Erstmals seit langem hat das BVerfG über die Pflicht-Mitgliedschaft und die Beitragspflicht in der IHK entschieden. Es hält sie weiter für verfassungsgemäß, betont aber den Schutz von Minderheiten. Und Unterschiede zu den Anwaltskammern.
Zuletzt entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 19. Dezember 1962 über "die Pflichtzugehörigkeit zu den IHK nach dem IHKG" (Az. 1 BvR 541/57). Es sollte eine historische Entscheidung werden, denn danach hagelte es über ein halbes Jahrhundert Nicht-Annahme-Beschlüsse für alle weiteren Verfassungsbeschwerden zu diesem Thema.
Erst 2014 nahm das höchste deutsche Gericht zwei Verfassungsbeschwerden in der Sache zur Entscheidung an. Wie am Mittwoch bekannt wurde, wurden aber auch diese beiden Verfassungsbeschwerden von zwei Kammermitgliedern zurückgewiesen. Mit seiner aktuellen Entscheidung bekräftigt der Erste Senat im Wesentlichen, was er in seiner damaligen Zusammensetzung bereits entschieden hatte.
Die an die Pflichtmitgliedschaft in Industrie- und Handelskammern (IHK) gebundene Beitragspflicht ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG, Beschl. v. 12.07.2017, Az. 1 BvR 2222/12 u. 1 BvR 1106/13). Nach Einschätzung eines Experten liefern die Verfassungsrichter aber in ihrer Begründung juristisch wie auch rechtspolitisch Bedeutsames. Und machen deutlich, dass ein klägerisches Anliegen trotz dieses Ergebnisses berechtigt ist: der Schutz von Minderheiten und der sorgsame Umgang mit der Pluralität der Interessen der Kammermitglieder.
Die Kritik: Pflichtmitglied verletzt Grundrechte
Die Kammern sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert, an die die Kammermitglieder Beiträge zahlen müssen. Pflichtmitglied ist, wer im Bezirk der jeweils regional zuständigen Industrie- und Handelskammer einen Gewerbebetrieb betreibt. Schon seit seiner Einführung im Jahr 1956 stehen das IHKG und damit die Kammern und speziell der Pflichtbeitrag in der Kritik.
Unfreiwillige Mitglieder argumentieren häufig, für ihren Beitrag keine Gegenleistung zu erhalten: Ein Gesamtinteresse der regionalen Branche, das man bündeln könnte, gebe es gar nicht, dafür seien die Betriebe vom Kleinst- bis zum Großunternehmer zu unterschiedlich. Und auch die für die Berufsausübung wichtigen Aufgaben, wie etwa die Abnahme von Prüfungen oder Erstellung von Bescheinigungen, könnten ebenso gut andere Ämter oder Behörden erfüllen.
So auch die beiden Beschwerdeführer - Kammermitglieder, die ihren Beitrag leisten sollten -, die mit ihren Verfassungsbeschwerden die Bestimmungen des Gesetzes über die Industrie- und Handelskammer (IHKG) zur Pflichtmitgliedschaft angriffen. Diese verletzten sie in ihren Rechten aus Art. 9 Abs. 1 Grundgesetz (GG), jedenfalls aber aus Art. 2 Abs. 1 GG.
BVerfG: Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit gerechtfertigt
Das BVerfG aber legte als Prüfungsmaßstab für den Schutz vor Pflichtmitgliedschaften in "unnötigen" Körperschaften nur das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG an. Die Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG ziele auf freiwillige Zusammenschlüsse zu frei gewählten Zwecken ab, zu denen die gesetzliche Eingliederung in eine öffentlich-rechtliche Körperschaft eben nicht zähle.
Sowohl die Beitragserhebung als auch die Pflichtmitgliedschaft stellen für das Gericht zwar Eingriffe in die nach Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit dar. Bereits die Pflichtmitgliedschaft als solche sei schon nicht lediglich rechtlich vorteilhaft oder zumindest eingriffsneutral, so der Senat.
Marcel Schneider und Pia Lorenz, BVerfG bestätigt IHK-Zwangsmitgliedschaft: . In: Legal Tribune Online, 02.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23761 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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