Ärzte und Organisationen, die Hilfe zum Suizid leisten, können sich heute strafbar machen. Nicht nur sie, sondern auch die Sterbewilligen wehren sich dagegen. Am Dienstag verhandelte das BVerfG.
Wer fällt die letzte Entscheidung darüber, wann und wie das Leben eines Menschen endet? Diese existenzielle Frage, seit Jahrhunderten von Philosophen, Ethikern, Klerikern, Medizinern und Juristen diskutiert, hat es nun auf die höchste Ebene der bundesdeutschen Gerichtsbarkeit geschafft.
Am Dienstag verhandelte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am ersten von zwei Tagen zur Strafnorm des § 217 Strafgesetzbuch (StGB), welche die geschäftsmäßige Förderung der Suizidbeihilfe unter Strafe stellt. Ein nicht nur juristisch umstrittenes Thema, sondern auch ein ethisch hoch brisantes Feld. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle erklärte zwar zu Beginn der Verhandlung, es gehe hier nur um die Verfassungsmäßigkeit einer Strafnorm, nicht um die moralische Bewertung des Suizids. Dahinter aber, daran ließ anschließend keiner der Verhandlungsbeteiligten einen Zweifel, steht eine größere, existenzielle Frage.
Es ist das erste Mal, dass sich das BVerfG mit verfassungsrechtlichen Fragen im Kontext von Suizid auseinandersetzt. Die eigentlichen Betroffenen sind dabei nicht etwa die Ärzte und Sterbehilfe-Organisationen, deren Tätigkeit mit § 217 pönalisiert wird, sondern diejenigen, die deren Leistung auf dem Weg zum Lebensende in Anspruch nehmen wollen. Das zeigt auch die Liste der Beteiligten, auf der sich mehrere Betroffene finden. Sie streiten für ihr Recht auf Suizid.
Suizidwillige im Mittelpunkt
So standen im Mittelpunkt dieses Verhandlungstages nicht die vordergründig Betroffenen, sondern eine ganz andere Gruppe. Diejenigen, die aus verschiedenen Gründen, aber oft aufgrund schwerer Krankheit, ihrem Leben selbstbestimmt ein Ende setzen wollen.
Zwei der Beschwerdeführer kamen selbst zu Wort. Einer von ihnen nicht mehr persönlich. Dr. Uwe-Christian Arnold hat am vergangenen Freitag sein Leben beendet. Arnold war selbst Arzt und einer der wenigen Berufsträger, der den Verein Sterbehilfe Deutschland e.V., der ebenfalls in Karlsruhe zu den Antragstellern gehört, unterstützt hat. Rechtsanwalt Prof. Robert Roßbruch verlas das Statement des Verstorbenen. Er selbst habe sich aufgrund seiner Möglichkeiten als Mediziner in einer privilegierten Lage befunden, so Arnold in seinem letzten Statement. Doch der Gesetzgeber sei sich bei der Vorschrift des § 217 offenbar nicht bewusst gewesen, "welche Verzweiflung er auslösen würde" bei denjenigen, die nicht wüssten, an wen sie sich in ihrer Notlage wenden könnten.
Eben diese Notlage wurden in Karlsruhe viel diskutiert. Denn § 217 verbietet mit der "geschäftsmäßigen" Suizidassistenz weitgehend die professionelle Unterstützung beim Freitod. Die Vorschrift erfasst nicht nur die gewerbsmäßige Sterbebegleitung, sondern nach dem Willen des Gesetzgebers schon diejenige, die auf Wiederholung angelegt ist – auch Ärzte sehen sich seit Inkrafttreten der Vorschrift daran gehindert, Patienten beim Freitod zu begleiten. Die Argumentation der Antragsteller: Wer Selbsttötungsgedanken hege, kann sich nicht mehr an Profis wenden, sondern werde auf nicht-professionelle Hilfe aus dem Familien- oder Bekanntenkreis verwiesen.
Sorge vor suizidfreundlichem Klima
Hintergrund der 2015 geschaffenen Norm war der Gedanke des Gesetzgebers, die Tätigkeit kommerzieller Suizidassistenzanbieter könnte ein gesellschaftliches Klima schaffen, in dem der Suizid normalisiert werde. Kranke, alte Menschen, die sich dazu gedrängt fühlen, sich das Leben zu nehmen, um ihren Angehörigen nicht zur Last zu fallen, waren das leitende Schreckensbild hinter der Norm.
Die Bundestagsabgeordneten Kersting Griese (SPD) und Michael Brand (CDU) verteidigten die Vorschrift, die mit viel Aufwand und ohne Fraktionszwang Ende 2015 verabschiedet worden sei. Der Wunsch nach dem Suizid sei oft ambivalent, "nicht der Ruf nach dem Tod, sondern der Ruf nach Hilfe", so Griese. Sie verwies auf die zeitgleich eingebrachten Gesetzesvorschläge zur Verbesserung der Palliativmedizin: "Kümmern und begleiten statt vermeintlich einfache Lösungen anzubieten". Sterbehilfe in schwierigen Fällen habe man gerade nicht kriminalisieren wollen.
Der Vertreter der Bundesregierung, Prof. Dr. Steffen Augsberg, sprach von Desinformationskampagnen, die vor allem im Jahr 2014 stattgefunden hätten. Er erklärte, es gehe nicht um den Schutz vor sich selbst. Durch § 217 StGB werde auch niemand auf sog. Brutalmethoden beim Suizid beschränkt. Es gehe bei der Norm vielmehr darum, suizidgeneigte Menschen vor der Einflussnahme Dritter zu schützen, die ein ganz eigenes Interesse an ihrem Tod haben könnten.
Detaillierte Nachfragen an Sachverständige
Tatsächlich fragten die Verfassungsrichter detailliert nach, wie die Sterbehilfe-Organisationen bis zum Inkrafttreten der Norm mit Sterbewilligen umgegangen waren. Der ehemalige Hamburger Justizsenator Dr. Robert Kusch beteuerte, es sei beim deutschen Ableger der Schweizer Organisation Exit zu keinem Zeitpunkt um Geld gegangen. Auf den Vorwurf, wer mehr zahle, habe schneller sterben dürfen, entgegnete er, man habe nach dem Vorbild aus der Schweiz durch eine längere Mitgliedschaft Anreize bieten und den Beruhigungseffekt ausnutzen wollen, den die Vereinsmitgliedschaft biete.
Gleich mehrfach fragte der Zweite Senat, am Dienstag besetzt mit Prof. Johannes Masing aus dem Ersten Senat statt mit Peter Müller, der sich selbst für befangen erklärt hatte, nach der Qualifikation der Ärzte und dem Prozess, bis jemand begleitet sterben durfte. Berichterstatterin Dr. Sybille Kessal-Wulff fragte gar, ob man einen Facharzt für Sterbebegleitung brauche. Aber die Organisatoren räumten ein, froh gewesen zu sein, überhaupt Ärzte gefunden zu haben, die bereit waren, die Rezepte mit dem tödlichen Medikament auszustellen. Um Psychiater oder sonstige spezialisierte Ärzte habe es sich nicht gehandelt.
Die ausführliche Befragung von Sachverständigen am Nachmittag zeigte vor allem, dass es wenig Belegbares gibt über Menschen, die suizidwillig sind. Die jüngste repräsentative Studie stammt offenbar aus den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, eine von den Verfassungsrichter gleich mehrfach hinterfragte Zahl waren 90 Prozent: 90 Prozent der Suizide stünden im Kontext psychischer Erkankungen, so die befragten Experten unter Bezugnahme auf diese Studie. Richter Prof. Johannes Masing fragte kritisch nach, ob der Suizid nicht nur Ausdruck einer psychischen Erkrankung sein könnte, sondern auch "eine Möglichkeit, damit umzugehen", also dennoch eine freiverantwortliche Entscheidung.
Der Senatsvorsitzende Prof. Dr. Andreas Voßkuhle ließ Verständnis erkennen für die Beweggründe, die die Betroffenen vorgetragen hatten. Zudem zeigte er sich bei der Vernehmung des sachverständigen Psychiaters Prof. Manfred Wolfersdorf offen für die Idee, dass Suizidassistenz auch Suizidprävention bedeuten könnte. Vielleicht sprächen solche Menschen aber lieber mit jemandem, der wenigstens offen für die Option des Suizids sei, anstatt mit jemandem, bei dem "es nur in eine Richtung geht", fragte Voßkuhle nach.
Das Alter spielt demnach eine große Rolle, bei älteren Menschen finden mehr Suizide statt, weil ihre Möglichkeiten eingeschränkt werden. Auch seien Suizidwünsche oft nur temporär und durchgeführte Versuche würden nicht wiederholt. Einsamkeit, psychische Probleme und auch der sozioökonomische Status scheinen relevant zu sein, sehr häufig fiel der Begriff der Oberschicht, deren Angehörige häufig selbstbestimmt sterben wollten. Doch warum genau Menschen sterben möchten, das hat die Wissenschaft bis heute nicht für alle Fälle ergründen können.
Antragsteller: Notausgang Suizid als Menschenrecht
Das Argument des "Notausgangs" widerlegten sie nicht. Die Antragsteller argumentieren auch mit der Sicherheit, fast schon wie eine Versicherung, die das Wissen biete, notfalls selbstbestimmt aus dem Leben scheiden zu können. Dr. Horst Lanz, selbst seit Jahren schwer krebskrank, erzählte ebenso kurz wie anschaulich, wie viel Kraft ihm dieses Wissen gegeben habe in den schwierigsten Zeiten der Krankheit in den vergangenen Jahren.
Prof. Dr. Reinhard Lindner, Psychiater, Neurologe und psychosomatischer Mediziner, hält das für gut möglich. Für ebenso gefährlich wie andere sachverständige Auskunftspersonen erklärte er aber die gleichzeitige leichtere Verfügbarkeit von Suizidmöglichkeiten. Statistiken aus anderen Staaten zeigten, dass die Selbstmordraten dann stiegen.
Für Patientenrechtler Wolfgang Putz, der vor dem BVerfG den Arzt Martin de Ridder vertritt, der selbst schon Hilfe zum Suizid geleistet hat, ist "Selbsttötung ein Grundrecht". Der Münchener Rechtsanwalt Prof. Dr. Christoph Knauer, Bevollmächtigter zweier Beschwerdeführer, die sich in ihrem Recht auf Suizid verletzt sehen, bezeichnete das Recht von Sterbewilligen, ihren Wunsch umsetzen zu können, als "Kern" des Persönlichkeitsrechts, gegenüber dem andere darunter verhandelte Themen "verblassten". Am Mittwoch wird der Zweite Senat die Subsumtionsarbeit aufnehmen.
BVerfG verhandelt zu § 217 StGB: . In: Legal Tribune Online, 16.04.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34955 (abgerufen am: 05.11.2024 )
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