BVerfG erlaubt Sampling: Kunst­f­rei­heit schlägt Eigentum

von Georg Lecheler

31.05.2016

Wenn es dem Eigentümer nicht zu sehr schadet, darf man fremde Beats nutzen. Das BVerfG macht Sampling auch für Laien wieder möglich. Und wirft neue Fragen auf, die wohl Metall auf Metall III beantworten muss, zeigt Georg Lecheler.

Der Bundesgerichtshof (BGH) wird sich nach dem am Dienstag verkündeten Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG v. 31.05.2016, Az. 1 BvR 1585/13) ein drittes Mal mit dem Streit zwischen Kraftwerk auf der einen und Moses Pelham auf der anderen Seite beschäftigen müssen. Der Erste Senat des höchsten deutschen Gerichts hat die freie Nutzung fremder Beats grundsätzlich wieder ermöglicht: Die künstlerische Entfaltungsfreiheit kann einen Eingriff in das Tonträgerherstellerrecht doch leichter rechtfertigen, als der BGH es annimmt.

Kraftwerk und Pelham streiten seit 1999 über zwei Takte aus dem Stück "Metall auf Metall", das die Düsseldorfer Band 1977 eingespielt hatte. Rapper und Produzent Moses Pelham nahm dieses etwa zwei Sekunden lange Stückchen und unterlegte damit 1997 den Song "Nur mir" von Sabrina Setlur. Kraftwerk sah seine Rechte durch dieses vor allem in Rap und Hip Hop übliche sogenannte Sampling verletzt.

Das Landgericht Hamburg urteilte 2004 zugunsten der Ikonen des Elektropop, das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg bestätigte 2006 eine Verletzung von Kraftwerks Tonträgerherstellerrecht. Der BGH teilte 2008 zwar die Meinung der Vorinstanzen, dass auch "kleinste Tonfetzen" vom Tonträgerherstellerrecht erfasst sind. Die Bundesrichter verwiesen den Rechtsstreit aber dennoch zurück, um das OLG prüfen zu lassen, ob der Eingriff in dieses Recht nicht doch mit Blick auf die freie Benutzung des § 24 Urheberrechtsgesetz (UrhG) gerechtfertigt sei (BGH, Urt. v. 20.11.2008, Az. I ZR 112/06 – Metall auf Metall). Das OLG tat das, verneinte es und gab Kraftwerk 2011 wieder Recht.

BVerfG: ohne Schaden kein Sampling-Verbot

Der BGH hat das Urteil zugunsten von Kraftwerk 2012 gehalten (Urt. v. 13. Dezember 2012, Az. I ZR 182/11 – Metall auf Metall II). Der u.a. für das Urheberrecht und den Gewerblichen Rechtsschutz zuständige I. Zivilsenat  hat dabei das verfassungsrechtliche Spannungsfeld durchaus gewürdigt: Auf der einen Seite steht das Tonträgerherstellerrecht des § 85 UrhG. Als Ausprägung des über Art. 14 Grundgesetz (GG) geschützten Eigentums schützt es die technische, organisatorische und wirtschaftliche Leistung, die darin steckt, dass jemand Töne auf einen Tonträger bannt. Auf der anderen Seite streitet die über Art. 5 Abs. 3 GG gewährleistete Kunstfreiheit, auf die sich derjenige beruft, der samplen und so Teile des älteren Titels verwenden möchte.

Der BGH hat seine Entscheidung zugunsten von Kraftwerk damals damit begründet, dass die unmittelbare, kopierende Übernahme von Teilen fremder Klänge dann unzulässig sei, wenn "es einem durchschnittlich ausgestatteten und befähigten Musikproduzenten zum Zeitpunkt der Benutzung der fremden Tonaufnahme möglich ist, eine eigene Tonaufnahme herzustellen, die dem Original bei einer Verwendung im selben musikalischen Zusammenhang aus Sicht des angesprochenen Verkehrs gleichwertig ist". Der Senat sah darin den Ausgleich zwischen Art. 14 GG, dem Grundrecht auf Eigentum, und der in Art. 5 Abs. 3 geschützten Kunstfreiheit. Der Gedanke dahinter war: Warum soll Pelham Kraftwerks Leistung einfach übernehmen dürfen, wenn er sie mit etwas Aufwand nachbilden kann? Oder, abstrakt: Warum sollte jemand in fremdes Eigentum eingreifen dürfen, wenn er in der Lage ist, seine Kunstfreiheit auch anders zu entfalten?

Das Verfassungsgericht hält dieses Kriterium für "nicht geeignet, einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem Interesse an einer ungehinderten künstlerischen Fortentwicklung und den Eigentumsinteressen der Tonträgerproduzenten herzustellen". Es trage der Kunstfreiheit nicht hinreichend Rechnung, sagte Vize-Gerichtspräsident Ferdinand Kirchhof in Karlsruhe. Die höchsten deutschen Richter fragen daher anders: Warum soll der Eigentümer die Nutzung untersagen können, wenn sein Eigentum ansonsten nicht beeinträchtigt wird, insbesondere kein wirtschaftlicher Schaden entsteht?

Hintergrund dieser Überlegung könnte sein, dass vom BVerfG eingeholte Stellungnahmen darauf hindeuten, dass dem Tonträgerhersteller durch das Sampling keine finanziellen Einbußen entstehen, möglicherweise gar ein positiver Effekt eintritt – so verweist etwa die Vereinigung für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) in einer im Zuge des Verfahrens verfassten Stellungnahme auf entsprechende Studien in den Vereinigten Staaten und UK. Dann, so die Schlussfolgerung des BVerfG, erschwert es die Kunstfreiheit unnötig, vom Samplenden zu verlangen, das Stück selber nachzubauen.

Und jetzt?

An der Entscheidung des BGH hatte sich viel Kritik entzündet. Es hieß etwa, die Überlegung, eine Übernahme sei nur zulässig, wenn ein Nachspielen praktisch nicht möglich sei, führe dazu, dass gerade besonders aufwändig hergestellte Stücke übernommen werden dürfen – widersinnig! Es hieß, Laien werde Sampling künftig kaum mehr möglich sein, da der BGH ja auf einen "durchschnittlichen Musikproduzenten" abstelle und dieser weit mehr könne als ein Laie – untragbar!

Diese Kritikpunkte hat das Verfassungsgericht aus dem Weg geschafft. Es hat dabei der Kunstfreiheit mehr Gewicht verliehen und damit auch die Möglichkeiten für Laien wieder erweitert, die sich ja  – Plattformen wie YouTube und Apps wie GarageBand sei Dank –zunehmend an der Schaffung von Inhalten beteiligen.

Die Karlsruher Richter deuten aber andere Einschränkungen an, die neue Probleme aufwerfen werden. So stellen sie darauf ab, dass dem Urheber des älteren Stücks kein Schaden entsteht. Wann wirtschaftliche Nachteile drohen, die das Blatt wieder wenden, ist aber offen; das Verfassungsgericht stellt dem Gesetzgeber ausdrücklich anheim, eine Verwertungspflicht bei kommerziellem Erfolg des jüngeren Stücks zu schaffen. Die klare Absage des Verfassungsgericht an die Ansicht des BGH, schon "kleinste Tonfetzen" seien geschützt, rückt auch eine andere Frage wieder in den Mittelpunkt: Wie klein ist klein?

Der BGH wird sich der Sache also wieder annehmen müssen, und dabei die Würdigung des Verfassungsgerichts zu beachten haben. Nach all den Jahren könnte man es ihm kaum verübeln, wenn er jetzt einen vom Verfassungsgericht und Stimmen aus der Literatur vorgeschlagenen Weg wählt: Er könnte die Angelegenheit wegen der europarechtlichen Implikationen und der fortschreitenden Harmonisierung des Urheberrechts erst einmal an den Europäischen Gerichtshof weiterreichen.

Kraftwerk und Pelham werden mit der Sache wohl noch ein paar Jahre beschäftigt sein. Dank gebührt ihnen nicht nur für ihre Musik, sondern auch dafür, dass sie den höchsten Gerichten unermüdlich Anlass bieten, das Urheberrecht mit Blick auf die Digitalisierung und die heutigen Lebenswirklichkeiten ein Stückchen weiterzuentwickeln. Kunst dient keinem Zweck, hilft aber trotzdem.

Georg Lecheler ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Oppenhoff & Partner. Er ist spezialisiert auf Urheberrecht und gewerblichen Rechtsschutz.

Zitiervorschlag

Georg Lecheler, BVerfG erlaubt Sampling: . In: Legal Tribune Online, 31.05.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19502 (abgerufen am: 23.11.2024 )

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