Das Bundesverfassungsgericht hat die deutsche Legislative verpflichtet, beim Klimaschutz nachzubessern. Die Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich – und von internationaler Bedeutung, zeigen Helen Arling und Birgit Peters.
Kommentator:innen bezeichneten den Klima-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 24. März 2021 (Az. 1 BvR 2656/18 u.a.) als "historisch", "bahnbrechend" oder "epochal": Das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) ist teilweise verfassungswidrig.
Das KSG belaste künftige Generationen übermäßig stark, da es keine spezifischen Regelungen zu Treibhausgasemissionen nach 2030 treffe. Demnach wäre zu befürchten, dass künftige Klimaschutzmaßnahmen Freiheitsrechte "weit drastischer beschneiden" müssen.
Die Entscheidung des BVerfG ergänzt denkwürdige Entscheidungen anderer nationaler und internationaler Spruchkörper zu menschenrechtlichen Auswirkungen des Klimawandels. Denn in den letzten Jahren konnten Kläger:innen diesbezüglich vielfach gerichtliche Erfolge verzeichnen.
Klimaklagen international – von Den Haag nach Karlsruhe und darüber hinaus
Eine dieser Erfolgsgeschichten schrieb die niederländische Stiftung Urgenda. Ihre Klage war Ende 2019 eine der ersten, welche positiv beschieden wurde. Zwar haben sich Kläger seit den 1990er Jahren immer wieder gegen Staaten oder einzelne Akteure gewandt, um deren Verantwortung für den Klimawandel gerichtlich feststellen zu lassen. Bislang waren diese Klagen aber nicht erfolgreich.
Im Urgenda-Urteil hingegen verpflichtete das höchste Zivilgericht der Niederlande, der Hoge Raad, den Staat dazu, den Treibhausgas-Ausstoß bis Ende 2020 um 25 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Seine Entscheidung basierte dabei auf einer Auslegung von Art. 2 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Auch die Richterinnen und Richter des BVerfG nahmen in ihrer Entscheidung vielfach auf das Urteil Bezug. Beispielsweise, als sie urteilten, dass sich der deutsche Staat seiner Verantwortung nicht durch Verweis auf die Treibhausgasemissionen anderer Staaten entziehen könne.
Als Argumentationsstütze dienten dem BVerfG auch weitere Gerichtsentscheidungen aus aller Welt – wie die des Irischen Supreme Courts im Fall Friends of the Irish Environment v. Ireland. Ähnlich wie im Beschluss des BVerfG befand Irlands höchstes Gericht den "National Mitigation Plan" zum Klimaschutz als zu unspezifisch und damit ungültig. Die Entscheidung der Karlsruher Richterinnen und Richter fügt sich also in den Kontext internationaler Klimaklagen ein.
Insgesamt scheint sich – vor allem im europäischen Raum – ein stärkerer gerichtlicher Konsens bezüglich der Klimaverpflichtungen von Staaten zu bilden. Mehr denn je sehen sich Gerichte berufen, Versäumnisse der nationalen Gesetzgeber in Sachen Klimaschutz anzuprangern. Obwohl die jeweiligen Urteile keine direkten Auswirkungen auf Verfahren in anderen Ländern haben, geben sie potenziellen Kläger:innen vor nationalen Gerichten Rückenwind – nicht zuletzt als Teil eines generellen Bewusstseinswandels.
Der EGMR und das Klima: kleine Schritte und große Hoffnungen
Auch auf internationaler Ebene stehen bedeutende Entscheidungen in Sachen Klimaschutz an. Derzeit sind mehrere Klimaklagen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) anhängig. Von großer medialer Aufmerksamkeit begleitet wurde die Klage von sechs portugiesischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen gegen 33 Mitgliedstaaten des Europarats. In einem weiteren Verfahren wendete sich der Verein Klima-Seniorinnen gegen die Schweiz.
Beiden Klagen räumte der EGMR kürzlich Priorität ein, da die aufgeworfenen Fragen besonders wichtig und dringend seien. Davon könnte auch eine dritte Klimaklage vor dem EGMR profitieren, die kürzlich von einem an einer temperaturabhängigen Form von Multiple Sklerose erkrankten Beschwerdeführer gegen Österreich eingereicht wurde.
In ihren Beschwerden an den EGMR bedienten sich die Beschwerdeführer:innen an Argumentationsmustern aus den nationalgerichtlichen Entscheidungen – insbesondere aus dem Urgenda-Urteil. Auch der Beschluss des BVerfG eignet sich dazu, ähnliche Klimaschutzforderungen zu untermauern. Jedoch ist hier zu beachten, dass sich das Gericht – anders als der Hoge Raad im Fall Urgenda – gerade nicht explizit mit der Verletzung von Rechten aus der EMRK befasste.
Dennoch diente die Rechtsprechung des EGMR dem BVerfG ganz maßgeblich zur Untermauerung seiner Argumentation, aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz (GG) leiteten sich staatliche Schutzpflichten bei Beeinträchtigungen durch Umweltveränderungen her.
