Die AfD ist mit einem Organstreitverfahren gegen die Bundesregierung wegen der seit 2015 betriebenen Flüchtlingspolitik gescheitert. Das BVerfG wies die Anträge ab, da sie nicht geeignet seien, um Regierungshandeln zu beanstanden.
Es wäre der Partei ein riesiger Triumph gewesen, hätte dieses Vorhaben Erfolg gehabt: Die AfD wollte mit gleich drei Anträgen vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) klären lassen, dass die Entscheidung der Bundesregierung, die Flüchtlinge, die ab 2015 in großer Zahl über die Balkanroute nach Deutschland kamen, nicht zurückzuweisen, rechtswidrig war.
Die obersten Richter Deutschlands wiesen jedoch alle Anträge ab mit der Begründung, dass das von der AfD-Bundestagsfraktion angestrengte Organstreitverfahren schon das falsche Mittel sei (Beschl. v. 11.12.2018, Az. 2 BvE 1/18). Die Partei hatte darauf abgezielt, vom BVerfG eine "Herrschaft des Unrechts" feststellen zu lassen, wie ihr Justiziar Stephan Brandner bei der Vorstellung der Klage im Mai in Berlin gesagt hatte. "Diese Klage kann die Welt verändern", sagte er damals. "Und sie wird die Welt verändern, wenn sie erfolgreich ist."
Genaugenommen wollte die AfD feststellen lassen, dass die Bundesregierung durch die "Duldung der Migration" von Asylbewerbern, für deren Aufnahme Deutschland etwa aufgrund der Einreise aus einem sicheren Drittstaat eigentlich nicht zuständig sei, die Beteiligungsrechte des Bundestages sowie den Gewaltenteilungsgrundsatz und den Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes verletzt habe.
Darüber hinaus begehrte man die Feststellung, dass für die Duldung dieser Migrationsströme ein sogenanntes "Migrationsverantwortungsgesetz" durch den Bundestag hätte erlassen werden müssen, um das Regierungshandeln demokratisch zu legitimieren. Mit dem dritten Antrag sollte schließlich festgestellt werden, dass bestimmte Gruppen von Asylbewerbern - zum Beispiel solche, die aus einem sicheren Drittstaat einreisen oder über keine gültigen Papiere verfügen - an der Grenze zurückzuweisen (gewesen) seien.
BVerfG: Organstreitverfahren sind für etwas anderes gedacht
Alle drei Anträge wurden vom zweiten Senat in Karlsruhe nun allesamt als unzulässig zurückgewiesen. Grund dafür war in erster Linie, dass sich die AfD mit ihrer Ablehnung gegenüber der Aufnahme von Flüchtlingen offenbar selbst sabotiert hatte. Denn während sie zwar ein Parlamentsgesetz für die Flüchtlingsaufnahme forderte, stellte sie im selben Atemzug klar, dass man selbst "am allerwenigsten bereit" sei, an einem solchen mitzuwirken.
Einerseits die Verletzung der Parlamentsrechte zu rügen, sich andererseits aber an einem parlamentarischen Unterfangen gar nicht beteiligen zu wollen, passt nicht zusammen, befanden die Verfassungsrichter. Damit gehe es der AfD nämlich nicht um die Durchsetzung eigener parlamentarischer Beteiligungsrechte, sondern darum, die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung zu unterbinden. Bei einem Organstreitverfahren gehe es aber eben um die gegenseitige Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen, nicht um objektive Beanstandung. Daher könne auch nicht das Handeln der Bundesregierung oder die Verletzung von Verfassungsrecht objektiv gerügt werden.
Mit dem weiteren Antrag, festzustellen, dass die Einreise bestimmter Ausländer nur aufgrund eines parlamentarischen Gesetzes zulässig wäre, behaupte man dann schon nicht einmal mehr eine Verletzung eigener Rechte, so der Senat. Dieser Antrag ziele damit genauso wie der erste auf eine objektive Rechtmäßigkeitskontrolle, für die das Organstreitverfahren nicht gedacht sei.
Der Antrag auf die Feststellung, dass bestimmte Asylbewerber "an den Grenzen zurückzuweisen" seien, erwies sich nach Auffassung des BVerfG ebenfalls als völlig ungeeignet. Er ziele auf den Ausspruch einer Verpflichtung und damit auf keine zulässige Rechtsfolge dieses Verfahrens, stellten die Karlsruher Richter knapp fest.
Staatsrechtler: BVerfG ohnehin die falsche Adresse
Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz, der Verfassungsrecht an der Universität Bonn lehrt, hat die Lösung der Verfassungsrichter, das Begehren der AfD als unzulässig abzuweisen, nicht überrascht: "Es ist völlig richtig, dass das Grundgesetz keinen allgemeinen Verfassungsvollzugsanspruch als Organrecht kennt", so Gärditz gegenüber LTO. Zwar sei die Regierung über Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) an das geltende Recht gebunden. Dem korrespondiere aber kein Anspruch einzelner Personen oder Organe, dass das geltende Recht beachtet werde.
Hat die AfD also nur einfach den falschen Rechtsbehelf gewählt und wäre sie mittels eines anderen womöglich erfolgreich gewesen? Gärditz hält das für ausgeschlossen: "Ich sehe keinen anderen Rechtsbehelf, der geeignet wäre, um die Rechtmäßigkeit nicht parlamentsbezogenen Regierungshandelns zu kontrollieren. Eine Normenkontrolle nach Art. 93 I Nr. 2 GG, die die AfD-Fraktion aufgrund der Quorums ohnehin nicht allein beantragen könnte, scheidet aus. Denn es geht ja nicht um die Verfassungskonformität einer Rechtsnorm, sondern um die rechtmäßige Anwendung geltenden Rechts durch die Exekutive."
Im Übrigen sei das BVerfG auch die falsche Adresse, um sich inhaltlich gegen die Flüchtlingspolitik zu wehren, wie Gärditz sagt. Schließlich seien die entscheidenden Rechtsfragen in diesem Kontext ohnehin durch die Dublin-III-Verordnung unionsrechtlich bestimmt, sodass eine Kontrolle anhand der deutschen Verfassung wenig Sinn ergebe.
Die AfD-Fraktion teilte in einer ersten Reaktion mit, entscheidend sei gewesen, dass die AfD 2015 nicht im Bundestag war, sonst hätte man ganz andere Möglichkeiten gehabt. "Wir sind bei Einreichung der Klageschrift davon ausgegangen, dass sich das BVerfG in der Sache mit unseren sehr guten Argumenten inhaltlich auseinandersetzt und eine mündliche Verhandlung durchführt. Denn dann wäre es wohl zu einem anderen Ergebnis gelangt", so Justiziar Brandner.
Mit Materialien von dpa
BVerfG verwirft AfD-Anträge gegen Flüchtlingspolitik: . In: Legal Tribune Online, 18.12.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32791 (abgerufen am: 24.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag