Die AfD sieht erneut ihre Chancengleichheit verletzt. Diesmal geht es um eine Äußerung der Kanzlerin während der Thüringen-Krise im Februar letzten Jahres. Christian Rath berichtet über die Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts.
Wieder einmal verhandelte der Zweite Senat über eine Organklage der AfD. Zwar gibt es seit Ausbruch der Corona-Pandemie kaum noch mündliche Verhandlungen am Bundesverfassungsgericht; nicht einmal die spektakuläre Klima-Entscheidung wurde mündlich verhandelt. Dagegen hat das Gericht nun schon zum zweiten Mal über eine Organklage der AfD öffentlich disputiert. Voriges Jahr ging es um ein parteipolitisches Interview, das Innenminister Horst seehofer (CSU) auf der Homepage des Ministeriums veröffentlichte. Jetzt griff die AfD eine innenpolitische Äußerung von Kanzlerin Angela Merkel bei einem Staatsbesuch in Südafrika an.
Allerdings können die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter bei Organklagen nicht frei entscheiden, ob eine mündliche Verhandlung angemessen und notwendig ist. Wenn die Streitparteien nicht verzichten, muss öffentlich verhandelt werden, so § 25 Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Und die AfD bestand auf einem öffentlichen Termin. Den Zeitpunkt für die Verhandlung legt allerdings das Gericht fest. Viele andere wichtige Klagen müssen in Karlsruhe fünf bis zehn Jahre bis zur Entscheidung warten.
Die Thüringen-Krise
Das aktuelle AfD-Verfahren betrifft die Thüringen-Krise im Februar 2020. Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich war damals mit den Stimmen von CDU, AfD und FDP zum Thüringer Ministerpräsidenten gewählt worden. Dass CDU und FDP gemeinsame Sache mit der AfD machen, galt als Skandal und führte zu heftigen Protesten. Nach zwei Tagen trat Kemmerich zurück. Derzeit regiert in Thüringen der Linke Bodo Ramelow mit einer Minderheitsregierung.
Am Tag nach Kemmerichs Wahl absolvierte Kanzlerin Dr. Angela Merkel einen Staatsbesuch in Südafrika. Um Pressefragen zuvorzukommen, machte sie zu Beginn der offiziellen Abschluss-Pressekonferenz in der Hauptstadt Pretoria folgende umstrittene Vorbemerkung: "Die Wahl dieses Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung für die CDU und auch für mich gebrochen hat, dass nämlich keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen. Da dies in der Konstellation, in der im dritten Wahlgang gewählt wurde, absehbar war, muss man sagen, dass dieser Vorgang unverzeihlich ist und deshalb das Ergebnis rückgängig gemacht werden muss. Zumindest gilt für die CDU, dass sich die CDU nicht an einer Regierung unter dem gewählten Ministerpräsidenten beteiligen darf. Es war ein schlechter Tag für die Demokratie."
Gegen diese Aussagen erhob die Afd Organklage. Merkel habe ihre Amtsautorität für parteipolitische Äußerungen missbraucht und dabei die Chancengleichheit der AfD verletzt. Sie habe außerdem rechtswidrig staatliche Ressourcen eingesetzt, indem die Äußerung auf den Webseiten der Kanzlerin und der Bundesregierung dokumentiert wurden.
Parteipolitikerin oder Kanzlerin?
In der mündlichen Verhandlung argumentierte Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz, der die Kanzlerin und die Regierung vertrat, Merkel habe damals überwiegend als Parteipolitikerin gesprochen. "Das war vor allem ein Appell an ihre eigene Partei, ihren Werten treu zu bleiben", so Gärditz. Für die AfD erwiderte Rechtsanwalt Dr. Christian Conrad (von der Kölner Kanzlei Höcker), Merkel könne bei Staatsbesuchen im Ausland gar nicht als Parteipolitikerin auftreten. "Im Ausland kann sie nicht einfach switchen, wie im Inland", so Conrad.
Verfassungsrichter Peter Müller berichtete aus seinem früheren Leben als saarländischer Ministerpräsident und CDU-Vorstandsmitglied: "Nach außen hat fast nur die Vorsitzende oder der Generalsekretär für die CDU gesprochen", er fand es sehr ungewöhnlich, dass Merkel als einfaches CDU-Vorstandsmitglied in einer derart wichtigen Frage für die CDU gesprochen haben soll.
Gärditz räumte ein, dass es ein Problem mit dem Empfängerhorizont gegeben habe. "In der Presse wurde ihre Äußerung fast ausschließlich als Intervention der Kanzlerin wahrgenommen". Tatsächlich hatte Merkel in Pretoria ja nicht einmal selbst behauptet, dass sie die Vorbemerkung als CDU-Politikerin mache.
Eingriff in Rechte der AfD?
Gärditz hatte deshalb weitere Verteidigungslinien. Selbst wenn Merkels Äußerungen dem Amt der Kanzlerin zugerechnet werden, habe sie damit nicht in Rechte der AfD eingegriffen. "Die Landtagswahlen waren gerade gelaufen, wie soll sie da Wähler beeinflussen?" Außerdem habe sie nur Selbstverständliches mitgeteilt: dass die CDU und auch sonst niemand mit der AfD koalieren wolle.
AfD-Anwalt Conrad widersprach vehement: "Wenn die Kanzerin eine Anweisung von oben gibt, dann wirkt das bei den Wählern", "Es habe sich um einen 'amtlichen Boykottaufruf' gegen die AfD gehandelt. Die Kanzlerin habe sogar dazu aufgefordert, eine demokratische Wahl rückgängig zu machen. "Ich kann mir keinen schwereren Angriff vorstellen", betonte Conrad.
War Merkels Äußerung gerechtfertigt?
Hilfsweise sah Regierungsvertreter Gärditz die Äußerungen Merkels auch gerechtfertigt. Als Kanzlerin gehöre es zu ihren Aufgabe die Bundesregierung zu stabililsieren. Dazu dienten ihre Äußerungen in Pretoria. Schließlich hatte der Regierungspartner SPD nach der Wahl Kemmerichs Zweifel geäußert, ob die Union noch die gemeinsamen Grundwerte vertrete. Solche Zweifel habe Merkel mit ihrer Intervention sofort zerstreuen wollen.
Auch das Ansehen Deutschlands in der Welt habe Merkel verteidigen müssen. Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) zitierte internationale Zeitungsschlagzeilen, die nach der Kemmerich-Wahl von einem "Erdbeben", einem "Dammbruch" oder einem gebrochenen "Tabu" sprachen. Die Verfassungsrichter zeigten sich interessiert, forderten die Bundesregierung aber auf, die internationalen Turbulenzen besser zu belegen, auf die Merkel reagiert habe. Bisher habe die Bundesregierung nur auf Artikel verwiesen, die nach der Pressekonferenz der Kanzlerin erschienen.
Ausgang offen
Die Veröffentlichung von Merkels Äußerungen auf Regierungswebseiten, war in der Karlsruher Verhandlung erstaunlicherweise kein Thema. Dabei hatte Karlsruhe im Fall Seehofer voriges Jahr nur wegen der Nutzung der Ministeriumswebseite gegen die Regierung entschieden. In ihren Schriftsätzen hatte die Bundesregierung diesmal argumentiert, es sei guter Brauch, dass von Pressekonfenzen im Ausland "Gesamt-Dokumentationen" erstellt werden, die auch Äußerungen von Merkel als Parteipolitikerin beinhalten können.
Die Entscheidung des Zweiten Senats wird in einigen Wochen oder Monaten verkündet. Wie das Verfahren ausgeht, zeichnete sich nicht ab.
Keine Befangenheit
Zu Beginn der Verhandlung verkündete die Senatsvorsitzende Doris König, dass ein Befangenheitsantrag der AfD gegen die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats abgelehnt wurde. Die AfD hatte moniert, dass die Senatsmitglieder kurz vor der Verhandlung von der Bundesregierung zu einem routinemäßigen Abendessen eingeladen worden waren.
Der Zweite Senat lehnte den Antrag als "unzulässig" ab, weil die vorgebrachte Begründung "gänzlich ungeeignet" sei, die Besorgnis der Befangenheit auszulösen. Ein "Dialog der Staatsorgane" sei nicht verboten, solange nicht über konkrete Verfahren gesprochen wird.
Praktischer Nebeneffekt: Über einen "unzulässigen" Antrag konnte der Zweite Senat selbst entscheiden. Das war wichtig, denn die sonst zuständigen Richter des Ersten Senats waren ebenfalls beim Abendessen mit der Bundesregierung.
BVerfG verhandelte über AfD-Klage: . In: Legal Tribune Online, 21.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45537 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag