Bundesforschungsministerin Wanka hat die AfD mit ihrer "roten Karte" in ihrer Chancengleichheit als Partei verletzt. Damit präzisiert das BVerfG seine Rechtsprechung – aber sehr realitätsnah ist das nicht, kommentiert Sebastian Roßner.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat erneut in einem Streit entschieden, in dem es darum ging, ob ein politischer Amtsträger in scharfer Form Kritik an der politischen Konkurrenz üben durfte. Was war diesmal geschehen?
Die Alternative für Deutschland (AfD) meldete für den 7. November 2015 in Berlin eine Versammlung an unter dem Motto: "Rote Karte für Merkel! - Asyl braucht Grenzen!". Bundesbildungs- und forschungsministerin Johanna Wanka reagierte, indem sie am 4. November folgendes Statement auf der Internetseite des Ministeriums veröffentlichte:
"Rote Karte für die AfD
Johanna Wanka zur geplanten Demonstration der AfD in Berlin am 07.11.2015
'Die Rote Karte sollte der AfD und nicht der Bundeskanzlerin gezeigt werden. Björn Höcke und andere Sprecher der Partei leisten der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub. Rechtsextreme, die offen Volksverhetzung betreiben wie der Pegida-Chef Bachmann, erhalten damit unerträgliche Unterstützung'."
Am Tag der geplanten AfD-Versammlung, also am 7. November 2015, verpflichtete das BVerfG die Ministerin im Wege einer einstweiligen Anordnung, die Pressemitteilung von der Internetseite des Ministeriums zu löschen (2 BvQ 39/15).
Die Pflicht des Staates zur Neutralität
Die für die Ministerin negative Entscheidung in der Hauptsache kam daher nicht überraschend, zumal sie sich bruchlos in die bisherige Rechtsprechung einfügt. Als wesentliche Bedingung einer funktionierenden Demokratie hebt das Gericht stets, so auch hier, die Chancengleichheit der politischen Parteien im politischen Wettbewerb nach Art. 21 Abs. 1 Grundgesetz (GG) hervor.
Daraus resultiere, so die Karlsruher Richter, eine Pflicht zur Neutralität der Staatsorgane, die nicht zugunsten oder zulasten einer Partei in den politischen Wettbewerb eingreifen dürfen, sondern sich auf eine sachliche Form der Darstellung ihrer eigenen Tätigkeit zu beschränken haben.
Angesichts der materiellen Ressourcen des Staatsapparats, der Autorität des Amtes und des leichten Zugangs vor allem von Regierungsstellen zu den Medien ist das eine einleuchtende Grundüberlegung des Gerichts. Daran schließen sich zwei Fragen an: War die fragliche Äußerung unsachlich und daher geeignet, das Neutralitätsgebot zu verletzen? Und: Handelt es sich um eine amtliche, dem Staat zurechenbare und nicht etwa um eine nur private oder als Parteifunktionär getätigte Äußerung?
Die Antwort auf die erste Frage bringt das Gericht auf die griffige Formel, es bestehe für Staatsorgane kein "Recht auf Gegenschlag". Auch auf polemische Angriffe dürfen Staatsorgane also zwar entschieden, aber nicht in unsachlichem Ton antworten. Vor allem aber dürfen staatliche Stellen nicht einseitig zu Lasten einer Partei in den Meinungskampf eingreifen. Beides hat Ministerin Wanka nach den Feststellungen des Gerichts hier aber getan, nämlich durch die in der Pressemitteilung verwendeten polemischen Formulierungen und den indirekten, aber klar erkennbaren Aufruf, der Versammlung der AfD fernzubleiben.
Die zweite Frage, ob die Pressemitteilung regierungsamtlich oder privat erfolgte, war im Fall der "Roten Karte" relativ einfach zu beantworten. Wanka hat die mit Dienstwappen versehene Homepage des von ihr geführten Ministeriums als Plattform benutzt, also sowohl auf die materiellen Ressourcen ihres Amtes als auch auf die mit dem Amt verbundene besondere Autorität zurückgegriffen.
BVerfG präzisiert: Regierungsamt heißt strikt neutral
Das Urteil präzisiert weiter, in welcher Form Staatsorgane, insbesondere Regierungsmitglieder, in den politischen Wettbewerb eingreifen dürfen. Dies ist zu begrüßen.
Die vom Gericht entwickelte Dogmatik hat allerdings eigene Tücken. Sie läuft auf ein Alles oder Nichts als Rechtsfolge hinaus: Für regierungsamtliche Äußerungen verlangt das Verfassungsgericht eine ziemlich strikte Neutralität im politischen Meinungskampf. Dagegen sind lediglich parteipolitische Äußerungen viel freier und dürfen jedenfalls bis an die Grenze der Schmähkritik gehen, wo die Zone der eventuell nach § 185 Strafgesetzbuch strafbaren Äußerungen beginnt.
Anders als im eindeutigen Fall von Wankas Pressemitteilung auf der Webseite des Ministeriums sind die Bereiche von amtlicher und parteipolitischer Äußerung aber in einer parlamentarischen Demokratie oft schwer zu unterscheiden. Wer ein Regierungsamt innehat, spielt meist eine Doppelrolle als Minister und als Parteipolitiker. Äußerungen von Ministern in Interviews oder Talkshows haben das Gericht in vergangenen Urteilen daher zu sehr feinsinnigen Überlegungen genötigt, die darauf hinauslaufen, es komme darauf an, "ob der Inhaber eines Regierungsamtes seine Aussagen in spezifischer Weise mit der Autorität des Regierungsamtes unterlegt." (BVerfG, Urt. v. 16.12.2014 in Sachen Manuela Schwesig, Az. 2 BvE 2/14, Rn. 60). Auch erfahrene Politiker könnten Schwierigkeiten haben, diese Formel während einer Diskussionsrunde anzuwenden.
Wie es vielleicht besser ginge – und realitätsnäher
Die scharfe Unterscheidung zwischen amtlicher und nichtamtlicher Äußerung widerspricht auch der Weise, in der Regierungsmitglieder in den Medien dargestellt werden (stets werden Amt und Parteizugehörigkeit im Fernsehbild eingeblendet). Sie widerspricht der Logik, nach der Politiker handeln und sie widerspricht vor allem der Art, in der Ministerauftritte in Interviews oder Talkshows öffentlich wahrgenommen werden.
Ist also nicht – wie im Fall Wanka – eindeutig erkennbar, dass es sich um eine amtliche Äußerung handelt, und findet die Äußerung auch nicht, wie etwa bei einer Parteitagsrede, in einem eindeutig nichtamtlichen Kontext statt, sondern vielmehr in der Grauzone der politischen Kommunikation zwischen Amt und Partei, könnte das Gericht seine Dogmatik ergänzen. So könnte es einen großzügigeren Maßstab der Neutralität entwickeln, der mehr Raum für eine Abwägung lässt.
Bei der Beurteilung, ob eine Äußerung zulässig ist, könnte das Gericht dann den bisherigen Interview- oder Diskussionsverlauf ebenso berücksichtigen wie die konkreten Auswirkungen der Äußerung auf den politischen Gegner. In einer hitzigen Diskussionsrunde mag dann innerhalb gewisser Grenzen für einen hart attackierten Minister doch ein „Recht zum Gegenschlag“ existieren.
Der Autor Dr. Sebastian Roßner ist Habilitand am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Rechtstheorie und Rechtssoziologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Sebastian Roßner, BVerfG verschärft Neutralitätspflicht von Staatsorganen: . In: Legal Tribune Online, 27.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27233 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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