geht aus mehreren am Dienstag veröffentlichten Beschlüssen hervor, mit denen die Karlsruher Richter dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorlegen (Beschl. v. 15.08.2017, Az. 2 BvR 859/15, 2 BvR 980/16 u. w.). Erst nach der Antwort der Luxemburger Kollegen wird das BVerfG über die Verfassungsbeschwerden entscheiden, die sich gegen die milliardenschwere Geldschwemme der EZB richten. Seit März 2015 kauft das europäische Geldinstitut Staatsanleihen und andere Wertpapiere in großem Stil, um die Wirtschaft im Euroraum anzukurbeln – aktuell für gut 60 Milliarden Euro im Monat.
Das Muster ist bekannt: Das BVerfG selbst kann der EZB keine Grenzen für ihr Handeln ziehen, weil diese allein den Vorgaben des Unionsrechts unterliegt. Die Unabhängigkeit der EZB reicht nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank nämlich sehr weit. Der EuGH hat diese Unabhängigkeit bislang auch nachdrücklich betont und nur äußerste Grenzen für das Handeln der Zentralbank aufgezeigt. Über seinen Vorlagebeschluss versucht das BVerfG nun zum zweiten Mal, den EuGH dazu zu bewegen, der EZB striktere Vorgaben zu machen. Zur Durchsetzung ihres Anliegens droht das BVerfG mehr oder weniger offen damit, sonst von einem rechtlich wirkungslosen Ultra-vires-Handeln der EZB auszugehen, an dem deutsche Organe wie die Bundesbank nicht mitwirken dürften. Beim ersten Versuch, dem OMT-Verfahren, war der Erfolg dieser Strategie überschaubar.
Es spricht wenig dafür, dass der zweite Versuch den EuGH zu einer durchschlagenden Änderung seiner Rechtsprechung bewegen wird, denn das Vorgehen der EZB ist (zu) erfolgreich: Der Euro ist stabilisiert und auch die südlichen Mitgliedstaaten der EU sind dank des konsequenten Handelns und billigen Geldes der EZB gegen Spekulationen weithin geschützt. Wenn das europäische Geldinstitut 2018 seine Anleihenkäufe wie zu erwarten zurückfahren wird, wird der EuGH noch weniger Anlass für ein hartes Eingreifen sehen.
Zu erwarten sind aus Luxemburg lediglich einige mahnende Worte, die das BVerfG dann in seinem Schlussurteil noch einmal verschärfen wird, ohne ein Ultra-vires-Handeln der EZB anzunehmen. Und da die Ankäufe der EZB bereits im März 2015 begonnen haben, kommt ein Schlussurteil des BVerfG 2018 zu spät, um gegen die Geldschwemme anzugehen. Es hat dann vor allem (nur noch) die Bedeutung, EuGH und EZB daran zu erinnern, dass das BVerfG ein Mitspracherecht in der rechtlichen Beurteilung des Handelns der EZB beansprucht.
Indirekte Kredite für die Mitgliedstaaten?
Das BVerfG stützt seine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Handelns der EZB zum einen auf das Verbot monetärer Staatsfinanzierung. Dieses Verbot an sich ist unbestritten, die EZB darf den Mitgliedstaaten der EU keine Kredite gewähren. Sie darf aber auf den Märkten Anleihen von Mitgliedstaaten aufkaufen, so wie es die Bundesbank ganz selbstverständlich auch mit deutschen Staatsanleihen gemacht hat. Die entscheidende Frage ist, wann ein solcher Ankauf in eine direkte Staatsfinanzierung umschlägt.
Diese Frage muss die EZB in ihrer Unabhängigkeit beantworten, auf diese Unabhängigkeit hat gerade Deutschland bei der Errichtung der EZB größten Wert gelegt. Sie macht es nun aber äußerst schwierig, das Handeln der EZB mit rechtlichen Mitteln zu steuern. Da die Anleihenkäufe zudem erfolgreich sind, dürfte der EuGH keinen Anlass sehen, die Unabhängigkeit der EZB einzuschränken. Zu erwarten ist vielmehr, dass die Luxemburger nur erneut das Verbots der monetären Staatsfinanzierung betonen - und dessen Umgehung durch die Aufkäufe durchgehen lassen.
EZB macht in gewisser Weise auch Politik
Wegen der immer wieder nachdrücklich betonten Unabhängigkeit der EZB wird sich der EuGH auch mit dem zweiten Argument des BVerfG schwer tun, dass die Anleihekäufe nicht vom Mandat der EZB gedeckt und unverhältnismäßig seien, weil sie erhebliche wirtschaftspolitische Auswirkungen hätten und nicht in ihren einzelnen Schritten begründet seien.
Es ist unbestreitbar, dass die währungspolitisch motivierten Anleihenkäufe auch erhebliche wirtschaftspolitische Auswirkungen haben. Das ist aber bei allen währungspolitischen Maßnahmen der EZB der Fall. Währungs- und Wirtschaftspolitik lassen sich zwar begrifflich trennen. In der Praxis einer Notenbank sind sie aber untrennbar miteinander verflochten. Anders als Verwaltungsakte sind Interventionen auf dem Anleihenmarkt zudem weder begründungsbedürftig noch einer Begründung zugänglich.
Zentralbanken können nicht pleitegehen
Letztlich nicht durchschlagen dürfte auch das zunächst durchaus einleuchtende Argument der Risikoteilung. Wenn die nationalen Zentralbanken wie die Bundesbank im Rahmen des Anleihenprogramms des europäischen Zentralbanksystems Anleihen aufkaufen, gehen sie zwangsläufig das Risiko der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerstaaten ein. Soweit die Bundesbank deutsche Anleihen kauft, dürfte das Risiko überschaubar sein. Bei den Anleihen manch anderer Länder ist das Risiko größer.
Ein Zahlungsausfall würde dabei die Bilanz der Bundesbank belasten. Das hätte aber nur zur Folge, dass Deutschland auf einige Zeit keine Gewinne der Bundesbank als Haushaltseinnahmen verbuchen könnte. Da die Zentralbanken Geld schöpfen können, können sie selbst nicht zahlungsunfähig werden. Faktisch würde also auch der deutsche Steuerzahler nicht zur Kasse gebeten werden. Deshalb dürfte sich der EuGH kaum von dem Argument des BVerfG überzeugen lassen, die Haushaltsautonomie Deutschlands drohe verfassungswidrig eingeschränkt zu werden.
Prof. Dr. Joachim Wieland lehrt Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.
Mit Material der dpa
Joachim Wieland, BVerfG ruft den EuGH an: . In: Legal Tribune Online, 15.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23957 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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