Beschwerdeführerinnen aus Bangladesch bleiben wohl die Ausnahme
In einer weiteren Hinsicht hat die Entscheidung internationale Dimension: Das BVerfG beschäftigte sich auch mit der Verfassungsbeschwerde zweier in Bangladesch und Nepal lebender Personen. Gegenüber diesen hielt das Gericht eine Verletzung der Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit und auf Eigentum für möglich. Die Beschwerde erachtete es letztendlich auch für zulässig.
Eine Entscheidung, die durchaus zu überraschen vermag. Im Oktober 2019 hatte das VG Berlin eine Klage dreier deutscher Landwirtsfamilien auf Einhaltung des Klimaziels 2020 als unzulässig abgewiesen. Die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts hielt das Gericht in diesem Fall für ausgeschlossen. Nun ist die deutsche Gerichtsbarkeit also gleich zwei Schritte weiter gegangen, indem sie eine Beschwerde im Ausland lebender Personen zur Entscheidung zuließ.
Dass das BVerfG in Zukunft von weiteren solcher Verfassungsbeschwerden überflutet wird, bleibt dennoch unwahrscheinlich. Zwar schlossen die Richter:innen eine klimabezogene Schutzpflicht der Bundesrepublik gegenüber im Ausland lebenden Menschen wegen Deutschlands Beitrag zum Klimawandel nicht grundsätzlich aus. Im konkreten Fall lehnte das BVerfG die Verletzung einer potenziellen Schutzpflicht allerdings explizit ab.
Entsprechende Verpflichtungen des deutschen Staats seien vor allem durch internationale Kooperation und finanzielle Unterstützung besonders betroffener Staaten zu erfüllen. Konkrete Schutzmöglichkeiten gegenüber im Ausland lebenden Personen stünden Deutschland – auch wegen der primären Zuständigkeit des jeweiligen Staates – kaum zur Verfügung. Auf Grundlage dieser Argumentation werden ausländische Beschwerdeführer und Beschwerdeführerinnen künftig nur in Ausnahmefällen erfolgreich geltend machen können, dass allein der deutsche Staat zur Garantie ihres Lebens und ihrer Gesundheit zuständig sei.
Weiteres Puzzleteil im Geflecht internationaler Klimaklagen
Die nationalen Implikationen der BVerfG-Entscheidung wurden bereits vielfach hervorgehoben. Auch im internationalen Zusammenhang ist sie von großer Bedeutung. Und das in dreifacher Hinsicht.
Erstens, weil sie die Einbindung Deutschlands in die internationale Gemeinschaft betont. Eine Lösung des Klimaschutzproblems sei "gerade auch auf überstaatlicher Ebene zu suchen". Ebenso stellt das BVerfG klar, dass die Einhaltung der internationalen Verpflichtungen beim Kampf gegen den Klimawandel und in Bezug auf die Schutzpflichten Deutschlands nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG relevant sei.
Zweitens, weil sie ausgehend von Art. 20a GG auch die Weiterentwicklung dieser internationalen Regimes im Blick hat. So weist die Entscheidung auf die Möglichkeit hin, dass selbst das im Paris-Abkommen nur als "Spanne" bezeichnete Temperaturziel ("deutlich unter zwei Grad Celsius") unter Berücksichtigung weiterer wissenschaftlicher Erkenntnisse unter Umständen noch weiter nach unten korrigiert werden müsse.
Und drittens ist sie bedeutsam, weil das BVerfG ohne viel Federlesens die anderen, bereits in dieser Sache ergangenen Urteile und Entscheidungen internationaler wie nationaler Gerichte in die Entscheidung aufnimmt. Dadurch stärkt es den internationalen gerichtlichen Dialog zu den staatlichen Verpflichtungen mit Bezug auf den Klimawandel.
Der internationale Bezug der Entscheidung und die generelle Tendenz, Klimaschutz gerichtlich durchzusetzbar zu machen, sind unverkennbar. Auch, wenn der Beschluss nicht direkt auf andere Gerichtsbarkeiten übertragbar ist: Im Gesamtgeflecht internationaler Klimaklagen stellt er ein weiteres wichtiges Puzzleteil dar.
Prof. Dr. Birgit Peters, LL.M. (London) ist Inhaberin der Professur für Öffentliches Recht, insbesondere Völkerrecht und Europarecht an der Universität Trier. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen unter anderem das internationale und europäische Umweltrecht sowie menschenrechtliche Fragestellungen mit Klimabezug.
Helen Arling, LL.M. (Maastricht) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an dieser Professur. Im Rahmen ihres Promotionsvorhabens befasst sie sich mit dem internationalem Klimaschutzrecht und insbesondere mit den Rechten der Natur.
Warum der BVerfG-Beschluss international bedeutend ist: . In: Legal Tribune Online, 08.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44918 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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